Bei Robotern denken die meisten Menschen wahlweise an riesige Maschinen mit Greifarmen, die in Autofabriken in Reih und Glied stehen und dort Schwerstarbeit verrichten, oder an kleine Haushaltsroboter wie elektronische Staubsauger oder Sonys niedlicher Aibo, der wie ein Hündchen aussah und auf Knopfdruck Pfötchen gab oder sich auf den Rücken legen konnte. Das Wort „Robota“ ist slawisch und bedeutet so viel wie „Frondienst“ oder „Zwangsarbeit“. In der Literatur werden sie gerne als „Maschinenmenschen“ thematisiert, die meist entweder als Helfer oder als Bedrohung dargestellt werden.
In der Fertigung stecken Roboter meistens im Gefängnis, also in abgeschlossenen Gitterräumen, zu denen der Mensch keinen oder nur begrenzten Zutritt hat. Das liegt an der Gefahr, die tatsächlich von ihnen ausgeht: Wer nicht aufpasst, könnte dem Roboterarm in die Quere kommen und sich schwer verletzen oder sogar sterben, bevor irgendjemand auf den Stoppknopf drücken kann. Aber die Tage des Roboters in der Zelle sind bald vorbei. Im Zeitalter autonomer Maschinen wird es möglich sein, den Roboter bald endgültig von der Leine zu lassen.
Das ist schwieriger, als es sich vielleicht anhört. Roboter sind von Haus aus dumm; sie sind nur so intelligent wie die Software, die sie steuert. Bei der DARPA Robotic Challenge, einer Art Olympiade für Maschinen, die jedes Jahr von der amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency, eine Forschungsbehörde des US-Verteidigungsministeriums, veranstaltet wird, purzeln noch im Frühsommer 2015 die computergesteuerten Kontestanten regelmäßig Treppen hinunter oder bleiben hilflos auf dem Rücken liegen wie zappelnde Maikäfer. Der Gewinner des mit zwei Millionen Dollar dotierten Wettbewerbs war ein futuristisch anmutendes Maschinenmännchen namens Hubo, der auf seinen Saugknopffüssen aufrecht gehen kann, der aber an den Extremitäten sowie an Knien und Ellenbögen Räder hat, auf denen er notfalls herumhuschen kann.
Autonome Fabrikroboter, wie sie heute entwickelt und demnächst auch eingesetzt werden, können vor allem mit Hilfe ihrer Sensoren erkennen, ob Menschen in der Nähe sind und werden ihnen ausweichen oder anhalten, bis die Gefahr vorbei ist.
VW-Personalchef Horst Neumann nennt die mechanischen Kollegen, die er demnächst erstmals in Wolfsburg am Fließband einsetzen will, „Robies“. Sie sollen ihre menschlichen Kollegen vor allem bei Tätigkeiten ablösen, die entweder besonders repetitiv und deshalb stinklangweilig sind, oder die an schwer zugänglichen Stellen im Auto anfallen und deshalb dauerndes Verrenken erfordern, was auf Dauer zu gesundheitlichen Problemen führen kann.
Yumi, ein weiß-grauer Fertigungsroboter der Firma ABB, ein Hersteller von Automatisierungstechnik mit Hauptsitz in Zürich, ist als kollaboratives Montagesystem ausgelegt und verfügt über ein präzises Visionsystem, Greifer, berührungsempfindliche Sensorik, flexible Software und integrierte Sicherheitskomponenten. Yumi arbeitet so genau, dass er ohne menschliche Hilfe einen Faden durch ein Nadelöhr führen kann. Der Miniroboter arbeitet Seite an Seite mit Kollegen aus Fleisch und Blut, um beispielsweise Schaltschränke zusammenzubauen. Seine Sensoren sind so empfindlich, dass er sofort stoppt, wenn er einen Menschen berührt.
„Die Autonomie der Produktionsmittel nimmt immer weiter zu“, behauptet Wolfgang Wahlster, Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern. Dabei werden, wie er glaubt, Mensch und Maschine weiterhin Hand in Hand arbeiten – weil sich ihre Fähigkeiten gegenseitig ergänzen.
Allerdings spukt noch immer das Gespenst von der „technologischen Arbeitslosigkeit“ durch Automatisierung oder durch den Einsatz neuartiger Produktionsverfahren, vor der schon der britische Ökonomen John Maynard Keynes in den 40er Jahren warnte, auch heute noch in den Köpfen vieler Fachleute herum. Der Konstanzer Arbeitsrechtler Bernd Rüthers befürchten etwa, dass „der technische Fortschritt mehr Arbeitsplätze vernichtet, als Wachstum und alle Deregulierung wieder aufbauen können.“ Und Jeffrey Sachs, Direktor des Earth Institute an der Columbia University in New York, unkte gar: „Je leichter die Arbeit von Menschen durch Roboter zu ersetzen ist, desto stärker wird die Nachfrage nach menschlicher Arbeit sinken“.
In Wahrheit wissen wir, dass technologischer Fortschritt immer allen nutzt, auch wenn Einzelne sich anpassen müssen – oder am Ende durch die Ritzen fallen. Aber dafür haben wir ein Sozialsystem, und es wird die Ausgabe von Staat und Gesellschaft sein, sich um diese Menschen zu kümmern. Für die anderen aber lautet die Herausforderung ganz klar: Wir müssen bereit sein, die Veränderung aktiv anzunehmen. Für viele wird das flexible Anpassung an sich verändernde Jobsituationen, für andere die Bereitschaft, sich durch Weiterbildung für neue Aufgaben zu qualifizieren. Insofern wird es in der Tat ein Wettrennen geben zwischen Menschen und Maschinen. Aber das ist, wenn man auf die Menschheitsgeschichte zurückblickt, überhaupt nichts Neues.
Horst Neumann von VW entgegnet solchen düsteren Bildern mit einem Hinweis auf den unmittelbar bevorstehenden demografischen Wandel in hochentwickelten Ländern wie Deutschland, wo sinkende Geburtenraten und schrumpfende Lebensarbeitszeit in den nächsten Jahren im Gegenteil zu einer extremen Verknappung im Arbeitsmarkt führen werden. „Ich habe heute schon kaum eine Chance, die Babyboomer zu ersetzen, die in den kommenden Jahren alle in Pension gehen werden, denn es kommt ja nichts nach“, sagt er.
Dass Roboter zudem helfen, Kosten zu senken – ein Arbeiter kostet rund 40 Euro pro Stunde, der Roboter nur drei bis sechs – ist für ihn eher an ein angenehmer Nebeneffekt: Wenn wir in Zukunft gegenüber dem Rest der Welt konkurrenzfähig bleiben wollen, führt kein Weg an dem massiven Ausbau der Automatisierung vorbei“, sagt
Nicht, dass jeder Job erhalten bleiben wird. Verdi-Chef Frank Bsirke hat Recht, wenn er davor warnt, dass ganze Berufsfelder bedroht sind. Die Oxford-Forscher Carl Benedikt Frey und Michael Osborne haben in der Studie „The Future of Employment“ ermittelt, dass in den kommenden Jahren 47 Prozent aller Jobs in den Vereinigten Staaten von der Automatisierung durch Computer bedroht sein könnten. Dazu kommt, dass der Anteil der Produktion am wirtschaftlichen Gesamtergebnis, also am Bruttosozialprodukt, seit Jahren ständig sinkt, in Deutschland von fast 25 Prozent im Jahr 1975 auf weniger als 15 Prozent im Jahr 2010.
Innerhalb der Fertigungsbranche könnte der Einsatz von Robotern und anderen Methoden zur Automatisierung allerdings den Jobmarkt sogar beflügeln. Das glauben jedenfalls die Unternehmensberater von Boston Consulting: Sie sagen für Deutschland allein 390.000 neue Arbeitsplätze in den kommenden zehn Jahren durch den Aufbau neuartiger Produktionsverfahren und technologische Innovation in der Fertigung voraus.
Die Rechnung scheint womöglich aufzugehen: Um den Einfluss von Robotern auf den Arbeitsmarkt zu beleuchten, haben Georg Graetz von der Universität im schwedischen Uppsala und Guy Michaels von der London School of Economics (LSE) in der Studie „Robots at Work“ Daten zur Verbreitung von Robotern in 17 Ländern zwischen 1993 bis 2007 mit Dingen wie Produktivität und Beschäftigung verknüpft und dabei festgestellt, dass gut ein Zehntel des Wirtschaftswachstums in dieser Zeit von den Maschinen ausging. Die Erklärung: „Auf der Ebene des einzelnen Jobs ersetzen Roboter Menschen. Aber die gesamte Industrie wird produktiver, die Arbeiter werden dann einfach in anderen Bereichen eingesetzt“, so Graetz.
Wobei immer noch die Frage offen bleibt, wer von den beiden das Sagen haben wird, Mensch oder Maschine. Vieles spricht für Letztere: Einer Studie des MIT zufolge sind Roboter die besseren Chefs. In den Versuchsreihen der Forscher wurde die Führungsverantwortung zwischen den menschlichen Teilnehmern und ihren Roboterkollegen ausgetauscht: In einigen Teams durfte ein Mensch, in den anderen ein Roboter Aufgaben an die Teilnehmer delegieren. Dabei zeigten die Roboter deutlich mehr Verständnis für ihre Mitarbeiter als menschliche Vorgesetzte und waren bei ihren Mitarbeitern deshalb auch deutlich beliebter.
Dieser Text stammt aus meinem neuen Buch, „Digitale Transformation„, das im Oktober im Vahlen-Verlag erscheint.
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