Für alle, die nicht das Glück haben, Abonnent des Economist und damit des besten Wirtschaftsmagazins der Welt zu sein und die sich immer noch Sorgen machen, wie man das Problem der stagnierenden Volkswirtschaften vor allem in Südeuropa auf die Sprünge helfen könnte, sei dieses Sakrileg ins Ohr geflüstert: „Wir brauchen Inflation in Deutschland!“
Ich weiß, jetzt zucken alle zusammen in kollektiver Erinnerung an die Geschichten, die uns unsere Großeltern erzählt haben über Geldscheine in Milliardenhöhe, mit denen man ein Brötchen kaufen konnte (oder die man lieber und profitabler als Heizmaterial verwendete). Aber es ist wirklich etwas dran: Die teutonische Urangst vor Inflation ist gerade dabei, die Europäische Union und die Eurozone auseinander zu reißen. Inflation ist nötig, damit sich die Europäische Einigung nicht nachträglich als Chimäre entpuppt.
Die Situation ist diese: Südeuropa, namentlich Griechenland, Spanien, Portugal und ein bisschen auch Italien, sind am Boden. Das knallharte Spardiktat von Merkel & Co. hat dort zu einer rasenden Deflation und zu Arbeitslosenzahl geführt, die nicht einmal von den USA während der „Great Depression“ der 30er übertroffen wird. Die Preise in diesen Ländern sinken, weil niemand Geld hat, um etwas zu kaufen.
Die Deutschen leben hingegen auf einer Insel der Seligen, in der die Inflationsrate mit gegenwärtig 2,1% zwar leicht über dem von der Europäischen Zentralbank ECB gesteckten Marke von 2%, aber deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 2,6% liegt. Und diese Zahl ist nicht wirklich belastbar, weil in ihr solche Faktoren versteckt sind wie die Ölpreissteigerungen und die in den Krisenländern eingeführt oder erhöhte Mehrwertsteuer, die als Sparmaßnahme zu greifen beginnt und kräftig Kaufkraft abschöpft.
Was wir jetzt haben ähnelt den Gezeiten am Atlantik: Wenn das Wasser sinkt, liegen alle Boote auf dem Trockenen, steigt sie, schwimmen sie wieder obenauf. Wenn Deutschland an seinem krankhaften Anti-Inflations-Wahn festhält, müssen die anderen Länder Deflation, also sinkende Preise, hinnehmen, um wettbewerbsfähig zu sein. Die Alternative, die Landeswährung abzuwerten, haben zumindest die Euro-Länder ja nicht mehr.
Anders ausgedrückt: Wenn Deutschland inflationstechnisch noch Wasser unterm Kiel hat, liegen die anderen am Boden und können ihre Boote nicht zum Fischen herausschicken. Sie haben nichts zu verkaufen und sinken deshalb immer tiefer.
Würde Deutschland vorübergehend eine etwas höhere Inflationsrate hinnehmen, sagen wir: 3%, dann könnten die Länder Südeuropas, in denen die Preise sinken oder wenigsten stabil geblieben sind, aufholen: Ihre Waren und Dienstleistungen würden in den wichtigen Märkten Nordeuropas wettbewerbsfähiger, ihre Volkswirtschaft hätte den Kopf über Wasser und könnten Atemluft schnappen und sich langsam erholen.
Bleibt Deutschland dabei, dass Inflation des Teufels und mit allen Mittel zu bekämpfen ist, dann schneiden sie den Krisenländern buchstäblich die Luft ab. Und was dann passiert, ist klar: Ohne Auslandsmärkte geht der „Export-Weltmeister Deutschland“ selbst unter.
Inflation ist der Preis, den wir dafür bezahlen müssen, dass wir weiterhin obenauf schwimmen dürfen. Zahlen wir ihn nicht, gehen wir mit den anderen unter. Ich halte inzwischen Ausschau nach einem Rettungsring.