Natürlich haben Sie sich ein Mobiltelefon gekauft, um überall und jederzeit, wenn nicht erreichbar, doch wenigstens kommunikationsfähig zu sein. Mal eben schnell daheim oder in der Firma anrufen, ohne erst eine Telefonzelle ansteuern zu müssen – darum geht es ja schließlich. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.
Auf der Straße
Das Leben in unseren Innenstädten verlagert sich dank Fußgängerzonen, Straßencafés und fliegenden Händlern – vor allem im Sommer – immer mehr auf die Straße. Da gibt es keinen logischen Grund, weshalb man nicht auf der Straße telefonieren sollte (es sei denn, Sie überqueren gerade die Fahrbahn, aber wer so dämlich ist, dem wird auch dieses Buch nicht helfen können).
Moderne D-Netz-Handys stären Spaziergänger viel weniger als etwa ein Walkman, unter dessen Ohrknöpfen so ein metallenes Geklingel nach außen dringt. Ein mobiles Telefon, richtig eingestellt, ist da im Vergleich flüsterleise.
Ärger kann es hingegen geben, wenn sich ein Mobilfunker (um auch einmal die amtlich korrekte deutsche Bezeichnung für ein mobiles Telefon zu verwenden) im Pulk der Fußgänger unvermittelt in ein stehendes Verkehrshindernis verwandelt. Morgens am Hauptbahnhof oder samstags vor dem Kassenhäuschen am Fußballstadion laufen Sie Gefahr, von den Menschenmassen zertrampelt zu werden, wenn Sie plötzlich stehenbleiben, um ein Gespräch entgegenzunehmen.
In einer solchen Situation ist es stets eine gute Idee, schnell in einen Hauseingang zu treten, sich auf eine Bank zu setzen oder sogar – warum nicht? – in ein Telefonhäuschen zu schlüpfen. Es wird Sie schon keiner wegen Missbrauchs von Posteigentum festnehmen.
Was für Großstädte gilt, muss in der Provinz nicht anders sein. Wer sich achtlos vor andere hinstellt und telefoniert, macht sich unbeliebt. Oder sind Sie schon mal von einem zwar gehbehinderten, aber ansonsten durchaus resoluten Rentner auf die Hörner seiner Gehhilfe genommen worden?
Sie sollten außerdem daran denken, dass es auf der Straße oft ziemlich laut zugeht. Autohupen, Bremsenquietschen, der tiefe Brumm der Motoren und der gelegentliche Knall einer Fehlzündung stören beim Telefongespräch im Freien ungemein. Und wenn Sie dann, um gehört zu werden, auf einmal in die Muschel brüllen müssen, machen Sie sich bei den Umstehenden auch nicht gerade beliebter. Vergessen Sie nicht, dass die hochgezüchtete Mikrofontechnik eines modernen Handys so empfindlich ist, dass Sie auch bei beträchtlichem Lärmpegel im Hintergrund noch mit normaler Stimme sprechen können.
Bei der Arbeit
In Ihrem eigenen Büro kann das D-Netz-Gerät eine gute Ergänzung zum normalen Telefon sein, vor allem wenn auf dieser Leitung häufig gesprochen wird. Befinden Sie sich jedoch bei einem Kunden oder in einem Meeting, so gilt es als unhöflich, sich per D-Netz anklingeln zu lassen oder selbst Anrufe zu machen. Wenn Sie unbedingt mit Ihrer Sekretärin sprechen müssen, dann machen Sie es am besten vor oder nach der Konferenz oder in einer Pause. Dazwischen sollten Sie das Gerät entweder ausschalten oder – besser noch – die Anrufbeantworter-Funktion einschalten; dann stärt kein schrilles Läuten die Gesprächsteilnehmer, und Sie rufen nachher zurück, wenn Sie wieder frei sind.
Im Auto
An der Frage, ob man überhaupt im Auto telefonieren soll oder nicht, scheiden sich die Geister. Das gilt vor allem für diejenigen, die lässig, Handy am Ohr und eine Hand am Steuer, mit zweihundert Sachen über die Autobahn brausen oder im dichten Stadtverkehr ihre Monaco-Grand-Prix-Nummer abziehen.
Wer allerdings im Stau steht, obwohl er in fünf Minuten beim Kunden, beim Schneider, beim Scheidungsanwalt oder bei der Freundin sein sollte, der wird das Telefon im Auto nie wieder missen wollen. Wie immer gilt: Es kommt darauf an, wie man’s macht.
Wer das Unfallrisiko minimieren und den Nutzen seines Mobil-Telefons maximieren will, sollte sich für den Festeinbau mit Freisprecheinrichtung entscheiden. Die gibt es auch für Handys, so dass sich der geliebte Sprech-Knochen trotzdem mit in die Kneipe oder ins Hotel nehmen lässt.
Im Auto können Sie die langen Gespräche mit Kollegen oder Freunden nachholen, für die im Bürostress keine Zeit bleibt. Als äußerst unhöflich gilt es aber, diese Plauderstunde dann zu veranstalten, wenn Sie Passagiere im Wagen haben. Abgesehen davon, dass nicht jeder alles über Ihr letztes Liebesabenteuer oder über den gelungenen Steuerbetrug erfahren soll, gibt es kaum etwas Langweiligeres als einem anderen beim Telefonieren zuhören zu müssen.
Und noch ein Tipp: Sollten Sie ältere oder besonders nervöse Beifahrer befördern, dann sagen Sie ihnen gleich, dass Sie ein Telefon an Bord haben – damit sie nicht beim nächsten Anruf vom Klingelgeräusch an den Rand einer Herzattacke getrieben werden.
Im Restaurant
Der Vorwurf der D-Netz-Gegner, sie könnten im Restaurant vor lauter Telefonbimmeln nicht mehr in Ruhe essen, ist absurd. Hand aufs Herz: Wer hat denn schon mal wirklich erlebt, dass es am Nebentisch geläutet hat? Schließlich sind die meisten Mobiltelefon-Besitzer kultivierte Menschen, die ebenso wenig beim Essen durch Anrufe gestört werden wollen wie sie. Und so, wie rücksichtsvolle Feinschmecker nie eine dicke Zigarre anzünden würden, wenn der Nachbar gerade eine plateau de fruits de mer verspeist, schalten rücksichtsvolle D-Netzler ihr Telefon vor den Gängen entweder ab oder auf Anrufbeantworter-Funktion. Es sei denn, die freundliche Garderobendame ist so nett, das Handy zu hüten. Vielleicht nimmt sie sogar gegen ein kleines Trinkgeld die Anrufe entgegen und vertröstet mögliche Gesprächspartner mit einem gediegenen: „Tut mir leid, aber Herr Maier speisen gerade.“
In der Kneipe
Obwohl es in vielen Bierstuben aus Musiktruhen und Spielautomaten längst klingelt und piepst, haben einige Kneipiers trotzdem etwas gegen Mobiltelefone. Am besten, Sie schalten das Ding ab, so lange Sie am Tresen stehen und ein paar heben wollen. Wozu gibt es schließlich die Anrufbeantworter-Funktion?
Anders sieht die Sache aus, wenn Sie jemanden von der Kneipe aus anrufen wollen. Zwar streiten sich die Gelehrten auch darüber, aber wir meinen: Mit wem ich beim Bier rede, geht keinen etwas an. Nur müssen Sie auf jede Menge mehr oder weniger witzige Kommentare der Umstehenden gefasst sein. Je nachdem, wie viele Bierchen die getrunken haben, kann der Sozialneid des Telefonlosen schon recht derbe Formen annehmen. Wenn Sie Ihre Ruhe beim Telefonieren wollen, geben Sie am besten vorher einen aus…
Im Theater
Vor kurzem ging eine Meldung durch die Presse, wonach die Mailänder Scala das Mitnehmen von Mobiltelefonen in die Vorstellung offiziell verboten habe. Offenbar fand es Bajazzo gar nicht zum Lachen, wenn er beim Solo durch ein schrilles Piepsen aus dem Publikum unterbrochen wurde. Dass man das D-Netz-Gerät ausschalten oder abgeben muss, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Das heißt aber nicht, dass Sie das Handy gleich daheim lassen sollen, wenn Sie ins Theater gehen. Wozu gibt es schließlich die Opernpause? Statt banale Gespräche über das Timbre des Tenors zu führen, können Sie beim Flanieren schon mal den besten Tisch beim Italiener gegenüber bestellen – und damit der Horde hungriger Kulturbürger nach dem letzten Akt ein Schnippchen schlagen.
Aus: D-Netz-Knigge – ein Benimmführer für mobiles Telefonieren. Text: Tim Cole – Illustration: Cellnet/David Haldane – © 1994 by Motor-Presse Stuttgart
Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 26. Juni 1995 im Cole-Blog
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