Mark Wächter hat das Handy zwar nicht erfunden, wie man meinen könnte, aber er hat die Entwicklung des „Mobiltelefons“, wie wir es heute kennen, fast von der erste Stunde an begleitet. Wir lernten uns 1999 kennen, da war er gerade mitsamt der Providerfirma UUNET, die im Dunstkreis der Uni Dortmund entstanden war, vom amerikanischen Telefongiganten MCI Worldcom übernommen worden und war dort für die Marktkommunikation verantwortlich. Damals entstand die Idee, eine gesponsorte Talkshow für den Sender n-tv zu produzieren, und als Moderatoren holte Mark meinen langjährigen Freund Ossi Urchs und mich. Geld spielte ja bekanntlich während der Dotcom-Blase der Jahre 2000 bis 2003 keine Rolle, und so schöpften wir aus dem Vollen: Beste Technik, tolles Org-Team, Studiogäste aus aller Welt, mit denen Ossi und ich vor laufender Kamera über die Zukunft des Internets und der Tech-Branche plaudern durften.
Und schon damals tauchte immer häufiger das Wort „mobile“ auf. Es gab schließlich ja schon Nokias legendären „Communicator“, ein Handy mit Klapptastatur, mit dem ein technisch versierter Mensch mit ehr spitzen Fingern tatsächlich E-Mails schreiben, verschicken und empfangen konnte. Vorausgesetzt er war auch ein erfahrener Netzwerktechniker, der wusste, wie man die entsprechenden Einstellungen vornehmen musste, um sich mit einem Internet-Server zu verbinden, und zwar mit dem so genannten EDGE-Standard, der sagenhaft schnelle 220 Kilobits pro Sekunde möglich machte! Bald ging es dank UMTS sogar mit 384 kbits/s, dann kam mit HSDPA der Durchbruch auf 14.4000 kbit/s.
Kids, die heute dank LTE-Technik Surfraten von 1.000 Megabits pro Sekunde gewohnt sind, können da nur staunen, wie langsam ihre digitalen Vorfahren doch waren. Und trotzdem: Für uns war es eine Revolution!
Mark Wächter hat das alles miterlebt, und irgendwann beschlossen, sich ganz auf dieses Thema zu spezialisieren. Er gründete seine eigene Beraterfirma, MWC.mobi, und fing an, Klienten in aller Welt in die Geheimnisse der mobilen Revolution einzuschwören und mit ihnen mobile Geschäftsstrategien zu entwickeln. Gleichzeitig begann er, sich in den verschiedenen Fachverbänden zu engagieren und dort die Entwicklung insbesondere des mobilen Marketing voranzutreiben. Irgendwann war er dann Vorsitzender der Fachgruppe „Mobile“ im Bundesverband der Digitalen Wirtschaft (BVDW) und Mitglied im Verwaltungsrat der weltweiten Mobile Marketing Association.
Wenn jemand wie Mark also ein Buch schreibt über Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Mobilfunks, dann hat das Tiefgang. Manchmal sogar zu viel Tiefgang, jedenfalls für jemanden, der sich vielleicht nur einen Überblick über dieses Phänomen verschaffen will. Aber Mark schreibt natürlich vor allem für diejenigen, die die Mobilität fest in ihr Geschäftsmodell verankern und damit professionell umgehen wollen, und für die muss man natürlich ins Detail gehen.
Aber zunächst möchte uns Mark Wächter die Dimension des Phänomens klar machen, denn für viele ist das Handy und mittlerweile das Smartphone nur ein nützliches, vielleicht auch unverzichtbares Gadget, allenfalls ein Stück Lifestyle. Tatsächlich ist Mobilität aber sehr viel mehr, nämlich eines der drei größten Technologie-Trends des 21sten Jahrhunderts, neben Digitalisierung und Vernetzung. Im Dreiklang führen diese drei Megatrends zu dem, was ich in meinem „Digitale Transformation“ beschreibe – und die ist dabei, die Welt auf den Kopf zu stellen.
Da wäre erst einmal die schiere Dimension des Phänomens Mobilität. 2015 gab es, diese Erkenntnis verdanken wir Mark Wächter, auf der Welt mehr SIM-Karten als Menschen. Das ist aber nur ein Vorbote dessen, was unter dem Begriff „Internet of Things“ auf uns zukommt: Die totale Vernetzung der Welt, in der jede Maschine, jedes Bauteil, jede Straßenlampe, jedes Auto und jedes Gebäude mit dem weltweiten Netz verbunden sein und Informationen über sich, seinen Betriebs- und Abnutzungszustand, seine Funktionsfähigkeit und seine Umgebungsvariablen an zentrale Überwachungs-, Wartungs- und Betriebssysteme zurückliefern wird. Aufgrund dieser unvorstellbaren Datenflut und leistungs- und lernfähigen „kognitiven“ Computersystemen werden wir in der Lage sein, präzise Vorhersagen zu machen über – alles vom Wetter bis zur Ausfallwahrscheinlichkeit einer Glühbirne oder einer Industrieanlage und damit sozusagen die ganze Welt zentral zu steuern.
Mark Wächter gibt eine erste Vorahnung von der Allumfassendheit seines Themas, wenn er früh im Buch den Begriff „Online, Social und Mobile“ einführt und damit zeigt, dass die drei Megatrends längst dabei sind, sich gegenseitig zu befördern und zu beflügeln. Und je tiefer man in sein Buch einsteigt, desto klarer wird es, dass kein Bereich des täglichen oder des Geschäftslebens davon unberührt bleiben wird. Sein Buch unterteilt sich in drei große Kapitel. Im ersten geht es um den bewegten Menschen, den „homo mobilis“ und die Folgen für unser eigenes Kommunikations-, Konsum- und Informationsverhalten. Im zweiten wird das „Medium Mobile“ analysiert, vor allem im Hinblick auf das Marketing. Im dritten geht es um Strategie und darum, wie man Mobilität zu einem Teil der Unternehmens-DNA machen kann. Wobei im Laufe der Lektüre klar wird, dass der „mobile Tsunami“, der gerade über Firmen und Gesellschaft hinwegfegt, nicht einfach zu reiten sein wird: Es werden viele dabei abfallen und untergehen und andere neuaufsitzen, so wie es im Zeitalter disruptiver Technolgieentwicklungen inzwischen fast gang und gäbe ist.
Wenigstens steigen die Chancen, dass man den Ritt auf dem Tsunami überlebt, wenn man sich durch Mark Wächters Buch gewühlt hat, was zumindest den älteren von uns schon deshalb ein bisschen schwerfällt, weil der Verlag in seinem unerforschlichen Ratschluss eine Schriftgröße gewählt hat, die zwar für eine hohe Informationsdichte in dem nur 240 Seiten starken Buch sorgt, die aber auf Kosten der Lesefreundlichkeit geht. Aber der mobile Mensch hat ja heute schließlich die Möglichkeit, in seinem digitalen Lesegerät, dem „eBook-Reader“, den Schriftgrad nach Gusto einzustellen. Und am Ende von „Mobile Strategy“ findet sich dankenswerterweise ein Hinweis darauf, wie man den kompletten Text als Download auf seinen Kindle, iPad, Tolino oder Kobo laden kann. Und damit ist man dann endgültig zum mobilen Menschen aufgestiegen!
Mobile Strategy von Mark Wächter (Verlag Springer Gabler, 2016, ISBN-10: 3658060107)