Ich bin ja ein bescheidener Mensch, wie jeder weiß, der mich kennt (nicht wahr, Michael?). Und so möchte ich in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, dass sich heuer zum 20sten Mal der Tag jährt, an dem ich das Bloggen erfand. So weit ich weiß, jedenfalls. Und das kam so.
Ich war bis 1994 bei der Motor Presse Stuttgart als Chef der so genannten Redaktionsgruppe Multimedia für ein paar Zeitschriften (video, videoaktiv, connect) zuständig, aber auch für die BTX-Aktivitäten des Verlags. Das war der leichteste Teil meines Jobs, denn der Verlag hatte außer ein paar etwas holprige Pixelgrafiken noch nicht sehr viel zu bieten im Cyberspace. Für die jüngeren unter den Lesern sei zur Erklärung gesagt, dass BTX der Vorläufer des World Wide Web war, den die Deutsche Telekom zwischen 1983 und 2001 betrieb. Wikipedia nennt es einen „interaktiver Onlinedienst“, der „Telefon und Fernsehschirm zu einem Kommunikationsmittel“ kombinierte.
BTX war ungefähr so aufregend wie eingeschlafene Füße, aber hey, wir hatten ja nichts anderes, und es war immerhin ein Anfang. Aber dann kamen so zirka 1993 die ersten Web-Server auf, und die Online-Welt wurde plötzlich bunt und aufregend! Allerdings wusste immer noch keiner so recht, was man damit alles machen kann. Zum Beispiel gab es eine ziemlich lautstarke Fraktion unter den frühen Web-Usern, vor allem im universitären Umfeld, die strikt gegen eine „Kommerzialisierung des World Wide Web“ waren. Internet und Profitstreben passten für diese Leute nicht zusammen. Stattdessen sollte man Sachen verschenken, also zum großen gemeinsamen Ganzen beitragen, ohne dafür gleich Geld zu verlangen.
Ich gebe zu, dass mich diese eher altruistische Einstellung anfangs ziemlich beeindruckt hat. Und so überlegte ich, was ich denn so zu bieten hätte. Auch nach meinem Weggang bei der Motor Presse 1994 schrieb ich in jeder Ausgabe von connect, unserer neuen Zeitschrift zum Thema Telekommunikation, noch eine monatliche Kolumne, die ich „Mein Alltag im D-Netz“ nannte, und in der ich kleine, allzu menschliche Geschichten rund ums Mobiltelefonieren wiedergab. Und so kam ich auf die Idee, diese Anekdoten ins Web zu stellen.
Nur wie? Zum Glück kannte ich damals schon unseren Czyslansky-Bruder Sebastian von Bomhard, genannt „SvB“, der sich gerade ein Jahre zuvor mit der Firma Spacenet selbständig gemacht hatte. Wenn nicht er, wer könnte mir dann beim Start ins Web-Zeitalter helfen. SvB reservierte mir die Domain „cole.de“ und vermietete mir für kleines Geld einen Platz auf dem Spacenet-Server. Ich brachte mir selbst das kleine Einmaleins von HTML bei und bastele einen reichlich primitiven Web-Auftritt, den ich „Mein Online-Tagebuch“ nannte.
Notabene: Der Begriff „Blog“ existierte damals noch gar nicht. Es gab das Usenet und so genannte Bulletin Boards, aber das Wort wurde erst 1997 von Jorn Barger erfunden, einem Programmierer und Games-Schreiber, der sich einer Tätigkeit widmete, die er „logging the Web“ nannte, woraus bald kurz „weblog“ wurde. Der Online-Tagebuchschreiber Peter Merholz trennte das 1999 scherzhaft auf in „we blog“ – und schuf damit ein neues Genre.
Aber zurück zum Spätjahr 1994. Ich wollte eigentlich kurz vor Weihnachten meine ersten Tagebucheinträge posten, aber das mit dem HTML-Schreiben war doch nicht so einfach wie gedacht. Und so ging der erste Beitrag erst am 4. Januar online. Hier ist er:
Man merkt schon: Das war vor der Rechtschreibreform, ich schrieb „daß“ und „erfaßt“ noch mit „Esszett“, und mit dem Korrekturlesen stand ich damals schon auf Kriegsfuß („zunhemend“, „mithären“).
Es folgten dann in rascher Folge weitere kleine Schnipsel und dann, am 22. März 1995, eines, das bis heute zu meinen Lieblingsposts zählt und in dem wiederum SvB die Hauptrolle spielt. Er trug die Überschrift „Der Handy-Snob“ und lautete:
„Wer seine Handy-Rechnung lesen muss, kann ihn sich eigentlich nicht leisten.
In diesen Tagen, wo mein Blog seinen 20sten Geburtstag feiert, muss ich viel an damals denken. Wir waren so jung, so unschuldig, so blauäugig. Aber wir wussten alle ganz genau, was wir wollten: Bandbreite, und zwar satt! Denn einen Blogeintrag zu posten dauerte (mit dem ganzen HTML-Gedöns gut und gerne eine Stunde oder mehr, das meiste davon wartend vor dem Bildschirm sitzend, bis die paar kümmerlichen Bits und Bytes endlich per 28k-Modem ihr Zielort erreicht hatten.
Aber es war ungeheuer aufregend, und wir wussten schon damals, dass wir die Welt verändern würden. Wie und wie sehr, das ahnten wir natürlich noch nicht, aber das ist ja der Vorteil des Jungseins.
Was das Bloggen angeht, so gibt es immer noch einige Unstimmigkeiten unter Fachleuten, zum Beispiel der: Heißt es „der Blog“ oder „das Blog“? Michael Kausch und ich haben auf czsylansky.net schon vor ewigen Zeiten (genauer: 2008) dazu die Federn gekreuzt, aber ich bleibe dabei: Für mich heißt es „der Blog“. Und ich habe es schließlich erfunden, oder?
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