Die schönsten Reisen sind die zwischen zwei Buchdeckel. Die Hotelbranche hat das erkannt – und schafft inzwischen besondere Urlaubsangebote für Leseratten.
In einer Hängematte liegen und in einem Krimi schmökern: Für viele das reinste Paradies. Im Zeitalter von E-Mail und E-Books, von digitalen Medien und flimmernden Bildschirmtexten bilden Bücher einen Rückzugsraum. Wissenschaftler wie der Salzburger Dozent Mark Kramer haben dafür schon einen neuen Begriff geprägt: „Digital fatgiue syndrom“, zu Deutsch „digitale Ermüdung“: Ein Zustand ständiger psychologischer Überforderung durch den dauernden Gebrauch digitaler Informations- und Kommunikations-Medien.
Man kann das beklagen – oder etwas dagegen tun. Das dachte sich jedenfalls der Österreicher Sebastian Mettler, Chef der Agentur „Innovationswerkstatt“, als er die Idee hatte, Hotelbetriebe im Kampf gegen den Zustand digitaler Erschöpfung zu mobilisieren. Das Ergebnis ist eine Hotelkette ganz anderer Art: die „Bibliotels“.
In der Hektik des Alltags, so Mettler, fehlt insbesondere vielbeschäftigen Menschen oft die Zeit, sich dem Genuss eines guten Buches hinzugeben. Wenigstens in den schönsten Wochen des Jahres soll das anders werden: Eine wachsende Schar von Herbergsbetrieben erklärt sich inzwischen durch ihre Mitgliedschaft in der Bibliotel-Gruppe bereit, ihren Gästen die Ferientage durch „lustvolles Lesen“ zu neuem Sinn zu verhelfen. Bibliotel kann jedes Hotel werden, von der Sennerhütte bis zum Fünfsternehaus. Voraussetzung ist nur, dass sie eine gut sortierte Bibliothek sowie ein dem Lesen förderliches Ambiente bieten. Je nach Kategorie bekommen die Betriebe zwei, drei, vier oder fünf „Bücher“ als Qualitätssymbol verliehen für ihr eigenes Marketing, analog dem Sterne-System der Hotel- und Gaststättenverbände. Ein Zweibücher-Haus muss mindestens 300 Bücher vorhalten, beim Fünfbücher-Betrieb müssen es sogar mindestens 1.500 sein. Spezielle Lesenischen oder Leseecken, dazu eine Auswahl an Büchern in fremden Sprachen sowie Hörbücher, aktuelle Journale und Zeitungen sowie das Angebot von „Lese-Utensilien“ und „Lese-Souvenirs“ wie Lesezeichen, Bücherhalter oder bequeme Nackenstützen für das Lesevergnügen daheim fließen bei der Beurteilung des Betriebs mit ein und werden durch zusätzliche Buch-Symbole belohnt.
Vor allem soll das Lesen als Teil des Urlaubserlebnisses gefördert werden. In Konrad Dudens Geburtshaus in Wesel, das heute „Brownhouse“ heißt und ein Hotel mit 65 Zimmer und Suiten beherbergt, hat Hotelchefin Nicole Pfitzner die Aufenthaltsräume als spezielle „Themenzimmer“ umgestalten lassen, zum Beispiel das „Agathe-Christie-Zimmer“ oder das „Edgar-Wallace-Zimmer.“ Mehr als 700 Bücher stehen in Regalen in den Räumen und Gängen. „Die Gäste schätzen die Atmosphäre. Sie lesen, wann und wo sie wollen und werden sichtlich ruhiger“, sagt die Gastgeberin.
Andere Häuser das „Landhaus Fühldichwohl“ in der Steiermark oder das „Haus am See“ am Weißensee in Kärnten bieten spezielle „Krimiräume“ auf einer Waldlichtung oder einen „Romatikraum“ auf einer Liegewiese. Autorenlesungen werden in Kooperation mit Verlagen und Buchhändlern organisiert. Jeder Gast kann vor Reiseantritt sein Lieblingsbuch bestellen und aufs Zimmer bringen lassen. Die Essenzeiten sind flexibel gehalten, damit sich niemand punkt zwölf von seiner Lektüre losreißen und in den Speisesaal hetzen muss.
Rund 150 Hotels in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol zählt die Bibliotel-Gruppe mittlerweile. Mehr wie 200 möchte Initiator Sebastian Mettler nicht aufnehmen, um die Exklusivität des Angebots zu wahren und eine gewisse Qualitätskontrolle zu ermöglichen. Diese findet in Form von Selbstkontrolle über Fragebögen, aber auch durch „Mystery-Checks“ von Testern sowie Gästebefragungen statt. „Die Marke Bibliotel soll perfekt auf die Zielgruppe der Leser und Leserinnen abgestimmt bleiben, für die Lesen selbst ein Reisemotiv ist“, sagt Mettler. Ihm geht es darum, die „Lust auf das Entdecken neuer Welten, Geschichten, Mythen und Spannung, Lebensgefühl, Genuss, Bereicherung und Sichterweiterung“ zu verstärken. Vielleser sind auch Vielreisende, so seine Beobachtung, und sie sind in der Regel auch anspruchsvolle Menschen, die Kunst und Kultur genießen wollen und für die der Urlaub dabei eine wichtige Rolle spielt.
„Nicht, dass man ohne Lesen nicht reisen könnte oder ohne Reisen nicht lesen“, sagt Mettler, „aber lesend reist es sich besser, und reisend liest es sich besser.“ Selbst für Vergessliche gibt es in seinem Konzept Platz: Wer bei der Abfahrt zu Hause seine Lesebrille liegen gelassen hat, bekommt bei der Ankunft in seinem Bibliotel eine neue ausgehändigt. Schließlich will man ja keine Minute Leseurlaub verpassen…
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