Die Frage, wer Schutzheiliger des Internet werden soll, wird dem Vernehmen nach hinter den Mauern des Vatikans mit Inbrunst diskutiert. Neben dem Erzengel Gabriel gilt der Heiligen Isidor von Sevilla (ca.560-636) als fast schon prädestiniert, galt sein 20-bändiges Lebenswerk, die „Etymologiae“, doch fast 1000 Jahre lang als die „Summa des universellen Wissens“, also quasi als das Google des Spätmittelalters. Doch nun ist im holländischen `s-Hertogenbosch ein neuzeitlicher Außenseiter aufgetaucht, der womöglich beim Rennen um das Online-Patronat die Nase vorne haben wird.
Zur Vorgeschichte: 1997 beschloss das Domkapitel des Bistums, die 1220 fertiggestellte und mittlerweile doch etwas in die Jahre gekommene Kathedrale einer Generalsanierung zu unterziehen. Besonders traurig fanden Passanten den Anblick gewisser Heiligenstatuen, die von Wind und Wetter derart in Mitleidenschaft gezogen worden waren, dass sie als solche gar nicht mehr zu erkennen waren, sondern eher zufällig geformten Stalagmiten aus Sandstein ähnelten. In einer Ausschreibung setzte sich der holländische Bildhauer Tom Mooy gegen starke Konkurrenz durch und erhielt den Auftrag, insgesamt 40 Steinfiguren zu schaffen, darunter 14 Engel, um die verwitterten Vorgänger zu ersetzen.
Mooy nahm seinen Job sehr ernst und machte sich auch tiefschürfende Gedanken über Sinn und Zweck seines Exerzitiums mit Hammer und Meißel. Engel, so behauptete er in einem Interview, seien da, um den Menschen Führung zu geben und sie zu beschützen. Ihre Anweisungen dazu erhalten sie direkt von oben in Form von himmlischen Botschaften. Allerdings ist zumindest kanonisch ungeklärt, wie sie diese Botschaften empfangen, respektive wie sie bei eventuell auftretendem Klärungsbedarf (selbst Heilige haben, wie wir aus den Schriften wissen, gelegentlich Mühe, den himmlischen Ratschluss zu verstehen) eine Nachfrage an die Firmenleitung richten können.
Mooy löste das Problem auf zeitgemäße, und wie ich finde sehr elegante Weise: Er gab einem seiner Engelsgestalten ein Mobiltelefon in die Hand. Der Kleine Engel, wie er inzwischen im Volksmund genannt wird, soll auf ewig über die Dächer von `s-Hertogenbosch hinweg blicken, erhaben und gelassen, ein Handy ans linke Ohr gepresst, versunken und andächtig der Stimme des Herren lauschend, die vom Himmel hoch daher kommt, vermutlich über eine Art himmlisches GSM-Netz. Hier von einem „direkten Draht nach oben“ zu sprechen, verbietet sich natürlich von selbst, denn die Dame (sind Engel eigentlich weiblich oder doch eher androgyn?) telefoniert ja drahtlos.
So weit, so nett: Ein Himmelsbote, der (die? das?) zu allem Überfluss noch eine hautenge Jeans trägt, mag als Symbol des sich wandelnden Zeitgeists ja gerade noch durchgehen. Doch was dann geschah, ähnelt eher einer sehr irdischen Posse, in der die Kirche leider ein sehr schlechtes Bild abgibt. Jedenfalls werden sich all diejenigen bestätigt fühlen, die ihr vorwerfen, eher dem schnöden Mammon zu huldigen als nach dem Seelenheil zu streben.
Es begann damit, dass ein in der Nachbarschaft ansässiges Ehepaar beschloss, dem Flügelwesen auch einen Zweitanschluss im Hier und Heute zu geben. Sie ließ Aufkleber und Visitenkarten drucken, die sie in den umliegenden Kneipen, Restaurants und Hotels verteilten und auf denen ein Bild des Kleinen Engels zu sehen war, daneben eine Telefonnummer. Gleichzeitig eröffneten sie dem Engelchen einen Twiiter-Account.
Offenbar haben viele Menschen das Bedürfnis nach himmlischem Rat. Auf Twitter hat @ut_engelke jedenfalls schon mehrere Tausend Follower. Und das Telefon klingelt den ganz Tag, manchmal bis zu 100 Mal, wie die Ehefrau, die lieber ungenannt sein will, einem Reporter der New York Times anvertraute. Ja, es waren auch Witzbolde dabei, auch aufgebrachte Kirchenanhänger, die hinter der Nummer mit der Nummer einen Fall von Gotteslästerung vermuteten. Andere wollen sich über Kindesmissbrauch oder über die Bigotterie der Kirchenoberen beschweren.
Es rufen aber auch Kinder an, die wissen wollen, was Engelchen ißt und ob ihr nicht manchmal kalt sei da oben auf dem Kirchturm. Ein zwölfjähriges Mädchen rief an, um Engelchen zu bitten, ein gutes Wort für ihre kürzlich verstorbene Großmutter einzulegen. Und eine Mutter legte telefonisch Fürbitte für ihre toten Kinder ein. Eine 80jährige Witwe aus Amsterdam habe angerufen, um über ihre Einsamkeit zu klagen. Sie komme nicht mehr raus, es sei niemand da, der für sie einkaufen geht, und zu allem Überfluss tropfe der Wasserhahn in der Küche. Sie habe inzwischen ihren Glauben an die Menschlichkeit verloren und in ihre eigene Familie. Am liebsten wolle sie Schluss machen. Die Ehefrau sagte ihr, was sie allen sagt, nämlich: „Ich werde dir etwas Engelstaub zu blasen.“ Zwei Wochen später habe die alte Dame nochmal angerufen, um sich bei Engelchen zu bedanken: Es ging ihr inzwischen viel besser, und der Wasserhahn sei auch repariert.
Für ihre Tätigkeit als Amateurseelsorger verlangt das Ehepaar nichts, und sie haben zwischendurch auch schon mal überlegt, die Nummer abschalten zu lassen, weil das alles doch ein bisschen viel geworden ist. Sie wollen aber doch noch weitermachen – und zwar aus Trotz. Denn ihr irdisches Tun hat den Zorn von Engelchens weltlichen Besitzern erregt.
Die Kirchenoberen ließen kürzlich eine eigene Telefonnummer für Engelchen anmelden und nehmen dort sozusagen offiziell Anrufe entgegen. Der Gottes-Dienst ist aber leider nicht ganz umsonst: Pro Minute fallen Gebühren von rund 80 Cents an. Ein Schild an der Kirchenmauer weist Passanten auf die neue Nummer hin, Wer anruft, hört eine Tonbandstimme, die sagt: „Für Informationen über die Geschichte der Kathedrale, drücken Sie bitte eins, um mehr über die christliche Botschaft zu erfahren, drücken Sie bitte zwei“. Wer direkt mit dem Heiligen Geist verbunden werden will, muss wohl auf gut Glück irgendeine Nummer wählen. Gott weiß ja alles, also wird er vermutlich auch die richtige Verbindung herstellen können.
Nun gut, so eine Kathedrale in Schuss zu halten ist nicht billig. Angeblich sind dafür Jahr für Jahr rund 700.000 Euro fällig, und da versteht man, wenn die Kirche will, dass alle Mitarbeiter ihr Scherflein beitragen, auch Engelchen.
Einstweilen aber bleibt Engelchen erst mal unter der ursprünglichen Nummer erreichbar. Denn für eine echte menschliche Stimme gibt es in manchen Situationen doch keinen richtigen Ersatz. So läutete nach dem Tod von Apple-Chef Steve Jobs das Himmelstelefon des holländischen Ehepaars fast ununterbrochen. „Wir haben allen gesagt, dass Steve schon oben angekommen ist“, sagte die Ehefrau einem Reporter. Und fügte hoffnungsvoll hinzu: „Vielleicht schickt er uns allen ein neues Modell vom iPhone.
Keine Frage, also: Engelchen wäre ein ganz toller Schutzpatron für uns Onliner. Sollte es allerdings schlussendlich am Urheberrecht scheitern, ich bin sicher, Steve würde auch den Job gut machen…