Wann kommt die digitale Wende am Bau?

Die Baubranche ist älter als die Pyramiden, und vieles, was dort heute abgeht, erinnert noch an damals. “Die Bauwirtschaft hält die zweifelhafte Auszeichnung, die geringsten Produktivitätszuwächse aller Branchen gehabt zu haben“, schreiben die Analysten von McKinsey. Und es stimmt: In letzten Jahren war der Produktivitätsgewinn pro Arbeitsstunde im Baugewerbe sogar rückläufig!

Woran liegt das? Die Preise für Baumaterialien sind jedenfalls nicht schuld – die sind dank fehlender Inflation in Europa und den USA fast gleich geblieben! Zwar schimpft die Bauwirtschaft gerne über Bürokratismus und Regulierungswut, aber auch das erklärt die eklatante Stagnation der Branche nicht wirklich..

McKinsey hat dagegen zwei Faktoren ausgemacht, die ihrer Meinung nach die Ursache dafür sind, dass sich am Bau nichts bewegt:

Erstens ist das Baugewerbe im Laufe der letzten Jahre immer weniger kapitalintensiv geworden. Besonders in Europa haben sich Baufirmen bei der Anschaffung neuer Maschinen spürbar zurückgehalten – die meisten aus Angst vor der nächsten Rezession. „Die Bauwirtschaft hat durch bittere Erfahrung gelernt, immer für die nächste Rezession vorbereitet zu sein“, sagt Luc Luyten von der Beratungsfirma Bain & Company: „Kapitalintensive Ansätze in der Baubranche führen unweigerlich zu hohen Fixkosten, und es ist schwer, sie bei einem Abschwung wieder loszuwerden. Arbeiter sind im Gegensatz leicht zu feuern.“

Das Resultat: Investitionen in neue Technologien finden kaum statt. Mensch statt Maschine: Am Bau genügt es offenbar immer noch, zwei starke Arme zu haben. Trotz tendenziell sinkender Durchschnittslöhne sind Lohnkosten nach wie vor mit der wichtigste Kostenfaktor im Baugewerbe, und das nicht nur in so genannte Drittweltstaaten wie Indien oder Pakistan, wo es viel mehr Billigarbeiter gibt als bei uns.

Der zweite Grund, so McKinsey, liegt in der fehlenden Konsolidierung. In jeder anderen Branchen führen Marktkräfte über Zeit dazu, dass die Großen größer werden und die Kleinen zerquetschen. Das Baugewerbe scheint dagegen beweisen zu wollen, dass Adam Smith unrecht hatte. In den USA gab es 2016 mehr als 730,000 Baufirmen. Durchschnittliche Belegschaftszahl: 10.

In Deutschland sieht es nicht anders aus. Die 74,000 Baufirmen hierzulande beschäftigen je nach Saison zusammen rund 780.000 Menschen, sagt statista. Durchschnittliche Belegschaftszahl: 10,5.

Das Resultat ist ein blutiger Konkurrenzkampf und minimale Margen. Außerdem führt die „Kleinstaaterei“ zu starker Fragmentierung, oft mit Dutzenden von Subunternehmern, die alle ihre eigenen Interessen verfolgen.

Digitalisierung ist in der deutschen Baubranche weitgehend ein Fremdwort. Zwar nutzen die meisten Firmen inzwischen Building Information Modeling (BIM), um Planungsdaten in einem System digital zu bündeln. Die BIM-orientierte Arbeitsweise verspricht zahlreiche Vorzüge: Mehrfacheingaben durch die jeweils beteiligten Fachplaner werden vermieden, Arbeitsabläufe werden effizienter, die Produktivität wird verbessert, Planungs- und Ausführungsqualitäten gesteigert. Projektdaten können parallel bearbeitet werden – von mehreren Bearbeitern und von verschiedenen Standorten aus. In der Ausschreibungsphase ist eine präzisere und schnellere Kostenkalkulation und Bauzeitenplanung möglich. Werden alle für die Produktion, Lieferung, Montage und Ausführung relevanten Informationen in das BIM-Modell eingepflegt, lassen sich entsprechende Prozesse optimieren. So können etwa Bau- und Montageabläufe anhand des BIM-Modells bis ins Detail simuliert werden, um Überraschungen auf der Baustelle vorzubeugen.

Aber BIM kann nicht alles. So sind BIM-Datenmodelle erheblich aufwendiger als die zeichnungsorientierte Planung. Zwar wird dieser Mehraufwand zumindest theoretisch in der Bauphase wieder ausgeglichen, beispielsweise durch reduzierte Fehlerhäufigkeit. Aber durch das BIM-Modell verlagert sich der Arbeitsaufwand für die Baufirmen immer weiter nach vorne in die Planungsphase, wo aber viele für BIM erforderliche Informationen noch gar nicht vorliegen. Außerdem stellt diese Arbeitsweise für die Unternehmen ein Risiko dar: Sie müssen für 3D-Modelle in Vorlage gehen, ohne zu wissen, ob sie davon einen Nutzen haben werden. Und kaum ein Auftraggeber ist bereit, den Mehraufwand zu vergüten: Der Bauträger bleibt meistens darauf sitzen.

Die kleinteilige, heterogene Unternehmensstruktur der deutschen Bauwirtschaft tut ein Übriges, um den Einsatz von BIM zu erschweren. Oft arbeiten mehrere Büros und Baufirmen mit unterschiedlichen Softwarewerkzeugen an einem Projekt, was regelmäßig zu Streit um die Kosten für Dateneingabe und Datenpflege führen kann. Dazu kommt, dass insbesondere Architekten in der Branche dafür verschrien sind, dass sie niemanden an ihre Daten ranlassen wollen: Planungsdaten werden als geistiges Eigentum und Herrschaftswissen gehütet und nur höchst widerwillig in ein fremdes System eingepflegt.

Dazu kommt, dass BIM nicht gleich BIM ist. Branchenkundige unterscheiden zwischen „Big BIM“ und „Little BIM“. Unter Big BIM versteht man die Zusammenarbeit aller an der Planung, Ausführung und Nutzung eines Bauwerks beteiligter Partner und deren Softwarewerkzeuge unterschiedlicher Hersteller über ein gemeinsames BIM-Datenmodell. Little BIM dagegen beschreibt den Einsatz als »Insellösung« innerhalb eines Unternehmens oder einer Planungsdisziplin und einer Softwarelösung eines einzigen Herstellers. Angesichts einer hierzulande vorherrschenden arbeitsteiligen Planung und dem Zwang zu messerscharfer Margenkalkulation fehlt es häufig an der Bereitschaft, gemeinsam in die für eine fachübergreifende Zusammenarbeit nötige leistungsfähige Schnittstellen zu investieren.

Michael Shomberg, als Global Vice President bei SAP für das Bau- und Ingenieurwesen verantwortlich, ist überzeugt, dass die Zukunft des Bauwesens in der Digitalisierung liegt. „Vom Materialfluss bis zur Personalplanung – digitale Technologien werden überall zu Effizienzsteigerungen und Skalierungseffekten führen. Roboter und 3D-Drucker können den Materialeinsatz am Bau um zwischen 30 und 60 Prozent reduzieren und sparen zwischen 50 und 80 Prozent der benötigten Zeit.

Shomberg hat fünf Bereiche identifiziert, in denen sich die Digitalisierung in der Baubranche  am nachhaltigsten auswirken wird:

Wissensvermittlung gegen demografischen Wandel

Der demografische Wandel hat längst auch die Baubranche erfasst. Ältere Facharbeiter gehen in den Ruhestand (und mit ihnen jahrlange Erfahrung über benötigte Materialmengen Werkzeuge usw.). Nachwachsende qualifizierte Fachkräfte sind, wie in jeder Branche heute,  schwer zu finden. Außerdem fehlt es den jungen Talenten an Praxiserfahrung. Die Dokumentation von Best Practices wird deshalb zunehmend existenzkritisch, weil sonst Unfälle, Nachbesserungen und Terminüberschreitungen zunehmend den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen gefährdenden werden. Außerdem sind die jungen Mitarbeiter längst gewohnt, mit digitalen Prozessen und Endgeräten umzugehen und erwarten von ihren Arbeitgebern, dass sie papierbasierter Prozesse aufgeben: Für sie sind Tablett und Smartphone das Arbeitsgerät der Wahl.

Smart Sites: Baustellen mit Köpfchen

Die Industrialisierung des Bauwesens steckt, so Shomberg, noch in den Kinderschuhen und sollte schleunigst vorangetrieben werden. Teile, die früher je nach Bedarf direkt an der Baustelle gefertigt wurden, sollten ausgelagert werden in die Vorfabrikation, so sie durch den Einsatz von Robotern und 3D-Druckern mit geringeren Fehlertoleranzen und Ausschussraten hergestellt und anschließend zeitig zur Baustelle transportiert werden können.BoKlok, eine Ikea-Tochter, baut zusammen mit dem skandinavischen Bauriesen Skanska industriell gefertigte Häuser, die zu 80 Prozent in einer Fabrik mit Hilfe von Automation, Robotern und 3D-Druckern zusammengebaut werden und erst danach an den späteren STandort transport iert werden.

Vorgefertigte „Lego-Bauteile“ können schnell zusammengesetzt werden, wobei hier in Zukunft intelligente Arbeitskleidung (so genannte „Wearables“) und Assistenzsysteme wie Augmented Reality („Google Glass) auch den Einsatz von weniger qualifizierten (und deshalb weniger hochbezahlten) Arbeitskräften möglich machen wird. Sensoren können in Echtzeit Informationen von der Baustelle sammeln, den Baufortschritt überwachen und rechtzeitig warnen, bevor Probleme auftreten („predictive analysis“). Diese Info kann sofort an die Firmenzentrale übermittelt werden, so dass Subunternehmer ihr Geld schneller bekommen – und nur nach Leistung und Baufortschritt bezahlt werden.

Kollaboration schafft Vertrauen

Bauherren, Subunternehmer, Architekten und andere Teammitglieder sollten vertraglich zum rechtzeitigen Teilen von Informationen verpflichtet werden. Shomberg fordert auch, die Vergütung der einzelnen Gewerke vom Baufortschritt insgesamt abhängig zu machen und nicht (oder nicht nur) von der erbrachten Eigenleistung oder von den Arbeitsstunden. Dank „Big BIM“, ERP und andere Kollaborationssysteme wird das Teilen von strukturierten (2D/3D Zeichnungen, Kostenvoranschläge, etc.) und unstrukturierten (Word-Dokumente, Excel-Tabellen, Handbücher) Informationen erleichtert, was vor allem die Zahl der Auftragsänderungen reduzieren kann. Und was noch wichtiger ist: Durch den ständigen Austausch unter den Teammitgliedern wächst mit der Zeit das gegenseitige  Vertrauen und der Respekt voreinander.

Beziehungsnetzwerke und Bewertungsportale

Im Zeitalter von Social Media werden Beziehungsnetzwerke immer wichtiger. So etwas Ähnliches stellt sich Shomberg auch für das Baugewerbe vor. Erfahrene Facharbeiter werden ihre Dienste, wie er glaubt, zunehmend über spezielle Suchplattforme anbieten. Bauherren werden reagieren, indem sie ihrerseits offene Stellen online ausschreiben. Beide werden sich gegenseitig auf branchenspezifischen Bewertungsportalen Noten geben, so dass der gute Ruf am Ende für beide Seiten entscheidend sein wird: Facharbeiter können nachschauen, wie viele Punkte oder Sterne ein neuer Arbeitgeber bekommen hat, und Baufirmen können auf einen Blick sehen, wie ein Bewerber bisher bei Arbeitgebern und Bauherren „angekommen“ ist. Gewerkschaften könnten hierbei eine wichtige Rolle spielen, glaubt Shomberg, beispielsweise in dem sie ihren Mitgliedern gezielte Qualifizierungsangebote machen, die es ihnen erlauben, neue Fähigkeiten zu erwerben und mehr zu verdienen. Gleichzeitig erwartet er, dass sich neue Formen der Vermittlung von Arbeitskräften etablieren werden, die nach dem „Uber-Modell“ Fachkräfte sozusagen auf Abruf zur Verfügung stellen.

Kommissionierung und Bauübergabe

Ein kritischer Moment bei jedem Bauvorhaben ist dann, wenn das fertige Projekt an den Bauherren übergeben wird. Allzu häufig müssen Informationen, die im BIM oder anderen Systemen des Bauträgers bereits vorhanden sind erneut in die Systeme des Bauherren übertragen oder schlimmstenfalls händisch eingegeben werden. Digitalisierung kann diesen Übergabeprozess immens erleichtern oder sogar überflüssig machen, weil beide Seiten ohnehin schon in Verbindung stehen und regelmäßig Daten austauschen. Dabei werden die Daten aus der Designphase den „roten Faden“ bilden von der Baustelle bis zum Anlagenverwaltungssystem. Es ist deshalb unabdingbar, dass der Architekt von Anfang an mit im Boot ist und seine Daten mit den anderen teilt.

Durch die Verlinkung von Daten aus BIM, ERP und Projektmanagement-Systemen lässt sich der jeweilige Baufortschritt visualisieren und gibt damit allen Beteiligten einen besseren Überblick, was dazu beiträgt, Fehler und Nachbesserung zu vermeiden. Informationen  über Gewährleistung und Wartung eingebauter technischer Einrichtungen wie Klimaanlagen oder Aufzüge  lassen sich in einer zentralen Datenbank ablegen und nach Bauabschluss an den Betreiber zu Dokumentationszwecken übergeben.

Für die Baubranche in Deutschland und anderswo ist vieles, was Shomberg beschreibt, noch Zukunftsmusik. Bei Dingen wie die Digitalisierung von Fachwissen, die enge Vernetzung mit Subunternehmern, die morgen schon der Konkurrent sein könnten, neuartige Kommissionierungs- und Operationsplattformen und der Umbau der zur „smarten“ Baustelle stehen die meisten noch ganz am Anfang, und viele zögern noch, überhaupt den Weg in die Digitalisierung einzuschlagen. Das Baugewerbe ist schließlich tief mit liebgewordenen Traditionen durchzogen.

Doch es führt kein Weg daran vorbei, glaubt Shomberg. „Du kannst die Uhr weder anhalten noch zurückdrehen. Wer den Weg in die Digitalisierung scheut, wird früher oder später erleben, wie der Wettbewerb an ihm vorbeizieht.“ Wer sich eine sichere Zukunft bauen will, muss umdenken lernen.

 

 

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