Nichts ist langweiliger, als die Pointe eines Witzes erklären zu müssen. Aber da mein Satz über Dolchstoßlegenden und Judenlügen, der auf Frank Schirrmacher und sein schreckliches Buch “Payback” gemünzt war, offenbar doch bei einer beträchtlichen Anzahl von vorwiegend deutschen Menschen auf Unverständnis gestoßen ist, werde ich es doch tun. Obwohl es eigentlich kein Witz war, sondern mein bitterer Ernst.
Also: Als historisch Denkender bin ich stets bemüht, wiederkehrende Muster im Ablauf des großen Schauspiels namens Menschheitsgeschichte zu erkennen. Und es ist nun mal Fakt, dass der Aufbau von Feindbildern in der Vergangenheit immer wieder ein probates Mittel gewesen ist, vom eigentlichen Thema abzulenken und den “gesunden Volkszorn” gegen Unschuldige zu richten.
Ich habe in “Warum Frank Schirrmacher nicht mehr mitkommt” zwei Beispiele genannt. Die erste ist die unsägliche “Dolchstoßlegende”, die von wertkonservativen Nationalisten dazu verwendet wurde, von der Kriegsschuld Deutschlands 1914 abzulenken und den Widerstand breiter Bevölkerungskreise gegen das Dekret von Versailles zu kanalisieren. Ganz bestimmt haben diese Leute nicht beabsichtigt, Hitler zur Macht zu verhelfen, aber sie haben es leider doch getan.
Etwas anders liegt der Fall bei der Judenverfolgung, als unter dem Schlachtruf “die Juden sind unser Verderben” Tausende von ansonsten unbescholtenen Normalbürgern billigend in Kauf nahmen, dass zunächst Synagogen niedergebrannt, jüdische Läden boykottiert, ihre Mitbürger mosaischen Glaubens zum Tragen eines gelben Davidsterns genötigt wurden und ebendiese Menschen, bis dato ihre friedlichen Nachbarn, nachts abgeholt und “irgendwohin” gebracht wurden. Nein, die große Mehrheit hätte den Genozid vermutlich abgelehnt, weshalb sich die Nazis auch um Geheimhaltung über den wahren Zweck der Vernichtungslager bemühten, die wie in Dachau teilweise am Rande friedlicher deutscher Kleinstädte errichtet wurden. Was dort vorging, wollte man am besten gar nicht wissen. So mächtig ist Propaganda.
Man könnte die Beispiele fortspinnen. Die Verteufelung ist in der Politik stets ein wirksames Werkzeug gewesen. Nur richtete sie sich in der Vergangenheit in der Regel gegen anderen Menschen, Menschengruppen (insbesondere Minderheiten), Völkern, Staaten oder Ideologien. Es gibt aber auch Beispiele dafür, wie Technologie zum Feindbild aufgebaut wurde, etwa die Anhänger von Ned Ludd, die englische Arbeiter Anfang des 19. Jahrhunderts gegen die Bedrohung der Verelendung durch die einsetzende Industrialisierung aufwiegelten. Auch in Deutschland kam es zwischen 1830 und 1847 zu Maschinenstürmen, allerdings (wie der entsprechende Wikipedia-Eintrag richtig feststellt) in geringerem Umfang, “so dass hier besser von ‘Maschinenprotest’ als Maschinensturm zu sprechen ist.”
Der Mechanismus, nach dem Feindbilder funktionieren, besteht darin, die wahrgenommene Welt als zweigeteilt darzustellen und die “andere Seite” mit grundsätzlich negativen Vorstellungen, Einstellungen und Gefühlen zu verbinden. Dies ist die Methode, die Frank Schirrmacher zur wahren Meisterschaft geführt hat, sei es im “Methusalem-Komplott” (Alt gegen Jung), sei es in “Minimum” (Gemeinschaft gegen Individualisten) oder eben auch in “Payback” (Internet gegen Mensch).
So, um nun die Pointe meiner gar nicht witzig gemeinten Bemerkung zu erklären: Ich behaupte nicht, dass Schirrmacher ein Nazi ist. Er ist auch kein Monarchist, Idealist, Fundamentalist oder Terrorist. Aber er verwendet Methoden, die in der Vergangenheit von den Anhängern solcher Extrembewegungen gerne aufgegriffen und verwendet wurden, um ihre fragwürdigen Ziele zu erreichen. Man kann ihm also geringsten falls vorwerfen, sich zum Handlanger zu machen. Journalisten sind dafür besonders anfällig, weil sie gelernt haben, zu verknappen, zu verdichten und dann damit zu polarisieren.
Das ist der von mir beschriebene Boulevardjournalist in Schirrmacher – eine Beschreibung, die komischerweise bisher keinen Kommentator dieses Blogs gestört hat, obwohl es für einen Mann wie Schirrmacher, dessen “FAZ” ja als Eisbergspitze des Qualitätsjournalismus in Deutschland gilt, vermutlich noch ehrenrühriger ist als Vorwurf des Propagandamachens. Aber – und da hat Mike Godwin natürlich vollkommen recht – der Nazivergleich wird gerade in Deutschland fast reflexartig abgelehnt , weil damit angeblich irgendeine moralische Grenze überschritten wird.
Ich sehe das anders. Der Aufstieg des Nationalsozialismus war zu allererst und vor allem eine Meisterleistung der Meinungsmacherei. Sauberes Handwerk, könnte man als Medienprofi sagen. Nur darf man das nicht, weil man das in Deutschland nicht darf.
Nun, als Amerikaner habe ich ohnehin ein etwas anderes Verständnis von Meinungsfreiheit. Und als studierter Historiker sehe ich im historischen Vergleich ein unverzichtbares Mittel, um Klarheit zu schaffen und Warnungen zu formulieren. Wie sagte es doch George Santayana: “Wer sich der Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.”
Schirrmachers Dolchstoß
Donnerstag, 26. November 2009
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Historische Vergleiche sind manchmal unangenehm. Aber sind sie deshalb tabu?
Nichts ist langweiliger, als die Pointe eines Witzes erklären zu müssen. Aber da mein Satz, “In einem anderen Zeitalter haben Leute wie er Dolchstoßlegenden erfunden oder Juden als die Ursache allen Übels ausgemacht”, der auf Frank Schirrmacher und sein schreckliches Buch “Payback” gemünzt war, offenbar doch bei einer beträchtlichen Anzahl von vorwiegend deutschen Menschen auf Unverständnis gestoßen ist, werde ich es doch tun. Obwohl es eigentlich kein Witz war, sondern mein bitterer Ernst.
Also: Als historisch Denkender bin ich stets bemüht, wiederkehrende Muster im Ablauf des großen Schauspiels namens Menschheitsgeschichte zu erkennen. Und es ist nun mal Fakt, dass der Aufbau von Feindbildern in der Vergangenheit immer wieder ein probates Mittel gewesen ist, vom eigentlichen Thema abzulenken und den “gesunden Volkszorn” gegen Unschuldige zu richten.
Ich habe in “Warum Frank Schirrmacher nicht mehr mitkommt” zwei Beispiele genannt. Die erste ist die unsägliche “Dolchstoßlegende”, die von wertkonservativen Nationalisten dazu verwendet wurde, von der Kriegsschuld Deutschlands 1914 abzulenken und den Widerstand breiter Bevölkerungskreise gegen das Dekret von Versailles zu kanalisieren. Ganz bestimmt haben diese Leute nicht beabsichtigt, Hitler zur Macht zu verhelfen, aber sie haben es leider doch getan.
Etwas anders liegt der Fall bei der Judenverfolgung, als unter dem Schlachtruf “die Juden sind unser Verderben” Tausende von ansonsten unbescholtenen Normalbürgern billigend in Kauf nahmen, dass zunächst Synagogen niedergebrannt, jüdische Läden boykottiert, ihre Mitbürger mosaischen Glaubens zum Tragen eines gelben Davidsterns genötigt wurden und ebendiese Menschen, bis dato ihre friedlichen Nachbarn, nachts abgeholt und “irgendwohin” gebracht wurden. Nein, die große Mehrheit hätte den Genozid vermutlich abgelehnt, weshalb sich die Nazis auch um Geheimhaltung über den wahren Zweck der Vernichtungslager bemühten, die wie in Dachau teilweise am Rande friedlicher deutscher Kleinstädte errichtet wurden. Was dort vorging, wollte man am besten gar nicht wissen. So mächtig ist Propaganda.
Man könnte die Beispiele fortspinnen. Die Verteufelung ist in der Politik stets ein wirksames Werkzeug gewesen. Nur richtete sie sich in der Vergangenheit in der Regel gegen anderen Menschen, Menschengruppen (insbesondere Minderheiten), Völkern, Staaten oder Ideologien. Es gibt aber auch Beispiele dafür, wie Technologie zum Feindbild aufgebaut wurde, etwa die Anhänger von Ned Ludd, die englische Arbeiter Anfang des 19. Jahrhunderts gegen die Bedrohung der Verelendung durch die einsetzende Industrialisierung aufwiegelten. Auch in Deutschland kam es zwischen 1830 und 1847 zu Maschinenstürmen, allerdings (wie der entsprechende Wikipedia-Eintrag richtig feststellt) in geringerem Umfang, “so dass hier besser von ‘Maschinenprotest’ als Maschinensturm zu sprechen ist.”
Der Mechanismus, nach dem Feindbilder funktionieren, besteht darin, die wahrgenommene Welt als zweigeteilt darzustellen und die “andere Seite” mit grundsätzlich negativen Vorstellungen, Einstellungen und Gefühlen zu verbinden. Dies ist die Methode, die Frank Schirrmacher zur wahren Meisterschaft geführt hat, sei es im “Methusalem-Komplott” (Alt gegen Jung), sei es in “Minimum” (Gemeinschaft gegen Individualisten) oder eben auch in “Payback” (Internet gegen Mensch).
So, um nun die Pointe meiner gar nicht witzig gemeinten Bemerkung zu erklären: Ich behaupte nicht, dass Schirrmacher ein Nazi ist. Er ist auch kein Monarchist, Idealist, Fundamentalist oder Terrorist. Aber er verwendet Methoden, die in der Vergangenheit von den Anhängern solcher Extrembewegungen gerne aufgegriffen und verwendet wurden, um ihre fragwürdigen Ziele zu erreichen. Man kann ihm also geringsten falls vorwerfen, sich zum Handlanger zu machen. Journalisten sind dafür besonders anfällig, weil sie gelernt haben, zu verknappen, zu verdichten und dann damit zu polarisieren.
Das ist der von mir beschriebene Boulevardjournalist in Schirrmacher – eine Beschreibung, die komischerweise bisher keinen Kommentator dieses Blogs gestört hat, obwohl es für einen Mann wie Schirrmacher, dessen “FAZ” ja als Eisbergspitze des Qualitätsjournalismus in Deutschland gilt, vermutlich noch ehrenrühriger ist als Vorwurf des Propagandamachens. Aber – und da hat Mike Godwin natürlich vollkommen recht – der Nazivergleich wird gerade in Deutschland fast reflexartig abgelehnt , weil damit angeblich irgendeine moralische Grenze überschritten wird.
Ich sehe das anders. Der Aufstieg des Nationalsozialismus war zu allererst und vor allem eine Meisterleistung der Meinungsmacherei. Sauberes Handwerk, könnte man als Medienprofi sagen. Nur darf man das nicht, weil man das in Deutschland nicht darf.
Nun, als Amerikaner habe ich ohnehin ein etwas anderes Verständnis von Meinungsfreiheit. Und als studierter Historiker sehe ich im historischen Vergleich ein unverzichtbares Mittel, um Klarheit zu schaffen und Warnungen zu formulieren. Wie sagte es doch George Santayana: “Wer sich der Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.”
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