Als der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seinerzeit zwischen „Old Europe“ und „New Europe“ unterschied, hat er womöglich ein gerütteltes Maß an Vorahnung gezeigt. Tatsächlich ist das Gesicht Europas gerade dabei, sich unter dem Druck der Ereignisse in der Ukraine womöglich viel massiver zu verändern, als wir uns das alle denken – und als uns vielleicht lieb sein wird.
Putins Russland scheint fest entschlossen den Ostteil des Landes abzuspalten und entweder sich einzuverleiben oder daraus einen überschaubar großen Vasallenstaat zu machen, so nach dem Muster von Armenien, Georgien oder Azerbaijan. Da dort überwiegend Menschen leben, die sich zumindest als Russen fühlen, sei er völkerrechtlich legitimiert, sie bei der Suche nach einer neuen Wahl-Heimat zu unterstützen. Und sollte eine Mehrheit für den Anschluss an Mütterchen Russland entscheiden, hey, dann ist es doch ihr gutes Recht, oder?
Damit öffnet der Kleinkaliber-Zarewitsch allerdings ein riesiges Fass, und das nicht nur in seinem eigenen Vielvölkerstaat, sondern vor allem in Europa. Denn auch bei uns gibt es genügend Leute, die gerne die Grenzen neu ziehen würden, aus einer Vielzahl von Gründen. Die Katelanen streben ebenso wie ihre Nachbarn, die Basken, seit Jahren weg von Spanien hin zur Eigenständigkeit. Die Schotten dürfen darüber sogar nächstes Jahr abstimmen, und es sieht nicht gut aus für das Vereinigte Königreich. Die Bayern dürfen das leider nicht, sonst wären sie ganz schnell wieder ein Königreich und selbständig! Dass die Südtiroler sich lieber heute als morgen von Rom absetzen würden, ist bekannt. Und wenn man den Flamen die Wahl ließe, dann wären sie ganz schnell wieder (wie früher) ein Teil Frankreichs. Was in dem Fall mit den Wallonen passieren würde, ist nicht ganz klar, aber vermutlich würden sie eines Tages als eine weitere Provinz der Niederlanden enden, denn alleine wären sie zu schwach. Und was wird mit dem sprachlich wie kulturell zweigeteilten Brüssel? Am besten wäre es, man würde dem US-amerikanischen Vorbild folgen und daraus eine Art „District of Europa“ machen, in der die EU die Staatshoheit direkt ausübt.
Das wäre in der Tat ein „New Europe“, und sagen Sie jetzt nicht, das wäre völlig undenkbar. Vieles, was bislang undenkbar war, ist durch die Ereignisse in der Ukraine in den Bereich des Möglichen gerückt. Wenn Europa und die USA sich wehrlos in Putins Expansionspläne fügen, weil sie zu schwach oder zu feige sind, ihm ernsthaft Paroli zu bieten, dann ist alles andere auch realistisch. Und warum eigentlich nicht? Warum dürfen Menschen nicht bestimmen, wohin sie gehören wollen? Im Internet-Zeitalter sind Nationalstaaten ohnehin ein Auslaufmodell: zu klein, zu kompliziert, zu schwer auf eine gemeinsame Linie zu bringen.
Unsere Politiker werden ja nicht müde, von einem „Europa der Regionen“ zu fabulieren. Machen wir doch Ernst damit! Die Regionen sollen sich doch abspalten, neu gruppieren oder selbständig bleiben dürfen, wie sie wollen, Hauptsache die Zügel in zentralen Fragen wie Außen-, Wirtschafts- oder Verteidigungspolitik verbleiben in einer starken EU-Hand! Doch dazu muss Europa erst einmal demokratisch werden, mit Direktwahl und demokratische Verantwortung für die Entscheidungsträger und ohne die bisherige Allmacht der Eurokraten, die weder legitimiert sind noch zur Verantwortung gezogen werden können. Ein Europa der Regionen statt ein Europa der Nationalstaaten – das wäre ein Projekt, von dem es sich zu träumen lohnen würde.
PS: Bei der Recherche zu diesem Blogpost bin ich auf eine Landkarte gestoßen, die Europa nach Fluß- und Küstenregionen darstellt – auch eine Idee! Vielleicht würde so endlich zusammenkommen, was zusammen gehört…