Pete Seegers Lied „Where have all the flowers gone“ hat meine Generation geprägt, und selbst Udo Lindenberg habe ich verziehen, als er es eindeutschte. Es schwang so viel Melancholie mit in dem Refrain, wehmütige Erinnerung an etwas, das uns einmal viel bedeutet hat und das wir selbst aus Dummheit und Unachtsamkeit vernichtet haben. Deshalb habe ich besonders genau gehört, als mein Freund Gunter Dueck, IBM-Obertechnologe und Besteller-Autor („Aufbrechen!: Warum wir eine Exzellenzgesellschaft werden müssen“) neulich in einem Vortrag das Ende des stationären Buchhandels verkündete.
Nicht, dass Dueck ein radikaler Bilderstürmer wäre. Im Gegenteil: Auch er erinnert sich wehmütig zurück an die Zeit, als es noch richtige Buchläden gab, in denen man stöbern konnte oder auch mal einen halben Tag sitzen und ungestört lesen. Ich habe auch solche Erinnerungen, zum Beispiel an Scribners an der Fifth Avenue in New York, dem früheren Sitz des Verlegergiganten, der Ernest Hemmingway und Scott Fitzgerald herausbrachte und das inzwischen ein Beneton „Superstore“ beherbergt. Oder Borders im Turm II des World Trade Center, wo man in bequemen Ledersessel saß und beim Hochblicken auf den Friedhof von Trinity Church blickte. Heute klafft da natürlich ein riesiges Loch.
Es gibt sie natürlich noch, die schönen Buchläden. Shakespeare & Company in Paris, zum Beispiel, das zum Glück noch immer aussieht wie ein besonders rumpeliger Dachboden und in dem sich die Bücher sogar hinter der schmalen Holzstiege ins Obergeschoß türmen. Der schönste Buchladen der Welt ist natürlich Lello & Irmao in Porto, ein Jugendstiltraum, dessen einziger Nachteil ist, dass die Bücher dort meist in Portugiesisch geschrieben sind und ich sie nicht lesen kann.
Aber Duecks Punkt ist ein anderer: Im Grunde seien wir Bücherfans ja selber schuld, denn indem wir uns normal verhalten, würden wir das töten, was wir am meisten lieben. Im Zeitalter von allgegenwärtigem Internet und massenweise Selbstbedienung in der Cloud ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die nicht mehr zu stoppen ist. Und das trifft nicht nur die Buchläden. In seinem Vortrag dachte er laut über „Apotheken-Automaten“ nach, die vor allem in dünn bevölkerten Gebieten stehen werden. Ich werde mich über eine Videoverbindung mit dem netten Apotheker unterhalten, der irgendwo ganz anders sitzt, vielleicht sogar daheim (was dem Begriff „Haus-Apotheke“ eine völlig neue Bedeutung gibt…), Dahinter wird ein großer Kontainer stehen, und die Pillen kann ich am Ende aus einer Schacht ziehen, so wie heute Geldscheine am Bankomaten. Auch andere Branchen stehen auf Duecks Liste: Ärzte, Anwälte, Supermärkte
Klar kaufe ich bei Amazon. Wenn ich ehrlich bin, kaufe ich fast nur noch bei Amazon. Weil’s halt so bequem und einfach und schnell ist und ich nicht an der Kasse anstehen muss um zu hören, nein, das Buch, das Sie suchen, ist gerade nicht verfügbar, aber wir können’s bestellen, ist in drei Tagen da. Und dann muss ich wieder in die Stadt, während Amazon in der Regel innerhalb von 24 Stunden liefert, ich den neuen John le Carré oder Alexander McCall Smith oder Richard Dawkins oder Ken Folett oder Simon Schama oder Philip Roth oder Nick Hornby (gut, ich habe einen etwas skurillen Lesegeschmack…) lesen kann. Ich will das Buch jetzt haben und nicht erst in drei Tagen, und da gibt es nun mal niemand besseren als Amazon. An die kleinen Buchhändler, die deswegen zumachen müssen, denke ich in dem Moment nicht – niemand tut es.
Nun arbeitet Alex Beam ja für eine der kleineren Tageszeitungen Amerikas, das noch heftiger vom großen Zeitungssterben betroffen ist als wir hier in Deutschland, und auch wenn inzwischen die mächtige Mutter New York Times hinter dem Bostoner Regionalblatt steht, das man im Sommer so herrlich als Unterlage verwenden kann, wenn man in Harvard am Fluss im Gras liegen und den Ruderbooten zuschauen will, so muss auch dort die Belegschaft jeden Tag die Schließung fürchten.
Auf dem Grabstein der letzten Tageszeitung, so Beam, wird folgende Inschrift stehen: „Zu Tode geliebt: Jeder hat sie gelesen, niemand wollte dafür bezahlen.“ Die Zeitungen stellen ihren kostbaren Content kostenlos ins Internet, immer mehr Leute canceln ihr Abo und begnügen sich mit dem, was Google News für sie aus dem Fundus dieser Gratisangebote zusammengestellt hat, und keiner denkt daran, dass es irgendwann keine Quellen mehr geben wird, die Google fleddern kann. Ob dann wirklich die Blogger in die Bresche springen werden und die Profi-Journalisten ersetzen, die keinen Job mehr haben, weil die Leser sie im Stich gelassen haben?
Ich habe zwei Tageszeitungen abonniert, die „Süddeutsche“ und die „International Herald Turbine“, weil ich sie erstens beide gerne lese (und mich über die erfrischend unterschiedlichen Perspektiven einer deutschen und einer amerikanischen Zeitung mit Sitz in Paris freue), zum anderen aber auch, weil ich das Gefühl habe, das Zeitungswesen mit meiner Abogebühr zu subventionieren. Ich würde auch den doppelten Preis bezahlen, wenn ich diese beiden Blätter vor dem Abgang retten könnte. Die „taz“ hat es auch mal probiert, die Leser über die Mitleidstour zum Zeitungskauf zu nötigen. Hat leider nicht besonders gut funktioniert, aber immerhin: Die „taz“ gibt’s noch. Genau wie Shakespeare & Company. Wie lange noch?