Ungarn ist das Problemkind Europas. Sein Führer, Viiktor Orbán, gilt als korrupter Autokrat, der aus für Außenstehenden unverständlichen Gründen eine breite Mehrheit seines Volkes hinter sich schart. Und die Magyaren sind besoners stolz auf ihr Land – obwohl es erst seit 1918 offiziell existiert. Kaum ein anderes Volk erzeugt so viele Fragen von Quora-Nutzern, die alle wissen wollen: Wer sind die Ungarn und wer hat dieses Land im Laufe seiner Geschichte regiert?
Die Antwort ist, zugegeben, kompliziert, denn kaum ein anderer Landstrich in Europa hat so viele umwälzende Veränderungen im Laufe seiner Geschichte erlebt wie der Karapatenbecken. Da lohnt sich ein Blick die Kulissen.
Die ältesten archäologischen Funde aus Ausgrabungen im Karpatenbecken stammen aus der Altsteinzeit, die bis etwa 10.000 v. Chr. dauerte. Für die Zeit bis zur frühen Eisenzeit gibt es noch kaum verlässliche Hinweise und Funde, die auf die Bewohner des Karpatenbeckens hindeuten.
Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen von Völkern, die im heutigen Ungarn siedelten, stammen frühestens aus dem 6. Jahrhundert nach ChrisZu dieser Zeit erwähnte Herodot – ein griechischer Historiker, Geograph und Ethnologe – erstmals Völker, die eine nordiranische Sprache sprachen und zur Gruppe der mit den Skythen verwandten Steppenvölker gehörten. Später versuchten die Kelten, im Karpatenbecken Fuß zu fassen, was ihnen bis zur zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. gelang. Von da an unternahmen die Kelten vom Karpatenbecken aus ihre umfangreichen Eroberungszüge.
Im Jahr 29 v. Chr. drangen erstmals römische Legionen in das Karpatenbecken ein. Große Teile Pannoniens wurden in den folgenden Dakerkriegen verwüstet.
Das nächste große Ereignis im Karpatenbecken fand in den 430er Jahren statt, als das Römische Reich die Kontrolle über Pannonien an die Hunnen abtrat. Nach dem Tod Attilas im Jahr 453 zerfiel das Hunnenreich rasch, zumal die Völker des Karpatenbeckens in Pannonien begannen, gegen die Hunnen zu rebellieren. Die Gepiden, ein germanischer Stamm, der die Hunnen unter Ardarich in der Schlacht von Nedoa im Jahr 455 besiegte und sie damit zwang, das Karpatenbecken zu verlassen, übernahmen ab diesem Zeitpunkt die Kontrolle über das östliche Karpatenbecken. Das westliche Karpatenbecken wurde zu dieser Zeit von den Ostgoten und später von den Langobarden beherrscht. Doch schon bald kam es zu Konflikten zwischen den im Osten lebenden Gepiden und den Langobarden, die von den Awaren ausgenutzt wurden, die sich in den 560er Jahren im Karpatenbecken ausbreiteten. Die Awaren waren ein zentralasiatisches Reitervolk, das in den nächsten 200-250 Jahren von der Pannonischen Tiefebene aus Eroberungszüge gegen Mitteleuropa führte und in dieser Zeit einen wichtigen Machtfaktor zwischen dem Fränkischen Reich und dem Byzantinischen Reich darstellte.
Da das Awarenreich häufig Schauplatz von Aufständen der Slawen und Bulgaren war, die sich im Laufe der Zeit von den Awaren lösen konnten, war es für Karl den Großen und den bulgarischen Khan Krum ein Leichtes, die Awaren in ihren Feldzügen zwischen 791 und 803 zu zerschlagen. Nach dem Untergang des Awarenreichs zogen vor allem Slawen in das Karpatenbecken und blieben dort die dominierende Volksgruppe, bis die Ungarn das Land eroberten.
Die Ungarn ließen sich erst ab 895/896 im heutigen Ungarn nieder. Die Christianisierung des Landes begann mit der Herrschaft Stephans I. Im Jahr 1030 wehrte er einen Angriff des römisch-deutschen Kaisers Konrad II. ab und sicherte damit die Existenz seines Staates.
Im Jahr 1241 verwüsteten die Mongolen unter Batu Khan nach ihrem Sieg in der Schlacht von Muhi das Land und töteten etwa die Hälfte der Einwohner. Nach der mongolischen Invasion bauten die ungarischen Magnaten ihre Macht aus, was schließlich 1301 zur Gründung der ungarischen Kleinkönigreiche führte.
Die Doppelwahl von 1526 nach dem Tod Ludwigs II. war entscheidend für das Schicksal Ungarns in den nächsten 150 Jahren. Die Mehrheit der ungarischen Stände wählte Fürst Johann Zápolya in Tokaj und kurz darauf in der altungarischen Krönungsstadt Stuhlweißenburg zum ungarischen König. Doch auch der habsburgische Erzherzog Ferdinand von Österreich, der nach dem gegenseitigen Erbfolgevertrag von 1515 Anspruch auf das Königreich Ungarn gehabt hätte, ließ sich 1526 in Pressburg von einer Versammlung vor allem west- und oberungarischer Adeliger zum König von Ungarn wählen.
Im Jahr 1540 wurde die Dreiteilung des Königreichs Ungarn für fast 150 Jahre zementiert: Die weiterhin von den Habsburgern beherrschten Gebiete – das heutige Burgenland, die heutige Slowakei, Westkroatien und Teile des heutigen Nordwest- und Nordostungarns – wurden unter dem Namen Königliches Ungarn faktisch eine Provinz der Herrscher in Wien, die fortan mit den Türken um den Besitz des Landes konkurrierten. Formal ließen sich die Habsburger weiterhin als ungarische Könige krönen, wenn auch zunächst in Konkurrenz zu Johann Sigismund Zápolya, der bis zu seiner Abdankung 1570 als Gegenkönig in Siebenbürgen residierte. Pressburg wurde die Hauptstadt des königlichen Ungarns. Von den verbleibenden ehemaligen Territorien wurde das Fürstentum Siebenbürgen ein türkischer Vasallenstaat.
Das Ende der Türkenherrschaft in Ungarn kam kurz nach der gescheiterten Belagerung Wiens durch die Türken im Jahr 1683. Im selben Jahr gelang den Habsburgern die Eroberung von Gran, und nach der Einnahme von Buda und Ofen 1686 und der Niederlage eines osmanischen Heeres 1687 in der Schlacht am Berg Harsány (auch bekannt als Zweite Schlacht von Mohács) und der anschließenden Besetzung großer Teile Ungarns und Siebenbürgens erkannten die ungarischen Stände den neunjährigen Erzherzog Joseph, Sohn von Leopold I., zu Lebzeiten als erblichen König von Ungarn an.
In den Jahren 1703-1711 wurde jedoch der so genannte Kuruzzenaufstand gegen die Habsburger brutal niedergeschlagen. Unter der Herrschaft Maria Theresias kam es zu erneuten Ansiedlungen von Deutschen im Königreich Ungarn, wie z. B. den Donauschwaben. Während der Napoleonischen Kriege war das österreichisch-ungarische Verhältnis weitgehend spannungsfrei. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Ungarn jedoch eine starke liberale und nationalistische Bewegung. 1848/49 kam es zur Revolution gegen die Habsburger. Nach der blutigen Niederschlagung bis August 1849 mit russischer Unterstützung und einer Phase der Unterdrückung einigten sich Österreich und Ungarn 1867 unter Kaiser Franz Joseph I., um den Vielvölkerstaat auf eine breitere Basis zu stellen. Aus dieser Zeit stammt auch das Märchen, Kaiserin Sissi sei eine heimliche Unterstützerin der Ungarn gewesen in ihrem Freiheitskampf.
Erst nach der Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg 1918 wurde Ungarn als vollständig unabhängiger Staat wiederhergestellt.