Heute ist ein großer Tag: Das erste Exemplar des neuen Buchs „Digitale Aufklärung – Warum uns das Internet klüger macht“, steht auf meinem Schreibtisch! Und ich bin sehr, sehr froh, dass ich das noch erleben durfte, denn zwischendurch sah es ehrlich gesagt nicht danach aus. Warum, das habe ich in dem Nachwort des Buches beschrieben, den ich hier in Auszügen als Blogpost veröffentliche, sozusagen als Hommage an meinen Freund Ossi und seinen unbedingten Durchhaltewillen.
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Wenn zwei Leute ein Buch zusammen schreiben, gibt es grundsätzlich eigentlich nur zwei mögliche Vorgehensweisen. Man kann die Kapitel aufteilen, und jeder schreibt für sich allein, doch dann besteht die Gefahr, dass ein solches Buch stilistisch und gedanklich auseinanderklafft. Die Gefahr ist besonders groß, wenn zwei so unterschiedliche Charaktere wie Ossi und ich aufeinander treffen. Er ist das seltene und seltsame Produkt der Frankfurter Schule und der indischen Philosophie, die er auf langen Reisen durch den Subkontinent bei weisen Lehrern studiert hat. Ich selbst bin trotz mehr als 50 Jahren in Deutschland ein ziemlich typischer Amerikaner geblieben, der sich dem Thema Technik relativ spielerisch-unbeschwert nähert und mit einem unbeirrbaren Optimismus nicht nur in die digitale Zukunft blickt.
Wir haben das Problem ganz einfach gelöst, indem wir beschlossen haben, das Buch im Sinne eines neoplatonischen Dialogs tatsächlich gemeinsam zu schreiben. Dazu waren mehrere, manchmal tageslange Gesprächsrunden nötig, bei denen wir die jeweiligen Themen hin und her gewendet und uns langsam einer gemeinsamen Position genähert haben. Das Tonband (in Wirklichkeit ein modernes digitales Aufnahmegerät) lief mit, und wir haben das Ergebnis abgeschrieben, redigiert, gekürzt, ergänzt, nachrecherchiert und schließlich gemeinsam verabschiedet.
Es begann mit dem, was wir rückblickend unsere „Spessarter Gespräche“ nennen, nämlich in Ossis Wochenendhaus bei Steinau an der Straße. Es folgten die „Lungauer Gespräche“ in St. Michael im Lungau in Österreich, wohin meine Frau und ich im Herbst 2012 gezogen waren, um unseren Lebensabend inmitten einer der schönsten Berglandschaften der Salzburger Alpen zu genießen. Diese Dialoge klappten auch ganz prima, und wir waren Ende 2012 schon ziemlich weit.
Genau genommen war das Buch zu zwei Dritteln fertig, aber es wartete noch eine Menge Arbeit auf uns, zum Beispiel Kapitel 3 („Denken in Echtzeit“) oder das abschließende Kaptel 11 („Selber denken!“) mit seinem Aufruf zu einem gesellschaftlichen Dialog, der Werte für eine echte Digitale Aufklärung schaffen soll. Beide Kapitel haben in dem Buch eine Schlüsselstellung, aber genau als wir sie angehen wollten, rief mich Ossi an und sagte mir, dass die Ärzte bei ihm Krebs diagnostiziert hätten. Er falle deshalb therapiebedingt für die nächsten Monate komplett aus. Dass er schwerkrank war und die durchaus reale Gefahr bestand, dass wir das Buch vielleicht nie würden zu Ende schreiben können, das musste er nicht dazu sagen.
Wir haben Martin Janick, unseren Partner beim Hanser-Verlag, angerufen, um ihm die Hiobsbotschaft zu erzählen, und er hat wunderbar reagiert. Ossi solle sich jetzt bloß keinen Kopf machen, sondern erst mal gesund werden, das sei das Wichtigste, dann würden wir weitersehen. Natürlich bleibe der Vertrag mit uns bestehen, und in ein paar Monaten könnten wir ja schauen, was zu machen sei.
Es dauerte ein gutes halbes Jahr, und alle „normalen“ Abgabetermine und Produktionszeitpläne waren längst Makulatur, als Ossi nach der – erfolgreichen – sechsten Chemo-Runde mit seiner Frau nach Salzburg flog und wir uns im Alten Forsthaus in St. Michael im Lungau zum Endspurt hinsetzten. Dieses letzte „Lungauer Gespräch“ und die darauf unmittelbar umgesetzten Kapitelbeiträge bilden die vielleicht wichtigsten Textpassagen dieses Buchs, denn sie strahlen zumindest für mich eine besondere Intensität der Argumentation und der logischen Herleitung aus, die auf mich fast ein bisschen unheimlich wirkt. Ich hatte jedenfalls beim Lesen manchmal eine leichte Gänsehaut. Ja, lieber Ossi, das war wirklich Denken in Echtzeit – so wie du es als Forderung an die digitale Gesellschaft und seine Bewohner immer wieder formuliert hast.
Wir haben dieses Buch eigentlich in allererster Linie für uns selbst geschrieben. Ich finde, das sind immer die besten Bücher. Das mag etwas egoistisch klingen, aber es lässt sich leider nicht leugnen, dass für mich – und ich denke auch für Ossi – dem Schreiben ein gewisser Selbstzweck innewohnt. Wir mussten das alles einfach mal loswerden, und wenn jemand das gut findet und vielleicht daraus für sich verwertbare Erkenntnisse oder gar eine Art neue Lebensorientierung ziehen kann, dann ist das gut so. Aber wenn jemand das Buch schlecht findet oder nicht versteht, dann ist das zwar schade, aber es bleibt am Ende sein Problem – auch wenn wir uns beim nächsten Mal natürlich bemühen werden, noch überzeugender zu argumentieren. Dies ist schließlich auch ein Buch gegen den grassierenden Kulturpessimismus und die tiefsitzende Technophobie in diesem Land, und da ist es unvermeidlich, ja sogar durchaus beabsichtigt, dass wir auf ein paar Zehen getreten sind.
Der „Online-Guru“ Ossi hat zwar seine Dreads lassen müssen im Kampf gegen den Krebs; im Moment, als ich diese Zeilen schreibe, sieht man ihm die Folgen der Chemotherapie deutlich an. Aber seine Augen blitzen wie immer und sein Kopf kommt nicht nur mit, sondern ist den meisten Kulturpessimisten allemal meilenweit voraus. Ich darf mit diesem Buch meinem Ruf als „Wanderprediger des deutschen Internets“, wie mich ein Buchkritiker in der „Süddeutschen“ mal nannte, nochmal ein paar Bergpredigten hinzufügen. Das Wichtigste aber: Es ist rechzeotig zur Vorstellung am 9. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse fertig geworden!