Digitale Transformation treibt alle um. Auch Ingo Hattendorf von der Kölner QSC AG, ein Unternehmen, das sich als „Dienstleister für alle Herausforderungen der Digitalisierung“ bezeichnet. Er hat sich Gedanken dazu gemacht und diese in fünf knalligen Thesen zusammengetragen, die er gerade auf dem QSC-Blog veröffentlicht hat.
Dass Digitale Transformation Chefsache ist, mag nicht gerade neu klingen (ich habe es in meinem eigenen Buch „Digitale Transformation“ auch behauptet), aber Hattendorf bringt es sehr schön auf den Punkt: „Um die Mitarbeiter zu mobilisieren, muss sich deren Anführer mit Haut und Haaren der Veränderung und dem Risiko des Scheiterns verschreiben!“
Der letztere Punkt ist vor allem sehr wichtig, denn ich denke, Deutschland braucht eine Kultur des Scheiterns. Deutsche Manager (nicht alle, ein paar Ausnahmen bestätigen aber die Regel) haben panische Angst, Fehler zu machen und tun deshalb im Zweifelsfall lieber gar nichts als sich dem Risko des Misslingen auszusetzen. Das lähmt die Entscheidungsprozesse und zögert die notwendigen, teils radikalen Veränderungsprozesse hinaus, die im Rahmen der Digitalen Transformation jetzt in allen Branchen anstehen.
Ich bin vorgestern beim IBP Executive Day der Unternehmensberatung Iskander in München gefragt worden, warum ich die digitale Zukunft Deutschlands inzwischen so pessimistisch sehe und ob ich glaube, die Amerikaner würden es besser machen. Ich bin zu Höflichkeit erzogen worden und habe als gebürtiger Amerikaner immer eine etwas ambivalente Position, wenn ich Kritik an den Deutschen und an deutschen Unternehmen äußere, weil ich schnell in den Verdacht gerate, alles durch die „Ami-Brille“ zu sehen, die angeblich rosarot ist. Ich habe also vorsichtig geantwortet, dass es vielleicht eine Frage von Kultur und Geschichte sei. Immerhin fehlt den Amerikanern das Erlebnis des kollektiven Scheiterns eines ganzen Staates. Den Deutschen stecke der Schock von 1945 halt noch in den Gliedern, was sie andererseits zu sehr sympathische, auf Ausgleich bedachtem Menschen mache, habe ich gesagt.
Es klang selbst mir in dem Moment ziemlich schwach. Also habe ich es mit einem Witz versucht: Die Wagemutigen seien halt alle nach Amerika ausgewandert, zurück blieben die Vorsichtigen. Aber das kam auch nicht besonders gut.
Die Wahrheit ist: Das deutsche Wirtschaftssystem blockiert sich selbst mit seinen alten Traditionen, mit seiner Anhänglichkeit an alte Prozesse und mit der Regulierwut seiner Regierungsstellen. Der Erfolg gebe ihnen doch recht, antworten mir meine Kritiker darauf. Wir sind vielleicht nicht mehr Exportweltmeister, aber irgendwas müsse die deutsche Wirtschaft doch richtig machen, sonst ging es uns nicht so gut.
Stimmt. Aber wie lange noch? Die Welt ändert sich gerade mit einer Geschwindigkeit, die vielleicht in der Geschichte einmalig ist. Wir stehen am Übergang von einer analogen zur Digitalen Welt, und die wird so ganz anders sein.
Deutschland hat aber nur ein sehr kurzes Zeitfenster, um zu handeln, bevor die einstigen „Entwicklungsländer“ uns überrollen. Länder wie Korea oder China sind in der Vernetzung viel weiter wie die Deutschen, auch wenn die OECD-Statistik, wonach Deutschland bei den Breitbandanschlüssen an vorletzter Stelle liegt, ein wenig täuscht (die OECD hat Glasfaseranschlüsse gezählt und Dinge wie DSL oder Fernsehkabel außen vor gelassen).
Vor allem die „Breitbandkluft“ ist es, die bremst: Die Versorgungslage auf dem platten Land ist zum Teil katastrophal – und das, obwohl das „Herz der Deutschen Wirtschaft“, der Mittelstand, häufig dort pocht. Warum heißen sie wohl „hidden champions“? Weil sie irgendwo am Ende der Welt in einem kleinen Dorf sitzen, aber trotzdem Weltmarktführer in ihrer speziellen Nischenmarkt sind. Noch, jedenfalls: Was passiert, wenn die Konkurrenz aus Fernost sie auf der vielzitierten Datenautobahn mühelos abhängen können? Dann gute Nacht Deutschland!
Ich habe Hattendorfs Thesen also gerne gelesen, aber eine hat es mir besonders angetan. Eine seiner fünf Erfolgsfaktoren heißt: „Den Kunden wie seinen eigenen Ehepartner betrachten.“ Ich liebe meine Frau, aber ich weiß, dass es Ehen gibt, die eher an den Kalten Krieg erinnern. Bei einigen meiner Freunde ist das so, und ich denke, bei denen wird seinen These eher nach hinten losgehen.
Aber wie soll man das veränderte Verhältnis zwischen Anbieter und Kunde denn auch beschreiben. Meine eigene These lautet: „Der Kunde ist im Internet-Zeitalter wirklich König, und als Anbieter muss man alles tun, um zu seinem Hoflieferanten zu werden.“ Aber das kommt bei Leuten vermutlich auch schlecht an, die radikale Gegner der Monarchie sind.
Wenn die Digitale Transformation zum Ehekrieg mutiert, geht irgendwas schief. Dass Digitale Transformation zu einem neuen Miteinander von Anbietern und Kunden führen muss, ist unbestritten. Ich denke aber, dass man den Schuh anders herum anziehen muss: Unternehmen müssen Kunden davon überzeugen, dass sie bei ihnen in den besten Händen sind. Wer seine Kunden gut kennt, sie möglichst vorauseilend mit Dingen beglückt, die sie haben wollen und nicht mit Dingen beläatigt, die sie nicht haben wollen, dann wird der Kunde sehr schnell merken, wie gut er bei „seinem“ Anbieter aufgehoben ist und dass der Wechsel zu einem anderen Anbieter für ihn mit Nachteilen verbunden wäre. Das ist so ziemlich das Gegenteil von „Kundenbindung“, wie es früher verstanden wurde und wie es immer noch in vielen Firmen als Ziel verstanden wird. „Kunden-Selbstbindung“ wäre viel zielführender und langfrpstig auch erfolgversprechender. Aber dazu muss man verdammt überzeugend sein. Das kann man nicht von oben verordnen, das muss von jedem im Unternehmen gelebt werden.
Wie gesagt: sich mit Haut und Haaren der Veränderung verschreiben. Und keine Angst haben, dabei auch mal auf die Nase zu fallen.
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