Wenn es überhaupt einen ernsthaften Grund gibt, sich wegen Künstlicher Intelligenz Sorgen zu machen, dann schon eher im Bereich der Politik. Der rasche Fortschritt der KI macht sie zu einem mächtigen Instrument in wirtschaftlicher, politischer und militärischer Hinsicht. Eingebettet in die digitale Revolution wird die KI dazu beitragen, die internationale Ordnung für die kommenden Jahrzehnte zu bestimmen, indem sie die Dynamik eines alten Zyklus, in dem sich Technologie und Macht gegenseitig verstärken, akzentuiert und beschleunigt. Sie wird bestimmte Axiome der Geopolitik durch neue Beziehungen zwischen Territorien, Raum-Zeit-Dimensionen und Immaterialität verändern.
Der britische Unternehmer und Autor Ian Hogarth malte 2018 auf einer Tagung der Ditchley Foundation in Oxfordshire das Schreckgespenst eines neuen „KI-Nationalismus“ an die Wand. Daten seien von großer strategischer Bedeutung, so Hogarth. In Zukunft werden Nationalstaaten nicht nur ihre Datenbestände verteidigen, sondern sie für andere zu sperren, was auf den Versuch hinauslaufe, eine eigene nationale Datenwirtschaft zu etablieren.
Freiheit für die Daten!
„Information wants to be free“, lautet ein Slogan aus den Frühtagen des Internets. Daten sollten ungehindert um die Welt fließen. Aber stimmt das auch?
Die IT hat unseren Planeten in den letzten 40 Jahren so radikal verändert wie keine andere. Sie hat immensen Reichtum geschaffen – nicht nur an der Börse. Anderenseits ist kein Sektor mehr von der Globalisierung angewiesen: IT-Firmen sind durch ein kompliziertes Netz von Abhängigkeiten miteinander verbunden. Riesige Unternehmen tauschen weltweit Wissen und Patente aus, die – zumindest bis jetzt – den Gesetzen des Marktes sowie von Angebot und Nachfrage unterliegen.
Leider werden die Datenströme aber inzwischen zunehmend von Regierungen blockiert. Das könnte fatale Folgen für die KI haben, denn sie basiert in ganz besonderem Maße darauf, dass Informationen frei fließen können.
Die Welt könnte in ein amerikanisches und ein chinesisches Digitalimperium zerfallen, befürchtet Nicolas Miailhe von der Future Society, einem Think-and-Do-Tank an der Harvard Kennedy School of Government. Welche Rolle Europa in einer solchen bipolaren Welt spielen wird, ist ungewiss. Europa wird seine digitale Souveränität gegenüber den beiden KI-Weltmächten verteidigen müssen. Es wird seine Anstrengungen und Investitionen verdoppeln, oder sich mit strategischen Allianzen zufriedengeben müssen, die das nach sich ziehen, was Miailhe eine „Cyber-Vassalisierung“ nennt. Was Afrika betrifft, so stellt es seiner Meinung nach bereits heute ein riesiges Schlachtfeld dar, das eindeutig von einer „Cyber-Kolonisierung“ bedroht ist.
Auch in Deutschland wächst die Angst davor, zu sehr abhängig von ausländischen Internetunternehmen zu werden. „Macht sich Deutschland gerade erpressbar?“, fragte die FAZ im Sommer 2019, und zitierte Achim Berg, Präsident des Digitalverbandes Bitkom: „Vor knapp dreißig Jahren hat Deutschland seine staatliche Souveränität wiedererlangt. Jetzt muss es darum gehen, unsere technologische Souveränität zurückzugewinnen.“
Andere Staaten, darunter Kanada, Frankreich und Indien, haben nationale Strategien für die AI entwickelt. Der Risikokapitalgeber Ian Hogarth hat das Aufkommen eines „KI-Nationalismus“ vorhergesagt, bei dem die Staaten die nationale Politik für die KI-Landschaft gestalten und um die Vorherrschaft konkurrieren. Dies scheint keine Übertreibung zu sein. Der russische Präsident Wladimir Putin hat verkündet, dass das Land, das die Dominanz der KI erlangt, „der Herrscher der Welt sein wird“. Der Bedarf an qualitativ und quantitativ hochwertigen Daten hat eine neue Währung der Staatsmacht geschaffen. So wie das Öl die internationale Diplomatie der Vergangenheit geprägt hat, so werden sich neue Allianzen zunehmend mit der Zusammenarbeit im digitalen Bereich überschneiden.
Digitales Wettrüsten
„Die Herausforderung für alle Länder besteht darin, die geopolitischen Ambitionen mit den durch die KI verursachten sozialen und politischen Spannungen in Einklang zu bringen,“ schrieb Sebastian Spence in der Zeitschrift New Statesman. In dieser Hinsicht könnte Chinas staatskapitalistische Wirtschaft einen Vorteil haben. Während Google kürzlich die Verlängerung eines Vertrags mit dem US-Pentagon nach umfangreichen Mitarbeiterprotesten gegen die Nutzung der KI für militärische Zwecke verweigerte, begrüßt Baidu (Googles chinesisches Pendant) militärische Partnerschaften. Chinas Fähigkeit, große Mengen an ausgeklügelten Daten über seine Bürger anzuhäufen (über das Sozialkreditsystem), ist im Vergleich zum datenschutzbewussteren Westen sein größter Vorteil.
Es kommt nicht auf die Größe an
Spence verweiset auch auf das Potenzial der KI zur Schaffung neuer militärischer Fähigkeiten (wie „Robotersoldaten“) und zur Stärkung der staatlichen Macht. Die KI werde die Ressourcenallokation verbessern und die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung erhöhen. Sie wird kleineren Mächten die Möglichkeit bieten, militärisch und wirtschaftlich Einfluss zu nehmen, der nichts mit ihrer tatsächlichen Größe zu tun hat.
Solche Möglichkeiten seien übrigens nicht ohne historischen Präzedenzfall. Im 19. Jahrhundert nutzte das ressourcenarme Preußen Telegrafen und Eisenbahnen, um seine Streitkräfte zu konzentrieren und sich gegen größere Rivalen durchzusetzen.
KI könnte noch transformativer wirken. Autonome U-Boote, die in der Lage sind, Atomwaffen zu orten, zu verfolgen und möglicherweise abzurüsten, sind eine von vielen Entwicklungen, die einen Kerngedanken der nuklearen Abschreckung zu untergraben drohen: die zuverlässige Fähigkeit zum Zweitschlag.
Spence fordert eine breite Diskussion über die künftige Rolle von Nationalstaaten in einer Welt, in der künstliche Intelligenz ein wesentlicher Faktor in Wirtschaft, Gesellschaft und Landesverteidigung spielen wird. „Eine breitere Nutzung der KI wird die Art von Ressourcen und Legitimität erfordern, die nur der Staat bereitstellen kann. Wenn Regierungen versuchen, die Fähigkeiten des privaten Sektors auszunutzen, werden sie stärker werden, bevor sie schwächer werden“, folgert er.
Wenn wird einfach zusehen, wie Künstliche Intelligenz zum nächsten Rüstungswettlauf verkümmert, wäre das so ziemlich das Dümmste, was die Menschheit tun könnte.