Dass Helmut Kohl wissentlich und willentlich gegen das von ihm höchstpersönlich abgezeichnete Parteiengesetz verstoßen hat, weil ihm sein „Ehrenwort“ wichtiger war als die Gesetze der Bundesrepublik, die er in seinem Amtseid zu wahren und zu verteidigen versprach, mag heutige ja fast trivial wirken angesichts dessen, was sich ein Donald Trump gerade leistet. Und dass Kohl wahrscheinlich im Zuge der „Bundeslöschtage“ wichtige Akten in der CDU-Parteispendenaffäre verschwinden ließ, dass er sich von den Russen und der DDR-Führung bei der Wiedervereinigung über den Tisch hat ziehen lassen, und dass er seine Frau jahrzehntelang so mies behandelte, dass sie sich schließlich das Leben nahm (von wegen „Lichtallergie“!), das alles habe ich inzwischen irgendwie hinter mich gelassen, auch wenn sich meine Faust immer noch in der Tasche ballt, wenn ich den Namen höre.
Aber was ich Helmut Kohl niemals verzeihen werde, ist wie er meine Mutter öffentlich gedemütigt hat.
Als Leiterin der Buchabteilung der University of Maryland in Heidelberg war Mütterchen jedes Jahr bei der großen Abschlussfeier, der „commencement ceremony“, für die Organisation eingeteilt, so wie alle ihrer Kollegen. Jeder hatte seinen speziellen Job, und ihrer war es, die Ehrengäste zu begrüßen und an ihre Plätze in der Audimax zu geleiten.
Ich durfte damals immer mit, und so habe ich erlebt, wie Heinrich Lübke sich bei seiner Ansprache verhaspelte, habe Neil Armstrong die Hand geschüttelt und durfte mit dem Viersternegeneral Andrew Goodpaster, der damalige Nato-Oberbefehlhaber, beim anschließenden Empfang plaudern. Sie alle bekamen nämlich über die Jahre den Ehrendoktor von Maryland.
1976 war Helmut Kohl an der Reihe. Er war damals noch Ministerpräsident in Mainz, was ja nur ein Steinwurf weg ist von Heidelberg. Mütterchen war gerade in der Aula unterwegs, um einen anderen Ehrengast abzuliefern, als Kohls Mercedes vorfuhr. Er stieg aus und stand erst einmal etwas dumm herum, weil niemand da war, um ihn im Empfang zu nehmen.
Als meine elegante Mutter nach vielleicht einer Minute herauseilte und ihm freundlich die Hand geben wollte, beffzte er sie an: “Was ist das hier denn für ein Schlamperladen? Und Sie, Sie sollten sich schämen!“ Die Hand behielt er demonstrativ für sich.
Mütterchen entschuldigte sich wortreich, lächelte viel und geleitete den pampigen pfälzer Proleten zu seinem Platz in der ersten Reihe, wo ihn der Rektor der Uni übernahm und gebührend hofierte. Kohl saß die ganze Zeit über mit einem stinksauren Gesicht auf seinem Stuhl, verließ nach der Verleihung sofort den Saal und dampfte wütend ab in Richtung Mainz.
Mütterchen versuchte später, das Ganze als Lappalie abzutun, aber sie war eine sehr stolze Frau, und ich weiß, wie weh er ihr damit getan hat. Daran musste ich später immer denken, wenn ich seine feiste Visage im Fernsehen sah. Daran muss ich auch heute denken – und nicht an den „Kanzler der Einheit“ oder was man ihm jetzt sonst noch alles für Floskeln scheinheilig hinterherrufen wird.
Bin ich nachtragend? Und wie!
Eine Antwort auf Helmut Kohl – (k)ein Nachruf