Die älteren unter uns erinnern sich noch an die sagenhafte Zeit des ersten Internet-Booms. Das heißt: So lange ist es gar nicht her, dass die Dotcom-Blase platze. Damals, am 10. März 2000, erreichte der NASDAQ-Index in New York den Wert von 5132.52. Heute liegt er an einem richtig guten Tag schon mal bei 3.000. Sic transit gloria mundi!
Die Geschichte der Dotcom-Blase war geprägt von etwas, dass Wirtschaftswissenschaftler schon damals „irrational exuberance“ nannten, was sich am besten mit „unvernünftiger Überschwang“ ins Deutsche übertragen lässt. Das ist nicht wirklich neu: Immer wieder in der Börsengeschichte haben sich die Menschen davon überzeugen lassen, dass die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben sind. 1636 kostete eine einzige Tulpenzwiebel in Amsterdam 60 Gulden – so viel wie sonst ein ganzer Bauernhof. 1846 gingen Hunderttausende von Anleger pleite, als die große Eisenbahn-Blase platzte. Und reden wir lieber gar nicht erst vom „Schwarzen Freitag“ 1929, der die bisher größte Depression der modernen Wirtschaftsgeschichte auslöste.
Natürlich war deshalb die Schadenfreude groß, als das große Börsenfeuerwerk von Facebook sich jüngst als klassischer Rohrkrepierer herausstellte. Pleiten, Pech und Pannen, so hätte man auch titeln können als erst die Börsencomputer streikten und dann die großen institutionellen Anleger, die offenbar vorher einen Tipp von jenen Bankern bekamen, die eigentlich den Börsengang vorbereitet hatten und denen offenbar im letzten Moment klar wurde, dass sie den Ausgabekurs viel zu hoch angesetzt hatten. Das Ganze wird ein gewaltiges Nachspiel haben, denn es laufen mindestens drei Untersuchungen der Börsenaufsicht und des US-Kongress, und es werden sicher auch Köpfe rollen – aber werden es die richtigen sein? Da habe ich so meine Zweifel.
Und ich bin auch nicht alleine: Wie die „New York Times“ vor kurzem meldeten, haben vor allem Kleinanleger zunehmend weniger Lust, sich an der Börse ständig die Finger zu verbrennen, während die Großen, durch dezente Insidertipps gewarnt oder durch Leerverkäufe abgesichert, scheinbar immer wieder Kasse auf ihre Kosten machen. „Kleine Investoren haben sich nicht nur eingegraben, sie streben zu den Ausgängen“, schrieb das US-Blatt. Im April wurden an der Wall Street gerade mal 6,5 Milliarden Aktien gehandelt – halb so viel wie vor vier Jahren. Insgesamt hätten Anleger mehr als 400 Milliarden US-Dollar abgezogen – Börsenkapital, das Unternehmen jetzt fehlt, um in Wachstumsimpulse zu setzen und Jobs zu schaffen.
Keine Frage: Der Lack ist ab vom großen Börsenabenteuer, und Facebook ist dafür nur das jüngste Beispiel. Ein besonders bissiger Kritiker beschrieben den Börsengang des Social Media-Flaggschiffs als einen „circular firing squad“ – ein Erschießungskommando, das sich im Kreis aufstellt, abdrückt – und alle fallen um! Sehr witzig – aber auch sehr falsch.
Denn Facebooks Platz in der Geschichte war ihm lange vor dem verkorksten Börsengang sicher. Genau wie es nach dem Platzen der Dotcom-Blase ja keineswegs aus war mit dem Internet: Die Ideen und Erfindungen, die damals in den heißen Tagen der so genannten New Economy geschaffen wurden, blieben uns erhalten und haben einen gewaltigen weltweiten Innovationsschub erzeugt, von dem Unternehmen und Verbraucher heute ständig profitieren.
Facebook hat eine Milliarde Menschen zu einem dichten Netzwerk verknüpft und uns eine neue Qualität in der Kommunikation – auch und gerade in der Unternehmenskommunikation – beschert. Das Börsenspiel mit Facebook & Co. ist dagegen wirklich nur eine Luftblase – und vielleicht für einige von uns vielleicht auch eine heilsame Lehre.