Eine Bekannte erzählte mir, sie habe neulich aus einer Laune heraus einer Freundin in einer anderen Stadt einen Brief geschrieben, und zwar mit der Hand! Das habe sie seit Jahren nicht mehr getan, und auch die Freundin war wohl überrascht; jedenfalls bedankte sie sich am Telefon ganz, ganz herzlich. Es sei halt doch eine andere Qualität der Kommunikation.
Am gleichen Tag las ich inder New York Times einen Artikel mit der Überschrift: „Pay by app: No cash or card needed.“ In den USA, so der Technikredakteur der NYT, David Pogue, zeichne sich langsam das Ende von Bargeld ab. Nun sind meine Landsleute ja schon lange ausgewiesene Kartenzahler: Man bezahlt auch schon längst in New York am Zeitungskiosk per Karte für seine Times-Ausgabe. Aber bislang war das eine recht einseitige Sache, denn nur Händler, die mit einer Kartenfirma einen Vertrag hatten, konnten Plastikgeld kassieren. Wer beispielsweise seinen Babysitter bezahlen musste, tat das mit Münzen und Scheinen. Zumindest in Amerika hat jeder Taxifahrer einen Kartenleser, aber der freundliche Hotelportier, der einem beim Aussteigen aus dem Taxi half, erwartete sein Trinkgeld in bar.
Square und eine Reihe von Nachahmern wollen das ändern, indem sie jeden von uns einen Kartenleser in die Hand drücken. Er wird über ein Kabel an die Kopfhörerbuchse des iPhone (oder irgendeines anderen Smartphones) angeschlossen, und schon kann man – ritschrastch – jede beliebige Kreditkarte durchziehen und sich Geld aufs Konto gutschreiben lassen. Die Firma Intuit (die mit den Steuerprogrammen) haben jetzt ein ähnliches Produkt namens „GoPayment“ vorgestellt, und der Online-Finanzdienstleister PayPal , der 2002 von eBay übernommen wurde, ist mit „PayAnywhere“ schon auf dem Markt – allerdings bislang nur in den USA, wie die anderen Anbieter auch.
Ist das endlich der langerwartete Moment, wo es dem Bargeld endlich an den Kragen geht? Im Zeitalter der totalen Vernetzung ist es eigentlich ein unerträglicher Anachronismus, dass wir stänbdig Bündel von abgegriffenen, unhygienischen Geldscheinen mit uns herumtragen und sie aus der Hand von möglicherweise unheilbar kranken Einzelhändlern und Bankangestellten entgegen nehmen müssen. Wie viele Menschenleben werden jeden Tag sinnlos und fahrlässig aufs Spiel gesetzt, nur weil wir eisern und uneinsichtig an einer Zahlungsform festhalten, die so alt ist wie die Keilschrift – und ungefähr so zeitgemäß!
Dave beschreibt eine schöne neue Welt, in der alles nur noch elektronisch bezahlt wird. Aber das Schönste kommt erst noch: Square & Co. stellen sich das so vor, dass in dem Moment, wenn ich den nächsten Starbucks betrete es beim Kassier klingelt und er sieht, dass ich erstens seinen Laden betreten habe und dass ich zweitens immer einen Grande Caramel Mocha Frappuccino trinke. Hei, das wird ein Spaß!
Vor allem aber, und hier schließt sich der Kreis zu meiner briefschreibenden Bekannten: So, wie ihre Handschrift sozusagen durch die Seltenheit einen gewissen Premiumwert angenommen hat, so könnte in nicht allzu ferner Zukunft auch Bargeld wieder einen Mehrwert bekommen. Im England des frühen 19 Jahrhunderts, als Napoleon ante portas stand und die Londoner Kaufleute mitten in der Krise steckten, bekam man für eine Pfund aus Papier nur ein halbes aus Gold, weil die Leute „richtiges“ Geld dem neuen „funny money“ vorzogen. Viele Menschen heutzutage sehenen sich bekanntlich nach der guten alten D-Mark zurück, weil sie diese komischen Euros auch irgendwie komisch finden. Vielleicht wird es auch im Zeitalter virtuellen Geldes so sein, dass am Ende nur Bares Wahres sein wird .