„Wie wirken Globuli?“ Dies Frage auf Quora hat mich neugierig gemacht. Denn nicht nur ich frage mich schon lange, wie ein Medikament eine Wirkung haben kann, obwohl sie keinerlei Wirkstoffe enthält.
Solche Mittel werden bekanntlich durch schrittweises Verdünnen und „Verschütteln“ einer sogenannten Urtinktur hergestellt. Ein Mittel gilt in der Homöopathie als umso wirksamer, je stärker es potenziert (und damit verdünnt) wurde. Für die häufig verwendete Potenz D12 muss die Urtinktur 12 Mal im Verhältnis 1:10 verdünnt werden. Bei einer so genannten LM-Potenz oder Q-Potenzen (von lateinisch: quinquagies millesimus) entspricht die Verdünnung von 1:50.000. Damit ist der Wirkstoff chemisch kaum nachweisbar und damit unter praktischen Gesichtspunkten nicht existent.
Dennoch schwören die Leute auf diese Wundermittel. Meine Nachbarin zum Beispiel hat sie ihrem Hund gegeben und glaubt, dem Tier sei es nachher besser gegangen. Ihren Sohn will sie damit als Kind von Meningitis geheilt haben, und ich traue mich nicht, ihr zu widersprechen. Aber vielleicht muss ich das ja gar nicht, weil sich das Problem ohnehin von selbst erledigen wird.
Es droht nämlich ein generelles Verbot homöopathischer Präparate, nachdem die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs im März 2020 einen Prozess gegen die Vertreiber eines Präparates der als windig geltenden „Hollywood-Diät“ gewonnen hatte, weil dieser gegen die Bestimmungen in Deutschland über die Auflistung der Bestandteile von Nahrungsergänzungsmitteln verstoßen hatte. Wie das Handelsblatt berichtete, stufte der Hersteller das Produkt schnell zum „homöopathischen Arzneimittel“ ohne Nennung eines Anwendungsgebiets herab und verkaufte es weiter in Apotheken. Die Wettbewerbszentrale klagte mit Erfolg auf Unterlassung.
Damit saßen aber indirekt alle Hersteller hochverdünnter homöopathischer Medikamente mit auf der Beklagtenbank. Denn die Wettbewerbszentrale argumentierte, aufgrund der extremen Verdünnung des Wirkstoffs sei in dem Produkt „HCG C 30 Globuli“ kein nachweisbarer Wirkstoff enthalten. Die Bezeichnung „Medikament“ sei daher irreführend und wettbewerbswidrig.
Das Landgericht Darmstadt warnte die Kläger vor den möglichen Konsequenzen, wenn die Klage Erfolg habe. „Dies würde dazu führen, dass eine Vielzahl im Verkehr befindlicher homöopathischer Arzneimittel nicht mehr in der bisherigen Form vertrieben werden dürfte,“ schrieben die Richter.
Am Ende wies das Gericht die Klage ab mit der Begründung, ein faktisches Verbot homöopathischer Arzneimittel könne nicht im Sinne derjenigen Verbraucher sein, die von einer gewissen Möglichkeit der Wirksamkeit hochverdünnter homöopathischer Arzneimittel ausgehen. Die Richter machten einen Unterschied zwischen „nicht nachweisbar“ und „nicht vorhanden“.
Die Wettbewerbszentrale hat Berufung angekündigt, und so kann es sein, dass eine der nächsten Instanzen gegen die Globuli-Branche entscheidet, was das de-facto Ende der Homöopathie bedeuten würde.
Laut einem aktuellen Urteil darf eine Apotheke nicht mit Inhaltsstoffen werben, wenn sie nicht nachweisbar sind. Dem Hersteller Hevert untersagte das Oberlandesgericht Koblenz, für ein Mittel zu werben, es fördere die Selbstheilungskräfte. „Die Werbung für Arzneimittel ist unzulässig, wenn und soweit der Inhalt der Werbeaussage nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht“, erklärte das Gericht. Hevert zog bis zum Bundesgerichtshof – und verlor.
Irreführende Arzneimittelwerbung kann strafbar sein, bei Verstößen drohen Geldstrafen oder bis zu ein Jahr Haft. Ohnehin sinkt seit Jahren die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die Homöopathika verschrieben. Hersteller wie die Dr. Schwabe Holding, Dachkonzern eines des größten Homöopathieherstellers Deutsche Homöopathie Union, klagen offen über „negative Berichterstattung zur Homöopathie“, die zu Umsatzgängen geführt hätten. In Österreich forderte jüngst die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz, den Verkauf homöopathischer Mittel in Apotheken zu verbieten.
Das wäre aber wahrscheinlich sehr schade, denn selbst ein Medikament ohne Wirkstoff kann Wirkung zeigen. Nur nicht direkt, sondern indirekt über den Glauben an seine Wirksamkeit.
Wir wissen zwar nicht genau, wie der so genannte Placebo-Effekt zustande kommt. Manche Ärzte vermuten aber, dass der Körper selbst Wirkstoffe produziert, und dass diese Form der Selbstmedikamentierung vom Gehirn ausgeht. Klar ist aber, dass es sie gibt – und zwar sehr viel häufiger, als man meinen würde. Klinische Studien der American Cancer Society lassen darauf schließen, dass jeder dritte Heilungserfolg auf Einbildung beruht.
Der Verstand kann also ein mächtiges Heilungsinstrument sein kann, wenn man ihm die Chance dazu gibt. Die Vorstellung, dass unser Gehirn unseren Körper davon überzeugen kann, dass eine gefälschte Behandlung echt ist und damit die Heilung anregt, gibt es schon seit Jahrtausenden, schreibt hiess es jüngst in einem Aufsatz der Harvard Medical School mit dem Titel „The Power of the placebo„. Ein Placebo könne unter den richtigen Umständen genauso wirksam sein kann wie eine herkömmliche Behandlung.
Das kann zum Beispiel die Folge von antrainierten Erwartungen sein, eine Art Lerneffekt: Wenn wir eine bestimmte Kopfschmerztablette einnehmen, assoziieren wir diese Tablette möglicherweise mit Schmerzlinderung. Wenn wir eine ähnlich aussehende Placebopille gegen Kopfschmerzen erhalten, kann es aufgrund dieser Assoziation dennoch zu einer Schmerzlinderung kommen.
Auf Healthline wird davon berichtet, dass manche Menschen die Arztpraxis mit einer Behandlung oder einem besseren Gefühl assoziieren. Diese Assoziation kann dann wiederum beeinflussen, wie wir die Behandlung empfinden, die wir dort erhalten.
Persönliche Erwartungen können eine weitere mögliche Ursache sein. Wenn ein Arzt – der vielgerühmte „Herrgott im Weißkittel“ – sagt, dass es uns besser gehen wird, wenn wir eine bestimmte Tablette nehmen, glauben wir ihm das. Wenn es uns schon mal besser gegangen ist, nachdem wir eine bestimmte Pille genommen oder eine bestimmte Injektion erhalten haben, geht es uns tatsächlich das nächste Mal besser, auch wenn wir statt des Medikaments ein Placebo untergeschoben bekommen haben. Selbst der Tonfall, die Körpersprache und der Augenkontakt des Arztes können beruhigend wirken, so dass wir der Behandlung positiver empfinden und ihre Wirkung steigt.
„Jedes Mal, wenn wir eine Behandlung, einen chirurgischen Eingriff oder eine Injektion erhalten, erhoffen wir uns eine Linderung unserer Schmerzen. Wir erwarten, dass es uns besser geht,“ sagte die Placbo-Forscherin Luana Colloca von der University of Maryland in einem Interview mit dem Pulitzer Center. Jede Art von Erwartung auf Verbesserung könne eine absteigende Schmerzmodulation im Gehirn auslösen.
Wenn die Homöopathie solche Reaktionen auslösen oder verstärken können, dann wäre es ein schwerer Fehler, sie zu verbieten. Denn eine der wichtigsten Erkenntnisse aus jahrtausendelanger Behandlung durch Schamanen, Wunderheiler, Quacksalber, traditionelle und alternative Mediziner im Laufe der Menschheitsgeschichte hat vor allem eines gelehrt: Wer heilt hat recht!