Der Europäische Rabbinerrat hat gegen das Kölner Beschneidungsurteil protestiert und indirekt mit einem Exodus aller Juden aus Deutschland gedroht, wenn sich diese Rechtsauffassung durchsetze. Das sei ein „fundamentales Problem für die weitere Existenz der jüdischen Gemeinden“ hierzulande, sagte Ratspräsident Pinchas Goldschmidt. Was mich ein bisschen an die Headline in der London „Times“ erinnert, als einmal dichter Nebel über dem Ärmelkanal wabberte: „Continent cut off“, lautete die Schlagzeile damals. Das ist einerseits lustig, weil es den insularen britischen Größenwahn so schön dokumentiert, andererseits aber wegen des Wortspiels: Auch im vorliegenden Fall geht es ja ums Abschneiden, allerdings eines Stückchen recht überflüssiger Haut am Gliedende von Kleinstknaben. Muslims und Juden praktizieren diesen Brauch gleichermaßen, letztere angeblich zum Angedenken an einen mysteriösen „Bund“, den einst Abraham mit Jehova schloss und der dem Volk Israels einen gewissen Alleinstellungsanspruch unter den Völkern der Erde gewährleisten soll.
Als erklärter Religionshasser bin ich natürlich dafür, solche barbarischen, auf Irr- und Aberglaube beruhenden Gebräuche mit Stumpf und Stiel (pardon…) auszurotten. Sich auf „Religionsfreiheit“ zu berufen klingt für mich so, wie wenn ein Anstaltsinsasse sich auf die „Freiheit der Geisteskrankheit“ beruft.
Wenn ich aber andererseits bei der Morgentoilette an mir herab blicke, sehe ich immer ein beschnittenes Glied, denn ich bin Amerikaner, und dort gehört das Entfernen der Vorhaut in den ersten Lebensstunden genauso selbstverständlich zum Geburtsvorgang wie das Abschneiden der Nabelschnur – ein Brauch, mit dem sich meines Wissens noch kein deutsches Gericht auseinander gesetzt hat. Allah und Jehova sei Dank!
Ich habe mir kaum jemals Gedanken darüber gemacht, warum amerikanische Ärzte routinemäßig zum Messer greifen, wenn sich zur Menschheit ein neues Mitglied mit Glied gesellt. Erstens sind die Amerikaner überwiegend Protestanten, zweitens gibt es bei uns, allen Versuchen der christlichen Taliban zum Trotz, noch immer die strenge Trennung von Staat und Kirche. Ich habe bisher die Erklärung meines Vaters geschluckt, der mir sagte, das geschehe aus Gründen der Hygiene. Unter der Vorhaut könnten sich gefährliche Krankheitserreger verstecken. Eine frühere Sexualpartnerin, die es bislang nur mit Vorhautträgern zu tun hatte, rühmte den angeblich erotisierenden optischen Eindruck sowie das, wie sie behauptete, angenehmere Gleitverhalten meines beschnittenen Schniedelwutz, aber das muss ich mangels eigener Erfahrung einfach mal so stehen lassen.
Es wäre allerdings schon interessant zu wissen, wo diese nichtreligiöse Beschneidungstradition in meiner Heimat herrührt. Und so verdanke ich der Website „Clean-cut All-American Boys“ jetzt die Erkenntnis, dass die angelsächsische Beschneidungspraxis eigentlich aus England stammt, wo sie im späten 19ten Jahrhundert als ein Mittel gegen das samenverschwendende Laster der Selbstbefriedigung bei Internatsknaben ersonnen wurde. Anders als in Amerika, wo der goldene Schnitt beim Säugling gesetzt wird, mussten britische Jungs sozusagen in der Schulpause antreten, was sie zumindest in den ersten Tagen danach ernsthaft beim Cricketspiel behindert haben muss. Im elitären England Queen Victorias bleib die Schülerbeschneidung zwangsläufig auf die Oberklasse beschränkt, denn Arbeiterkinder waren in Eton und Rugby ja eher die Ausnahme, und mit dem allgemeinen Niedergang der Aristokratie ist der Brauch weitgehend ausgestorben.
Anders in Amerika, wo laut Statistik zwei von drei männlichen Neugeborenen gleich im Krankenhaus ihrer Vorhaut entledigt werden. Wobei es interessanterweise große regionale Unterschiede gibt: Der überwiegend religiös-konservative Mittelwesten liegt in der Beschneidungsquote vorne mit etwa 80 Prozent, gefolgt vom eher liberalen Nordosten mit 65 Prozent. Einzig die Westküstler mit ihrer laxen Lebenseinstellung nehmen es auch mit der Beschneidung nicht so genau: Dort wird nur einer von drei Buben zirkumzisiert. Dennoch brüsten sich die USA damit, das einzige Land der Welt zu sein, in dem die Mehrzahl der Männer unten ohne herumläuft.
Auch in anderen Ländern gab und gibt es eine mehr oder minder ausgeprägte Beschneidungspraxis, wobei auch hier vieles in Bewegung ist. In Polynesien wurde die Vorhaut der jungen Männer über Jahrhunderte längsweise aufgeschnitten („superincision“), die Vorhaut blieb sozusagen als schlaff herunterhängender Hautlappen erhalten. Die Neuseeländer importierten den Brauch der Rundumbeschneidung Ende des 19ten Jahrhundert aus dem britischen Stammland, verloren aber in den 60er und 70er Jahren offenbar die Lust daran. Jedenfalls wurde auf dem sechsten „Internationalen Symposium für genitale Unversehrtheit“ in Sydney stolz behauptet, Neuseeland sei das einzige Land der Erde, das „die Beschneidung männlicher Kleinkinder zuerst universell eingeführt und dann wieder abgeschafft habe“.
In Deutschland ist die Beschneidung übrigens gängige medizinische Praxis. Die Ärzte nennen es „Phimose“ und setzen es als Mittel gegen die krankhafte Vorhautverengung ein, bei der es dem Probanden nur mühsam und unter Schmerzen möglich ist, die Vorhaut im Zustand der Erregung über die Eichel zu ziehen, was alles andere als lustvoll sein dürfte.
Und was Pinchas Problem angeht: Die Lösung ist ganz einfach. Statt sich hinter dem Tarnmantel verkommener Religionsfantasien zu verstecken, sollen Juden, Muslims und wer sonst noch etwas gegen Vorhäute hat das Ganze einfach als Hygienemaßnahme deklarieren und sich auf die Amerikaner berufen. Wahlweise könnte man es als vorbeugende Maßnahme gegen mögliche geistige Verengung bezeichnen. Das müsste selbst den Kölner Landrichtern einleuchten, oder? Und über Selbstbefriedigung sagen wir ihnen besser nix…