Im Internet ist (fast) alles umsonst, aber jeder Schwabe weiß: Was nichts kostet, das ist auch nichts.
Kein Slogan aus den Frühtagen des Internet klang so revolutionär wie jenes „Information wants to be free“, das wie ein Schlachtruf durch die Korridore der Medienkonzerne hallte. Gestandene Verleger, Platten- und Filmbosse fühlten sich wie weiland die Römer, als die Barbaren an den Toren hämmerten. Ihre Geschäftsmodelle – und damit ihre Existenz – waren in Gefahr, das Prinzip des geistigen Eigentums in Frage gestellt. Raubkopieren? Ein Kavaliersdelikt – wenn nicht gar ein Menschenrecht. Für Inhalte bezahlen? Niemals!
Ich habe schon vor vielen Jahren als Muttersprachler über die Doppeldeutigkeit des Wortes „free“ in diesem Kontext geschrieben und darüber, dass „frei“ und „umsonst“ keineswegs das Gleiche sei. Man könne also durchaus die Demokratisierung, wenn nicht gar als Befreiung der Information befürworten, ohne deshalb gleich deren Sozialisierung zu betreiben. Auch ich habe so meine Bedenken, ob das Prinzip des Urheberrechts, wie es in den westlichen Ländern seit Jahrhunderten praktiziert wird, auch heute noch volle Gültigkeit besitzen soll. Aber ich bin Schreiber, Redner, Moderator, und die Vorstellung, dass das, was ich tue, im Internet keinen inhärenten Wert haben soll, hat mich schon immer etwas beunruhigt.
Nun hat sich Jaron Lanier in der „New York Times“ zu Wort gemeldet („Pay Me For My Content“) und von einem inneren Damaskusgang berichtet, der ihn vom Saulus eines Aktivisten für „free information“ Aktivisten zum Saulus eines Freundes von „paid content“ berichtet. Jaron ist ja das alter Ego des deutschen Internet-Gurus Ossi Urchs (ich habe die beiden vor Jahren zusammen auf einer Konferenz in Kalifornien erlebt; sie sehen wirklich aus wie rundbrillige Zwillinge mit rotblonden Dreadlocks!), und die geistige Verwandtschaft ist auch nicht zu leugnen. Ossi und ich tragen ja unseren freundschaftlichen Zwist über Bedeutung und Nachhaltigkeit des so genannten Web 2.0 (er hält es tatsächlich für eine neue Evolutionsstufe in der Online-Gesellschaft, ich halte es für einen alten Marketing-Hut) ja schon länger auch in unseren Blogs aus, und ich bin mal gespannt, wie er Jarons seltsames Outing beurteilt.
Er habe sich geirrt, schreibt Jaron, weil er gedacht habe, die Internet-Piraterie würde langfristig neue Chancen und neuartige, indirekte Verdienstmöglichkeiten für Kreativschaffende hervorbringen. „Es gibt in Silicon Valley einen fast religiösen Glauben, dass es schlecht sei, für Inhalte Geld zu verlangen. Der einzige erkennbare Business Plan ist immer mehr Werbung.“ Er warte jetzt seit über zehn Jahren darauf, dass irgend jemand ihm einen Teil dieses Werbekuchens abgibt, aber statt dessen würden immer nur die neuen Machthaber, nennen wir sie ruhig „Medienbosse 2.0“ wie Google, Facebook oder MySpace, zunehmend aber auch Firmen wie Apple und Microsoft, die Sahne abschöpfen, indem sie mit den Inhalten, die andere in idealistischer „Mitmach“-Euphorie hergegeben haben, dicke Profite scheffeln.
Jetzt hat er das Warten satt – und plädiert für die Wiedereinführung der Bezahlung von Inhalten. Dass es schwierig sein wird, den Würgegriff der Kostenlos-Kultur, die er für einen Wildwuchs hält, zu brechen, räumt er ein. Es müsse aber doch einer Branche, die über so viel technische Kompetenz verfüge, möglich sein, Systeme zu erfinden, die es dem User ganz einfach mache, zumindest ein bisschen was für Dinge zu bezahlen, die sie online hunterladen und genießen. „Damit Schreibern und Künstlern online überleben können, müssen Software-Entwickler und Internet-Evangelisten dringend die Macht, die sie als Designer besitzen, in Spiel bringen. Information ist nur deshalb im Internet umsonst, weil wir das System so geschaffen haben. Wir könnten genauso gut Informationssysteme entwickeln, in denen die Menschen für Inhalte bezahlen – damit jeder die Chance bekommt, ein vielgelesener Autor zu werden und trotzdem bezahlt zu werden. Informationen sollten frei zugänglich sein, aber nicht umsonst, sondern nur erschwinglich.“
Dass es auch heute schon innerhalb ganz bestimmter Ökosysteme funktioniert, dafür zieht Jaron das Beispiel von Second Life als Beweis heran. Dort würden die Leute ja auch für virtuelle Kunst, Kleider und andere Dinge bezahlen. Warum also nicht auch für Musik in einem Ökosystem wie dem iPod?
Nun, Jaron erwähnt vermutlich ganz bewusst nicht, dass man in Second Life mit virtuellen Geld („Linden Dollars“) bezahlt. Außerdem ist es um den „Avatar-Friedhof“, wie „Wired es nannte, inzwischen merklich still geworden. Trotzdem: Er hat recht. Das neue Internet-Motto sollte lauten: „Information wants to be free – and affordable.“
Natürlich hat Jaron Recht, wenn er die Frage stellt: Wenn wir für Inhalte nichts mehr verlangen können, womit sollen wir unser Geld verdienen?
Gar nicht, lautete die Antwort der Horden vor dem Tor. Stattdessen soll eine Heerschar von Idealisten – Blogger, Hobby-Musiker, Video-Amateure – die Inhalte generieren, mit denen das Internet das Machtmonpol der Verlage und Labels gebrochen werden sollten. Da dank Internet die Kosten der Produktion und Distribution von Inhalten gegen Null sinken, brauche man solche Intermediäre nicht mehr. Eine Art fröhlicher Kreativ-Anarchie würde eine Ära ungekannter Vielfalt einläuten und damit auch den ausgefallensten Geschmack befriedigen. Kein Verleger, Platten- oder Filmboss sollte sich mehr am schöpferischen Bemühen anderer bereichern können.
Profi-Musiker wie die „Holes“-Gründerin und Kurt-Cobain-Witwe Courtney Love beschwören das Bild des Straßenmusikers, der seinen Hut aufs Trottoir stellt und hofft, Passanten würden seine Musik so gut finden, dass sie etwas hineinwerfen. Wenn sie recht hat, dann lautet das neue Motto im Internet: „Paid is the new free.”