Der „heiße“ Krieg in der Ukraine wird irgeendwann, irgendwie zu Ende gehen. Aber was kommt danach? Erleben wir eine neue Version des „Kalten Kriegs“, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg entstand und 40 Jahre anhielt? Denn eines ist klar, der nächste wird ein Digitaler Kalter Krieg sein, mit unabsehbaren Konsequenzen für uns alle!
Auf dem Weltwirtschaftsforum 2021 warnte Chinas Präsident Xi Jinping Politiker und Wirtschaftsführer vor einer Konfrontation zwischen den Großmächten, die nur „in einer Sackgasse enden“ könne…
Obwohl das digitale Säbelrasseln nach der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten zunächst etwas nachliess, ist es nie ganz verstummt, und mit dem Einmarsch Putins ist sie zwar wieder entbrannt – aber noch lange nicht so heftig, wie viele Experten es erwarten hatten.Auf einer Konferenz in Zürich sprach ich letzte Woche mit Cyberexperten von Cisco die erstaunt waren, wie zurücklhaltend und wenig effektiv die Russen bisher ihre Cyberattacken vorgetragen hat. Haben uns nicht jahrzehntelang Hacker aus dem Osten gezeigt, wie meisterhaft sie es verstehen, in westlich Systeme einzudringen und diese lahmzulegen?Mein Gesprächspartner hatte eine elegante Erklärung daür. „Russland und die Ukraine haben die besten Hacker der Welt“, sagte er. Nur seien die jetzt alle damit beschäftigt, sich gegenseitig lahmzulegen. Wenn der Krieg erst mal vorbei sei, würden sie sich wieder dem Westen zu wenden – und dann gnad‘ und Gott!
China spielt in der jetztigen Situation mehr die Rolle des stummen Zuschauers. In den westlichen Medien häufen sich aber die Berichte über Chinas „geheime Hackerarmee“. Und die russischen Ransomware-Banden haben ja angeblich im Mai letzten Jahres mit Duldung des Kremls Angriffe wie den auf die amerikanischen Ölleitungen der Firma Colonial Pipeline verübt, durch den die Treibstoffversorgung in weiten Teilen der USA unterbrochen wurde.
Dimitar Lilkov, Forscher am Wilfried-Martens-Zentrum für Europäische Studien in Brüssel, ist der Ansicht, dass das, was er als „Doktrin des digitalen Autoritarismus“ bezeichnet, die von der Kommunistischen Partei Chinas übernommen wurde, international an Attraktivität gewinnt.
Die ungezügelten Datenmonopole aus dem Silicon Valley tun derweil das, was sie am besten können: Informationen anhäufen und als Torwächter zur Online-Welt fungieren. In einem Blog der London School of Economics schrieb Lilkov im vergangenen Jahr: „Das gesamte Modell der Internet-Governance und der internationalen Zusammenarbeit im technologischen Bereich ist hinfällig geworden. Man kann nicht den Motor eines alten VW-Kleinbusses durch einen kleinen Atomreaktor ersetzen und erwarten, dass er sicher auf den Autobahnen fährt.
„Der einzige geopolitische Akteur, der aktiv an der Begrenzung der negativen externen Effekte eines technologischen Wettlaufs um jeden Preis arbeitet, ist die Europäische Union,“ so Lilkov. Es stimmt, dass die EU in den letzten Jahren versucht hat, einige der komplexesten Herausforderungen zu lösen, die sich beim Schutz der Privatsphäre der Nutzer, bei der Bekämpfung bösartiger Desinformation oder bei der Eindämmung der unrechtmäßigen digitalen Überwachung stellen.
Die Alte Welt hat den ehrgeizigen Versuch unternommen, bei der Gesetzgebung für den digitalen Bereich den goldenen globalen Standard zu setzen, und nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine gibt es einige positive Anzeichen dafür, dass Europa endlich aufwacht. Die EU sucht nach Wegen, um ihre Abhängigkeit von Russland bei wichtigen Rohstoffen sowie Gas und Öl zu verringern und ein globaler Lieferant von fortschrittlichen Batteriezellen zu werden. Erst vor wenigen Tagen hat Tesla in Grünheide vor den Toren Berlins seine erste europäische „Gigafactory“ eröffnet, in der jährlich bis zu 500.000 Elektrofahrzeuge, sowohl Pkw als auch Lkw, hergestellt werden können.
Lilkov weist darauf hin, dass in den Bereichen Cybersicherheit, 5G-Infrastruktur, künstliche Intelligenz und die weitere Integration des europäischen digitalen Binnenmarktes noch enorme Anstrengungen (und entsprechende Finanzmittel) erforderlich sind, um solche kritischen Infrastrukturen zu schützen. In einer zunehmend vernetzten Welt ist die Bedrohung durch einen erklärten oder unerklärten Cyberkrieg ein Alptraumszenario und stellt die Zukunft beispielsweise des Internet der Dinge in aller Deutlichkeit in Frage.
Unterbrochene Lieferketten bei Dingen wie Halbleitern und Sensoren, wie sie im Jahr 2021 zu beobachten sind, können als Waffe eingesetzt werden und Dutzende von Branchen in Mitleidenschaft ziehen – nicht nur die Automobilbranche, sondern alles, von Gadgets wie Smartphones bis hin zu wichtigen Infrastrukturen. Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen globalen Akteuren, die über fortschrittliche Cyber-Fähigkeiten verfügen, wird unabdingbar sein, wenn die Welt verhindern will, dass sich die Geschichte wiederholt.Der Kalte Krieg 2.0 ist eine zu schreckliche Vision, als dass man sie ernsthaft in Erwägung ziehen sollte.