Keine Frage: Der Online-Handel verändert vieles, einschließlich unserer Städte. „In fünf Jahren werden 30 Prozent der heutigen Verkaufsflächen überflüssig sein“, sagt Wolfgang Richter, Chef von Regio-Plan Consulting, ein auf standortrelevante Themen rund um den Einzelhandel spezialisierter Strategieberater. Rund die Hälfte der Konsumenten kauft nach einer Studie seines Unternehmens noch heute vorwiegend stationär ein, während zehn Prozent eine starke Onlineaffinität aufweisen. 40 Prozent seien eher als „hybride Konsumenten“ einzustufen, und gerade diese letzte Gruppe werde in Zukunft stark wachsen.
Die Angst vor dem Absterben der Innenstädte scheint also verfrüht. In einer Umfrage des Instituts für Handelsforschung Köln wurden Konsumenten gefragt, ob sie weniger oft als früher in die Stadt fahren, weil sie jetzt die Möglichkeit haben, online einzukaufen. Zwar bestätigte eine Mehrheit (46,3 Prozent) diesen Trend. 22,8 Prozent gaben allerdings an, genauso oft zum Einkaufen ins Zentrum zu fahren – obwohl sie regelmäßig online einkaufen. Anders ausgedrückt: Der Online-Handel sorgte unterm Strich für einen Umsatzplus!
Oliver Emmrich vom Forschungszentrum für Handelsmanagement an der Hochschule St. Gallen spricht deshalb von einer Riesenchance für den Handel: Durch geschickte Vernetzung der stationären Geschäfte mit den Onlineshops lasse sich der Umsatz insgesamt steigern. „Händler in der Innenstadt haben zumeist kleinere Ladenflächen und somit ein begrenztes Sortiment“, sagt Emrich. „Händler können in der Innenstadt das Einkaufserlebnis stärken und Kunden inspirieren. Vor Ort nicht verfügbare Artikel können durch geschultes Verkaufspersonal über den Onlineshop angeboten werden“. So würden sich die jeweiligen Stärken der verschiedenen Handelsformen gegenseitig unterstützen – so, als hätte der Händler in seinem Innenstadtgeschäft plötzlich ein riesiges Warenlager dazubekommen.
Emrich glaubt sogar, dass der Einzelhandel mit dieser dualen Strategie verlorene Umsatzanteile von den Einkaufszentren und Shopping Malls zurückgewinnen könne, die den traditionellen Handel im letzten Jahrzehnt zugesetzt haben. Dass allerdings bei stagnierendem Umsatz und gestiegenem Onlineanteil alles beim Alten bleibe, dürfe keiner erwarten. Der Trend zum Einkaufszentrum an der Peripherie habe schlechte Standorte in der Innenstadt ebenso verdrängt wie veraltete Geschäftsmodelle oder begrenzte Sortimente. Insgesamt aber biete die Verbindung von stationärem und Online-Handel Gelegenheiten, die der Handel ergreifen müsse, zumal nach Studien der Schweizer Handelsforscher bereits eine Trendumkehr zu beobachten ist: Seit 2013 gehen die Verkaufsflächen in den Randbezirken wieder zurück. Die Boomjahre der Einkaufszentren dürften damit endgültig vorbei sein.
Dazu trägt auch die Ausweitung des Online-Handels auf Bereiche bei, die bislang eher dem stationären Handel vorbehalten geblieben sind. Zum Beispiel blüht seit Kurzem der Lebensmittelhandel im Internet. Einer repräsentativen Studie des Düsseldorfer Marktforschungsinstituts Innofact zufolge sind 56 Prozent aller Deutschen daran interessiert, Lebensmittel per Internet zu kaufen.
Vor diesem Hintergrund ist klar, dass sich im stationären Handel einiges ändern muss, wenn man den Zug in Richtung Handelszukunft nicht verpassen will. So sind zum Beispiel Ladenschlussgesetze und der Verbot der Sonntagsöffnung aus Kundensicht eindeutige Nachteile. Im Internet sind die Geschäfte rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr geöffnet.
Eine andere Alternative wird im englischsprachigen Ausland als „Click & Collect“ bezeichnet und erfreut sich in Großbritannien und Amerika inzwischen großer Beliebtheit, steckt in Deutschland aber noch in den Kinderschuhen. Es geht um die Möglichkeit, Produkte des täglichen Bedarfs zunächst online zu recherchieren und zu bestellen, um sie später beim stationären Ladengeschäft abzuholen. Bezahlt wird entweder online oder vor Ort.
Besonders für Berufstätige bietet das Vorteile, weil sie in der Regel tagsüber nicht zuhause auf den Paketdienst warten können. Und auch der Händler profitiert, weil beispielsweise die Versandkosten und die Bearbeitung von Retouren entfallen. Beim Ladenbesuch kann sich der Kunde über zusätzliche Produkte und Dienstleistungen informieren und eventuelle Fragen gleich vor Ort klären. Supermarktketten wie Tesco oder die Kaufhauskette Marks & Spencer arbeiten schon lange mit diesem Prinzip, in Deutschland haben Karstadt und C&A erste Modellprojekte gestartet.
Dieser Text stammt aus meinem neuen Buch, „Digitale Transformation„, das am 5. Oktober im Vahlen-Verlag erscheint.
Besuchen Sie auch meinen Metablog auf czyslansky.net, schauen Sie sich meine Videos auf YouTube an oder disktuieren Sie mit mir auf Facebook