Das Internet kommt ja langsam in die Jahre. Im Herbst 2009 feierten die Medien das Jubiläum der ersten Verbindung zwischen zwei Computern, die über eine einfache Telefonleitung zustande kam, bereits unter der Headline „Das Internet feiert 40sten Geburtstag.“ Und das heißt: Die ersten Net-Nutzer der ersten Stunde nähern sich langsam dem Ablaufdatum. Und da stellt sich eine durchaus wichtige, aber eigentlich noch gar nicht geklärte Frage: Wer erbt das Ganze?
Nun mag die Homepage von Onkel Franz ja keinen wirklich bleibenden Wert darstellen. Aber was, wenn Onkel Franz darauf einen gutgehenden Blog betrieben hat? „A-Blogger“ Robert Basic hat ja seinen Online-Tagebuch „Basic Thinking“ auf eBay für fast 47.000 Euro versteigert. In Amerika gehen bekannte Blogs für siebenstellige Summen weg. Der Blog von Onkel Franz könnte am Ende echt was bringen!
Wenn aber ein Blog einen Teil des immateriellen Vermögens darstellt, was ist mit meiner Facebook-Seite? Dort haben sich mit den Jahren auch eine ganze Menge Dinge angesammelt, die vielleicht für die Hinterbliebenen einen zumindest ideellen Wert darstellen könnten. Leider schreiben die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der meisten Social Networks aber vor, dass die persönliche Seite nach dem Ableben des Besitzers gelöscht wird, und zwar entschädigungslos! Das ist ungefähr so, wie wenn die Post nach Ihrem ableben einen Beamten vorbeischicken würde, der ihre über die Jahre angesammelten Briefe verbrennt.
Es ist ohnehin eine spannende Frage, wem eigentlich der Content in einer Communitiy im Internet überhaupt gehört. Für die Betreiber solcher Online-Kommunen scheint es klar zu sein, dass sie alleine das Sagen haben. Das merkt man spätestens, wenn man versucht, seine Freundesliste beim Umzug in eine andere Internet-Gemeinde mitnehmen will und feststellt, dass das gar nicht geht. Aber selbst wenn Sie Omas auf MySpace ein Denkmal setzen möchten, indem sie ihre Seite weiterleben lassen, kann es sein, dass Sie sich eines Morgens einloggen und es ist alles weg. Das ist fast so, als ob die alte Dame zum zweiten Mal gestorben wäre.
Vor diesem Problem stehen übrigens immer öfter die Hinterbliebenen von US-Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan ums Leben kommen. Die Junge verbringen ihre langen, einsamen Abende fern der Heimat gerne auf im Netzwerk-Foren, aber sobald ihr Sarg nach Hause fliegt, werden sie auch online ausgeknipst. Die Familie von Lance Corporal Justin Ellsworth, der 2004 in Falluja fiel, musste erst jahrelang Prozesse gegen Yahoo führen, bis die endlich seinen Benutzernamen und Passwort rausrückten, damit sei an seine digitale Korrespondenz konnten. Und nach dem Amoklauf 2006 an der Virginia Tech hat Facebook endlich technische Vorkehrungen getroffen, damit Freunde und Familienmitglieder die Seiten von Verstorbenen eine Zeitlang weiter betreiben können, um dort durch Hinterlassen von Kondolenzschreiben, Fotos oder Gedichten sozusagen virtuelle Trauerarbeit zu leisten.
Besonders kniffelig wird die Sache in Second Life. In der digitalen Scheinwelt liegen die Preise für gutbesuchten Immobilien fast so hich wie in der Münchner Innenstadt. Zwar wird in so genannten „Linden Dollars“ bezahlt (benannt nach der Betreiberfirma, Linden Enterprises), aber die sind auch im diesseits etwas Wert. Genau gesagt: Der Wechselkurs für ein US-Dollar betrug zum Zeitpunkt, als diese Zeilen geschrieben wurden, etwa 260 Linden-Dollar. Stirbt ein Kleinunternehmer, der im zweiten Leben ein gutgehendes Geschäft betreibt, dann würden die Erben vermutlich gerne Kohle sehen. Geht aber nicht, weil die Leute von Linden bei Vorlage des Totenscheins den Stecker ziehen, und niemand kann sie daran hindern.
Nun ist Second Life, wie die Zeitschrift „Wired“ schrieb, ohnehin inzwischen zu einem „Avatar-Friedhof“ verkommen, weil sich die meisten Menschen dort nach ein paar zaghaften Flugversuchen langweilen und sich lieber verstärkt um ihre Ersterben kümmern. Trotzdem scheint sich mir hier ein weites Feld aufzutun für Anwälte und Nachlassverwalter. Interessante Fragen sind zu klären, zum Beispiel ob ein Haus in Second Life als mobiles oder immobiles Vermögen einzustufen ist. Und vor allem: wer kriegt Opas alten Avatar?