Europäer blicken üblicherweise neidisch nach Amerika, das es ja angeblich besser hat. Aber ist das wirklich so? Ja, es gibt kein europäisches Unternehmen, dass in der gleichen Liga spielt wie Google, Amazon, Facebook oder Apple – aber ist das so schlimm? Tägliche Meldungen über Datenklau, Datenmanipulation und Datenmißbrauch lassen Zweifel aufkommen.
Aber vielleicht wird ja umgekehrt ein Schuh draus. Es sieht in letzter Zeit nämlich eher so aus, als ob uns die Amerikaner beneiden würden. In einem Dossier für die Washington Post behaupten die Autoren Tony Romm, Craig Timberg und Michael Birnbaum im Mai 2018: „Europe, nicht die USA, sind heute die mächtigsten Regulatoren des Silicon Valley.“ Ein Eindruck, der sich immer mehr zu verdichten scheint:
- Soeben verhängte die britische Regierung die Höchststrafe von einer halben Million Pfund gegen Facebook, weil sie es als erwiesen ansah, dass Mark Zuckerbergs Firma die Daten seiner Nutzer nicht ausreichend beschützt und so zugelassen hat, dass die Marktforscher von Cambridge Analytica die Informationen von 87 Millionen Facebook-User abgezogen und dazu verwendet hat, Wählerprofile zu erstellen, die sie an das Wahlkampfteam von Donald Trump verkauft haben.
- Bereits ein Jahr früher brummte die EU-Kommission Facebook eine Geldstrafe von 110 Millionen Euro auf, weil sie die Daten von Facebook-Nutzern mit denen ihres Tochterunternehmens WhatsApp verknüpft und diese Tatsache verschwiegen hatten.
- Ebenfalls 2017 war Google an der Reihe: Eine Rekordstrafe von 2,42 Milliarden Euro musste der Such-Gigant an die EU zahlen, weil er seine Marktmacht als Suchmaschinenbetreiber missbraucht hat, um eigene Anzeigen besser zu platzieren.
- Wenige Monate später verhängte die EU-Kommission gegen Amazon eine Steuernachzahlung in Höhe von 250 Millionen Euro wegen illegaler Vergünstigungen in Luxemburg.
- Ebenfalls im Herbst 2017 verdonnerte die EU-Kommission das Mitgliedsland Irland dazu, 13 Milliarden Euro beizutreiben, die Apple aufgrund von unfairen Steuervergünstigungen verbucht hatte. Irland hat sich allerdings bislang quergestellt und ist vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gezogen.
Und nicht nur die GAFA müssen die Macht der Europäer – mit 510 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von 17 Billionen Dollar immerhin die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt – von nun an fürchten. So musste der Mitfahrdienst Uber in Deutschland und Frankreich jeweils Geldstrafen von 800.000 Euro bezahlen. Und von Berlin bis Barcelona und Mallorca haben Behörden dem Wohnungsvermittler AirBnB einen Riegel vorgeschoben, indem sie Appartmentbesitzern mit hohen Geldstrafen drohen, wenn sie dabei erwischt werden, ohnehin knappen Wohnraum kurzzeitig an Touristen zu vermieten.
Doch es ist vor allem der Schutz der Privatsphäre, wo Europa inzwischen den Amerikanern zeigt, wo die Harke hängt. Im Mai 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Personen unter bestimmten Bedingungen das Recht auf Tilgung von Links in Suchmaschinen zusteht. Dieses „Recht auf Vergessenwerden“ betrifft vor allem alte Zeitungsartikel, die nicht mehr aktuell oder relevant sind, die aber einen Menschen unter Umständen jahrzehntelang durchs Leben verfolgen können. Dieses Lösch-Recht wurde auch in die im Mai 2018 in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) aufgenommen und ist somit Teil des europäischen Datenschutzrechts. Web-User müssen außerdem ausdrücklich der Speicherung und Verarbeitung ihrer persönlichen Daten zustimmen („Opt-In-Prinzip“). In den USA gilt hingegen das „Opt-Out-Prinzip“: Daten dürfen gespeichert werden, solange der Betroffene es dem Unternehmen nicht ausdrücklich verbietet.
Ein Wiener, der GAFA das Fürchten lehrt
Der Österreicher Max Schrems aus Salzburg ist jenseits des großen Teichs bekannter als hierzulande, und sein Name gilt in den Chefetagen von Google und Konsorten als Schimpfwort. Der promovierte Jurist überzieht amerikanische Konzerne seit Jahren mit Klagen – meist mit großem Erfolg. So kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2015 das zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ausgehandelte Safe Harbor Agreement, das es europäischen Unternehmen und den europäischen Tochtergesellschaften amerikanischer Firmen erlaubte, personenbezogene Daten in die Vereinigten Staaten zu übermitteln. Schrems hatte in seiner Klageschrift nachgewiesen, dass neun der größten Internetkonzerne und Dienste der USA, darunter Microsofts Tochterfirma Skype, Google, YouTube, Facebook, Yahoo, Apple und AOL, dem amerikanischen Geheimdienst NSA ungehinderten Zugang zu ihren Servern erlaubt – von wegen „sicherer Hafen“. Das EuGH erklärte das Abkommen am 6. Oktober 2015 für ungültig und rechtswidrig.
2014 versuchte Schrems, in Wien eine Sammelklage gegen Facebook einzubringen, der sich schließlich mehr als 25.000 Kläger anschlossen. Die Klage wurde allerdings von EuGH aus formaljuristischen Gründen nicht zugelassen.
2016 erhielt Schrems von der amerikanischen Organisation Electronic Frontier Foundation den begehrten Pioneer Award, der seit 1992 an Menschen vergeben wird, die sich besonders um die digitalen Menschenrechte verdient gemacht haben. Ende 2017 gründete Schrems den gemeinnützigen Datenschutz-Verein noyb,, was als Abkürzung für None Of Your Business steht. Noyb verseht sich als europäisches Zentrum für Digitale Rechte und will Tech-Firmen zwingen, sich an europäische Datenschutznormen zu halten. Dazu treibt der Verein Geld ein, um Sammelklagen gegen den Missbrauch von persönlichen Daten zu finanzieren.
Die DSGVO wird die Online-Welt nachhaltig verändern, das ist klar. „Das Ironische ist, dass viele Amerikaner durch diese ausländische Gesetzesinitiative besser in ihrer Privatsphäre geschützt sein werden durch amerikanisches Recht“, sagte Rohit Chopra, der dem Führungsgremium der Federal Trade Commission (FTC), der obersten Wettbewerbsbehörde der USA. Mehrere US-Verbraucherschutzverbände Klagen in Europa gegen amerikanische Internetkonzerne angekündigt. „Der Kampf um Privatheit in den Vereinigten Staaten muss in Europa ausgefochten werden“, sagt Jeff Chester, der Chef des Center for Digital Democracy in Washington.
Wird Europa also die Standards setzen, an denen sich der Rest der Welt in Sachen Datenschutz und Privatsphäre orientieren werden – werden müssen? Aildh Callandar von der britischen Organisation Privacy International ist davon überzeugt. Entscheidend dafür sei, dass die großen US-Konzerne zwar in Europa Niederlassungen betreiben (und in Brüssel Heerscharen von Lobbyisten beschäftigen), dass ihnen aber trotzdem das politische Gewicht fehlt, das sie bislang in Amerika vor den schlimmsten Strafen schützt – zumal die gegenwärtige US-Regierung im Ruf steht, eher weniger als mehr Regulierung betreiben zu wollen. „Europa ist die Vorschau auf das, was in den Vereinigten Staaten kommen wird“, sagt der demokratische Senator Edward J. Markey. „Jeden Tag der vergeht bringt mehr und mehr Menschen zu der Erkenntnis, dass ihre Privatheit bedroht ist. Der Politik wird langfristig nichts anderes übrigbleiben als dem öffentlichen Druck nachzugeben und die großen Internet-Firmen an die Leine zu nehmen.“
In einem Gastbeitrag für mein neues Buch, Wild Wild Web – Was uns die Geschichte des Wilden Westens über die Zukunft der Digitalen Gesellschaft lehrt, schreibt Dr. Heinrich Arnold, CEO von Detecon International: „Aktuell scheint sich von Europa ausgehend ein weiterer Weg der digitalen Transformation zu etablieren. Bislang erleben wir zwei dominante Digitalisierungsmodelle mit globaler Relevanz. Zum einen sehen wir in den USA ein Modell, das auf einem durch Venture Capital finanzierten Hyperwachstum neuer Internetunternehmen beruht. Der auf Creative Destruction basierende Ansatz ist naturgemäß nicht für die Transformation etablierter Geschäftsmodelle geeignet und führt zum Verlust der bestehenden Industriebasis. Zum anderen gibt es das chinesische Modell: Die planwirtschaftlich abgesicherte und staatlich protegierte globale Ambition neuer Internetunternehmen und Plattformanbieter. Im Wettbewerb ist dieses Modell sogar noch aggressiver als der US-Ansatz.“
Arnold sieht europäische Spezialkompetenzen in Security, Datenschutz, Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und im Betreiben von sicheren Infrastrukturen als Grundlage für diesen „dritte Weg“. Die Stadtentwicklung in Europa ist für ihn ein weiteres Plus: „Europa hat zwar nicht die größten, aber die lebenswertesten Städte.“ Berlin gelte bei den sogenannten Millenials als attraktivste Stadt überhaupt, und zwar weltweit! Die Entwicklung von Smart City-Konzepten auf der Grundlage von Nachhaltigkeit, Offenheit und kultureller Substanz sei eine Stärke Europas – und könnte als Exportmodell dienen.
„Es gibt ihn sicher, den europäischen Weg, mit Deutschland als größter Wirtschaftskraft mit an der Spitze“, schreibt Arnold. Diesen gelte es global über Allianzen und Ökosysteme zu skalieren. Sein Faizt: „Wenn wir diesen Weg der digitalen Erweiterung der existierenden Geschäftsmodelle basierend auf den europäischen Spezialkompetenzen selbstbewusst und gemeinsam mit Wirtschaft, Politik, Forschung und gerne über Beratungen umsetzen, dann haben wir von Deutschland und Europa ausgehend eine kulturell und wirtschaftlich passende Alternative, um die großen Herausforderungen der digitalen Transformation erfolgreich zu bewältigen.“