2050 ist es also aus, liebe Kollegen. Schade, denn die Zeitung hat ja einen tollen Lauf hingelegt. 500 Jahre haben sie überdauert. Die ersten waren angeblich handgeschriebene Pamphlete, die ausgerechnet hier in Deutschland um 1400 erschienen und in denen es um angebliche Gräueltaten eines sadistischen Woiwode namens Vlad Tsepes Drakul ging, der in der damaligen Walachei später in der Legende zum Graf Dracula mutierte. Etwa ab 1500 gab es in Venedig ebenfalls handgeschriebene Avizzis, die wichtige Nachrichten für Kaufleute enthielten. Auch die Fugger ließ sich mit Hilfe solcher gefalteten Blätter auf dem Laufenden halten.
Die vermutlich erste gedruckte Zeitung war die Relation aller Fürnemmen und gedenckwürdigen Historien, ab 1605 von Johann Carolus in Strasbourg gedruckt. Die erste englische Zeitung waren Corante, or weekely newes from Italy, Germany, Hungary, Poland, Bohemia, France and the Low Countreys, die 1620 erschienen. 1814 erwarben die Times in London eine Druckmaschine, die erstmals in der Lage war, beide Seiten des Papiers zu bedrucken und die pro Stunde stattliche 1.100 Exemplare ausspucken konnte. 1843 gründete der Schotte James Wilson eine Zeitung, die er The Economist nannte und die heute die Auszeichnung besitzt, eine der wenigen Printtitel zu sein, die heute noch wachsen, was wohl an dem hohen journalistischen Niveau sowie der traditionellen Querdenke der britischen Redaktion liegt, was sich in solchen Dingen wie dem „Big Mac Index“ niederschlug, einer Kennzahl, die den Zustand einer Landeswährung mit dem Preis eines Hamburgers korrelierte – mit bis heute verblüffendem Erfolg!
Ich selbst habe meine Journalistenlaufbahn bei der Rhein Neckar Zeitung begonnen, einer kleinen Lokalzeitung, die im Neckartal und im Odenwald zwischen Rhein und Tauber die Menschen mit Neuem versorgte, und die damals noch „im Blei“ hergestellt wurde, also mit Hilfe beweglicher Lettern und Linotype-Satzmaschinen. Neulich musste ich in Hannover bei der HAZ einen Vortrag über die Online-Zukunft halten, und beim Herausgehen sah so ein Ding im Foyer stehen, sozusagen als Museumsstück.
Als ein solches fühle ich mich auch manchmal, wenn ich an die Entwicklung der Nachrichtenverbreitung in den vergangenen 40 Jahren denke, in denen ich daran mitwirken durfte. Ich habe das Ende von Blei ebenso erlebt wie den Lichtsatz und später das Desktop Publishing, bis schließlich das Internet kam und anfing, meine geliebte Tageszeitung langsam aber sicher den Garaus zu machen.
Und ja, lieber Michael, wenn wir beide uns anstrengen und nicht zu früh sterben werden wir beide das Ende erleben. Denn in Wirklichkeit wird es nicht bis 2050 dauern. Vorher werden die Vertriebs- und Anzeigenerlöse unter die kritische Schwelle sinken, und dann ist es aus. Schließlich ist eine Tageszeitung, wie mein alter Verlagsleiter Peter Scheiner bei den Stuttgarter Nachrichten gerne sagte, eine Ansammlung von Geschäftsmodellen zur gemeinsamen Finanzierung einer Druckmaschine. Und die Modelle sind ja eines nach dem anderen weggebrochen, ins Internet abgewandert, weil die Verleger zu blöd und zu kurzsichtig waren, sich ihre Pfründe auch im Cyberspace zu sichern. So gehören die Stellenanzeigen, die Autoanzeigen, die Immobilienanzeigen und die Wohnungsanzeigen irgendwelchen Branchenfremden wie Autoscout oder Monster. Immerhin hat sich Springer 2006 für teuer Geld die Immonet unter den Nagel gerissen, sonst hätten sie komplett durch die Finger geschaut. Sie hätten es billiger haben können, wenn sie es selbst aufgebaut hätten.
Aber wozu lange lamentieren: Genießen wir noch ein paar Jahre das wunderbare Erlebnis, in einem Wiener Kaffeehaus zu sitzen, eine Zeitung in Händen zu halten, ab und zu an einer Melange zu nippen und die Welt an uns vorüber ziehen zu lassen. Wir werden die letzten sein.