Eltern liegen oft nachts wach, weil sie sich Sorgen machen, dass ihre Kinder gerade irgendwo einen Joint anzünden oder sich die Spritze geben könnten. Komasaufen und Drogensucht bei Jugendlichen gelten in Deutschland als Geisel, der niemand Herr wird. In meiner Heimat Amerika haben angeblich schon 50% aller Highschool-Schüler Erfahrung mit Drogen gemacht. In der UK sind es 40%, die zugeben, schon mal verbotene Substanzen wie Cannabis und Ecstasy probiert zu haben, sagt das European School Survey Project. Wo soll das alles enden?
Aber nun mal halblang, bitte: Bevor wir Alten über die Drogensucht unserer Kinder Schlaf verlieren, hier eine gute Nachricht – der regelmäßige Alkoholkonsum nimmt bei den 12- bis 17-Jährigen seit Jahren ab. Von einem Gipfel im Jahr 2007, als 26,7% der Jungen und 16,2% der Mädchen zugaben, ab und zu an der Flasche zu hängen, ist die Zahl mittlerweile auf 18%, bzw. 9% gesunken. Das korrespondiert übrigens mit einem Rückgang bei (Tabak-)Rauchen. Jugendliche in Deutschland rauchen nämlich kaum noch. Der Anteil der rauchenden 12- bis 17-Jährigen sank nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im vergangenen Jahr auf einen neuen Tiefstand von 7,8 Prozent, wie die Zeit berichtet. Zur Jahrtausendwende hatte die Quote noch bei 27 bis 28 Prozent gelegen.
Werden unsere Kids vernünftiger? Haben die zahllosen Appelle, Aufklärungskampagnen und Abhilfemaßnehmen tatsächlich Früchte getragen? Sind die Milliarden, die wir im Nachkriegsdeutschland in die Drogenprävention gekippt haben, am Ende eine gute Geldanlage gewesen? Sind Jugendliche heute weniger suchtanfällig als früher?
Oder gibt es vielleicht eine ganz andere Erklärung?
Zunächst sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass Sucht als ein unabweisbares Verlangen nach einem bestimmten Gefühls-, Erlebnis- und Bewußtseinszustand definiert wird. Dieser kann durch stimulierende oder bewusstseinserweiternde Substanzen ausgelöst werden, kann aber auch andere, sozusagen nichtorganische Ursachen haben.
Das Smartphone, zum Beispiel. Wenn man Kids in der U-Bahn zuschaut, wie sie alle dasitzen und daddeln, denkt man schon instinktiv an suchtartiges Verhalten (nicht, dass wie Erwachsenen da besser wären, wir hängen auch Tag und Nacht am Handy wie der Fixer an der Nadel).
Bei etwas Nachdenken fällt einem aber schon die Korrelation zwischen Smartphone-Nutzung bei Jugendlichen (88% der 16- bis 18jährigen nutzen heute so ein Ding) und dem Rückgang des Drogenkonsums.
In den USA ist der Trend noch ausgeprägter. „Are Teenagers Replacing Drugs With Smartphones?”, fragt heute die New York Times. Schüler sind dort, genau wie bei uns, oft richtige “Heavy User” von Smartphones. Nur gibt es leider noch keine belastbaren Studien über den Zusammenhang zwischen Drogen- und Kommunikationssucht. Aber Wissenschaftler wie Nora Volkow, Direktor am Nationalen Institut für Drogenmissbrauch (National Institute on Drug Abuse) möchte das demnächst gerne nachholen. Immerhin sei bekannt, ´dass interaktive Medien, so Volkow, als „alternative Verstärker“ zu Drogen wirken können, und sie fügt hinzu: „Teens können beim Spielen im Wortsinn high werden.“
Es kommt uns zwar so vor, als gäbe es Smartphones schon ewig, aber in Wirklichkeit sind sie so neu, dass die Wissenschaft bisher kaum Zeit gehabt hat herauszufinden, was solche Geräte mit unseren Gehirnen anstellen. Klar ist nur, dass mobile Endgeräte und Social Media nicht nur unser Bedürfnis nach Verbindung befriedigen, sondern auch als hocheffiziente Rückkopplungsschleife dienen. Sie verstärken sich in ihrer Wirkung also gegenseitig.
“Kids haben quasi seit 10 Jahren eine tragbare Dopaminpumpe in der Tasche“, sagte Prof. David Greenfield von der University of Connecticut dem Times-Reporter. Dopamin ist ein Neurotransmitter – eine Art Hormon – und leitet Signale zwischen Neuronen weiter. Dopamin für eine Vielzahl von Körperreaktionen verantwortlich, so etwa für die Feinmotorik oder die Körperbewegung, aber auch für psychischen Antrieb, Wohlbefinden, Lebensfreude, Mut, Konzentration und Vergnügen. Es ist sozusagen ein körpereigenes „Belohnungssystem“ – und wie wir wissen, können solche Systeme gefährlich werden, denn Dopamin wird auch bei der Einnahme von Amphetaminen, Opiaten und Kokain verstärkt ausgeschüttet und führt so zur Sucht.
Fallen also unsere Kids gerade aus dem Topf direkt ins Feuer? Ersetzen sie eine Form von Sucht mit einer anderen, ebenso gefährlichen? Ich denke nein.
Erstens hat mein iPhone kaum körperliche Nebenwirkungen. Gut, den Augen kann es nicht guttun, wenn ich den ganzen Tag auf diesen kleinen Bildschirm starre, und ich wundere mich schon, dass es keine Berichte über „Smartphone-Daumen“ als moderne Volkskrankheit gibt. Kids tippen bekanntlich mit dem Daumen und nicht, wie die meisten Erwachsenen, mit den Zeigefingern. Wenn Sie wissen wollen, wie alt jemand ist, genügt es oft, sie zu fragen, mit welchem Finger sie an einer Haustür klingeln. Wenn es der Zeigefinder ist, dann ist derjenige wahrscheinlich vor 2007 aufgewachsen, das Jahr, in dem der iPhone vorgestellt wurde.
Okay, man kann sich wehtun, wenn man vor lauter Starren ins Smartphone gegen einen Laternenmasten, in ein Auto oder in einen anderen Passanten läuft, der ebenfalls in sein Gerät vertieft ist. Aber ansonsten halten sie sich physischen Schäden beim Smartfonieren eher in Grenzen.
Aber wie sieht es zweitens mit den psychischen Folgen aus? Ich denke, die halten sich auch in Grenzen. Mein Freund Gerd Leonhard warnt zwar in seinem Buch Technology vs. Humanity vor der nächsten Generation von dem, was er als „Intelligent Digital Assistents“ oder IDAs nennt, denen er die Fähigkeit zuspricht, uns die Last des Lebens abzunehmen und uns so hirntot und fremdgesteuert zu machen, aber ich denke, auch in Zukunft wird nur mit Wasser gekocht werden. Das Gleiche haben unsere Eltern über den Fernseher gesagt, und wir haben es über die Walkmans unserer eigenen Kinder gesagt.
Kids haben eine seltsame Begabung darin, den vielen Fallen auszuweichen, die der Fortschritt ihnen in den Weg legt. Bei Socrates war es die Schrift, die gerade eben aus Ägypten eingeführt worden war und die, so der grantige Greis, „das Vergessen in die Seelen pflanzen“ würde – wir würden nichts mehr auswendig lernen. O tempora, o mores!, oder wie das auch immer auf Altgriechisch heißt.
Es wird diesmal auch nicht anders sein. Die Kids werden ihren Weg schon machen, egal was wir Alten ihnen sagen. Also lasst sie daddeln – sie tun niemandem damit weh, sich selbst am allerwenigsten.
Mir ist jedenfalls tausendmal lieber, meine Tochter (oder mittlerweile meine Enkeltochter) hängt ständig am Smartphone als an einer Nadel. Das Handy als Gegenmittel – das hat doch was? Vielleicht können wir das viele Geld, das wir für die Suchtprävention ausgeben, in subventionierte Smartphones stecken. Dort wäre es meines Erachtens wesentlich besser angelegt.
PS: Viel mehr Sorgen mache ich mir als alter Zeitungsmann über den Niedergang der Tageszeitung bei Jugendlichen. Nur noch ein knappes Viertel von ihnen greift überhaupt noch danach. O tempora, o mores, indeed.