Die nächste These aus dem Buch „Digitale Aufklärung von Ossi Urchs und mir zeigt, warum unser Buch ursprünglich „Die Adhoc Gesellschaft“ heißen sollte: Es geht um das Phänomen der Beschleunigung, wie es der französische Philosoph Paul Virillo bereits in den 80er Jahren beschrieben hat. Erst heute, im Zeichen von (mobilem) Internet und Social Media, wissen wir, was er meinte und wie recht er hatte.
These 6:
Digitalisierung und Vernetzung produzieren eine dramatische Beschleunigung und disruptive Entwicklung von Technologien und Medien. Diese gilt es nicht zu beherrschen, sondern zu verstehen – und zu genießen.Digitalisierung und Vernetzung bedeuten mehr als nur ein technisch begründeter und wirtschaftlich folgenreicher Verfall der Preise. Beide zusammen produzieren auch eine dramatische Beschleunigung der Technologie- und Medienentwicklung. Dauerte es von Gutenberg bis zum Aufkommen der ersten gedruckten Massenmedien in Gestalt der Tageszeitungen am Anfang des 19. Jahrhunderts noch etwa 350 Jahre, so brauchte das World Wide Web von seiner Konzeption durch Tim Berners-Lee bis zu seiner massenhaften Nutzung Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, gerade noch fünf Jahre. Und die Adaption des „mobilen“ Internets durch den Nutzer, nicht nur in den USA und Europa, sondern insbesondere in Asien und Lateinamerika, ging noch schneller, nämlich innerhalb von nur drei Jahren.
Eine derartige Beschleunigung fördert in den mit diesen Technologien und Medien verbundenen Märkten immer häufiger so genannte „disruptive“ Entwicklungen. Neue Produkte und Verfahren, Anwendungen und Geschäftsmodelle sind imstande, etablierte Unternehmen und Marken, ja ganze Märkte buchstäblich aus den Angeln zu heben, und sie, ebenso wie die dort herrschenden Spielregeln neu zu definieren. Die von Josef Schumpeter so eindrücklich beschriebene Tendenz des Kapitalismus zur „schöpferischen Zerstörung“ wird nirgends deutlicher als in diesen, die „normale“ Marktdynamik unterbrechenden und sie durch neue Impulse und Regeln ersetzenden Entwicklungen.
Das beste Beispiel für ein wirklich disruptives Produkt ist zweifellos das iPhone. Damit hat Apple den gesamten Handy-Weltmarkt neu definiert, so dass ehemalige Champions wie Nokia oder der Blackberry-Hersteller RIM heute alle Mühe haben, noch einmal Anschluss an die immer schneller fortschreitende Entwicklung zu finden. In gerade einmal drei Jahren hat Apple darüber hinaus auch einen völlig neuen Massenmarkt „erfunden“: Die mobile Nutzung des Internets, bis dahin eine nahezu geschlossene Veranstaltung für wenige computerverliebte „Geeks“, ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, von der Heerscharen von Entwicklern, Zubehör-Lieferanten und Service-Anbietern profitieren. Mit dem iPhone wurde die mobile Internet-Nutzung zu einem „Lifestyle“, zu einem nicht mehr weg zu denkenden Bestandteil unseres Alltags. Und es selbst wurde zum Schweizer Messer der digitalen Welt: Nicht nur das Universalwerkzeug zur Erledigung aller nur denkbaren Aufgaben im digitalen Alltag, sondern auch „das Original“ (etwas, das es in digitalen Welten eigentlich nicht gibt!), dem alle Wettbewerber nur nacheifern können.
Nun wäre es allerdings ebenso vermessen wie naiv zu glauben, solche disruptiven Marktentwicklungen auch nur einigermaßen präzise prognostizieren zu können, auch wenn so genannte Trendforscher nicht müde werden, dies für sich in Anspruch zu nehmen.Wer vor zwanzig Jahren behauptet hätte, dass ausgerechnet die gute, alte SMS zur erfolgreichsten „Killer-Applikation“ des herkömmlichen Mobilfunk-Marktes werden würde, hätte von „Experten“ sicher nur Kopfschütteln, wenn nicht höhnisches Gelächter geerntet. Und ganz ähnlich verhält es sich mit dem noch durchaus verbreiteten Glauben, Märkte über alle oder wenigstens eine Disruption hinweg „beherrschen“ zu können. Die Geschichte von IBM und Siemens, von Nokia und Sony vermag uns eines Besseren zu belehren: Wer nicht in der Lage ist, sich in disruptiven (Markt-)Situationen neu zu erfinden, hat keine weitere Chance zu erwarten. Insofern ähnelt die Vorstellung, disruptive Märkte beherrschen zu können, der, sich die „Erde untertan“ machen zu können: Beide sind eine Illusion!