Noch so eine Jugendsünde aus meinen frühen Tagen als Journalist: Ich arbeitete in den 70er Jahren bei auto motor und sport, und ich hörte von einem uralten Taxifahrer in Lissabon, der noch in einem Oldtimer Leute rumkutschierte. Ich setzte mich in den Flieger und traf am Rossioplatz tatsächlich Augusto Macedo, der immer noch in seinem Oldsmobile F-Serie aus den 1920er Jahren, den er sich mit seinem ersten Geld gekauft hatte. Augusto glaubte, dass er 1902 geboren sei, wußte es aber nicht ganz genau. Jedenfalls war er zu diesem Zeitpunkt schon mindestens 75, und sein Auto hatte auch schon den Fünfziger hinter sich.
Ich habe ihn gleich für zwei Tage gebucht und ließ mich mit ihm durch Lissabon fahren und habe ihn dabei ausführlich interviewt. Lissabon ist ja eine sehr hügelige Stadt, und mir fiel auf, dass er immer, wenn er oben angekommen war, den Motor ausmachte und den Wagen auf der anderen Seite einfach herunterrollen ließ. Das schone den Motor, sagte er. Sein Wagen habe über eine Million Meilen auf dem Tacho, aber eigentlich seien es ja nur eine halbe Million. Ab und zu musste er die Zylinderringe austauschen, aber ansonsten fuhr das Auto klaglos bis 1997, als Augustos leider zum letzten Mal seinen Zündschlüssel weglegen musste. Da war er 95, und sein Auto 77 Lenze jung.
Ich war später oft in Lissabon, vor allem mit meiner Frau zu Silvester, und immer sah ich Augusto irgendwo stehen, entweder am Rossio, dem zentralen Platz der Stadt, oder unten am Hafen, wo die Kreuzfahrschiffe anlegen und vor allem die amerikanischen Touristen ganz wild darauf waren, mit ihm eine Runde in seinem „vintage car“ zu drehen.
Aber die Geschichte geht noch weiter. Meine Story erschien, und einer meiner Leser war offenbar ein Mann namens Wolf Gaudlitz. Der war seines Zeichens Filmregisseur, und er war ein paar Jahre später auch in Lisabon und lernte Augusto und seinen alten Karren kennen. 1994 begann er, kurze Filmsequenzen zu drehen, in denen der Alte erzählte oder das Kamerateam mit ihm durch die Strassen seiner Stadt herumfuhr. Diese Filmschnippsel setzte Gaudlitz zusammen, und es kam etwas Einzigartiges heraus: „Taxi Lisboa“.
Wikipedia beschreibt den Film ganz toll: „Der Film zeichnet ein nostalgisch geprägtes Bild Lissabons, mit dem ältesten Taxifahrer der Welt und seinem 70-jährigen Taxi in den alten Gassen Lissabons. Dabei treten verschiedene Figuren als Fahrgäste auf, die ihre Lebensgeschichten erzählen. Anhand ihrer Erzählungen und anhand der Bilder aus Lissabon entsteht gleichzeitig ein Porträt der Stadt. Die Figuren sind keinesfalls zufällig gewählt, sondern wurden aufgrund der Erzählungen des lebenserfahrenen Taxifahrers Augusto Macedo gezielt ausgesucht und vom Regisseur besetzt. Hierbei entsteht ein Mosaik von Lebensgeschichten, die alle über Macedo und sein spektakuläres Taxi miteinander verwoben sind.“
Der Film lief Ende 1996 in verschiedenen deutschen Kinos an, zuerst in München. Er war auf mehreren internationalen Filmfestivals zu sehen und gewann u. a. in Pescara den Goldenen Delphin als bester Film des Jahres. 2017 kam eine digitalisierte Version des Films heraus, und gelegentlich sieht man ihn noch in schummerigen Programmkinos wie die Museums-Lichtspiele in München, über die ich eine ganz eigene Geschichte erzählen könnte, denn ich wohnte jahrelang direkt daneben – aber die muss ich mir für ein Andermal aufheben.