Meine Frau und ich sind große Opernfans, und ich nutze auf meinen Vortragsreisen jede mögliche Gelegenheit, um mir eine Karte zu kaufen und mich in einen engen Opernstuhl zu klammen.
Irgendwann – so um das Jahr 1985 muss es gewesen sein – war ich in New York auf Einladung von Kodak. Ich arbeitete als freier Texter für eine Stuttgarter Agentur, und wir hatten gerade einen Pitch gewonnen für die Gestaltung des Kodak-Stands auf der CeBIT. Ich traf mich drüben mit Joe Pokorny von Kodak, einen sehr liebenswerten Kollegen, der auch ein großer Kunstkenner war. Sie gaben „The Bat“ in der Met.
Ich bin sonst kein riesiger Strauß Fan, aber die Fledermaus kenne ich in- und auswendig. Das erste Mal habe ich es in Wien gehört, wo ich mit meinem Freund Stephan oft die Semsterferien verbrachte, um jeden Tag in die Oper zu gehen. Wir hatten am 2. Januar Karten in der Volksoper bekommen für Madame Butterfly von Puccini, und als wir hinkamen hingen Plakate draußen: „Aufgrund einer Erkrankung des Tenors geben wir heute eine Wiederholung der Silvesteraufführung der ‚Fledermaus‘ mit Otto Schenk in der Rolle des Frosch.“
Fledermaus zu Silvester hat in Wien ist eine lange Tradition, und Frosch läuft in der Regel zur Höchstform auf, dehnt die übliche Gefängnisszene weit über die vorgesehenen 15 Minuten aus und improvisiert nach Herzenslust einen langen Dialog, in dem er das Jahr in Wien Revue passieren lässt und allerlei Späße auf Kosten der Großkopfeten der Donaumetropole macht. So auch Schenk, der mindestens eine halbe Stunde das Publikum zu einer Lachsalve nach der anderen hinriß!
Die New Yorker Produktion war ein paar Jahre danach, aber auch hier war Schenk als Frosch angekündigt – und zwar auf Englisch! Man muss dazu aber wissen, dass Otto Schenk nicht besonders gut Englisch kann, und das, was er kann, mit einem breiten Wiener Akzent daher kommt.
Als sich im dritten Akt der Vorhang zur Gefängnisszene hob und Schenk loslegte, war das New Yorker Publikum leicht konsterniert. Wahrscheinlich verstanden sie nur die Hälfte. Außerdem war das doch eine Oper, aber es spielte keine Musik. Statt dessen redete und redete dieser Ausländer in unverständlichem Kauderwelsch daher. Die Stimmung wurde frostig.
Nur Joe und ich, die im Parterre Mitte rechts saßen, begannen uns zu kugeln: Schenk spielte die Rolle exakt so wie damals in Wien, nur in seinem unnachahmlichen Vienese English. Je länger er redete, desto mehr schrien wir beide vor Lachen. Und der Bühnenprofi Schenk merkte schnell, wo sein Publikum saß – und spielte nur noch für uns. Er kam ans rechte Bühnenrand, fixierte uns mit seinem Blick und holte immer weiter aus, sicher 20 Minuten lang.
Die Amis im Saal langweilten sich derweil zu Tode, und es gab unruhiges Scharren und Hüsteln. Als er schließlich zum Ende kam, wo es normalerweise tosenden Applaus gibt, blieb es ruhig im Saal – bis auf Joe und ich, die ihm eine standing ovation gaben. Als ich mich wieder hingesetzt hatte, schaute mich mein Sitznachbar ziemlich böse an. Aber mir ist das bis heute als einer der schönsten Opernabende meines Lebens in Erinnerung geblieben.