Das Internet verändert alles – nur nicht die deutsche Bürolandschaft. Arbeitgeber, aber auch viele Arbeitnehmer erweisen sich hierzulande als völlig beratungsresistent wenn es um die Neugestaltung der Arbeitsorganisation geht. Das ist jedenfalls das Fazit, das ich nach der Lektüre der neuen BITKOM-Studie zum Thema „Digitalisierung der Arbeitswelt“ ziehe. Home Office? Aber ohne mich! Flexible Beschäftigungsmodelle und Einbinden von Freien? Lieber nicht! Videokonferenz? Was iss‘n das?
Deutschland, ein einig Volk von Bürohengste. BITKOM-Präsident Prof. Dieter Kempf, im Nebenjob Chef der Steuerberatergenossenschaft DATEV, war jedenfalls hörbar ernüchtert, als er heute die Studienergebnisse in einer Online-Pressekonferenz vorstellen musste. Wobei ihn offenbar die Tatsache besonders fuchste, dass nur 8 Prozent der befragten Firmen auf Videokonferenzen als Alternative zum Präsenztreffen setzt. Er war sich aber wenigstens der feinen Ironie bewusst , dass ihm die zugeschalteten Journalisten nur per Telefon lauschen konnten. Immerhin liefen seine Charts parallel im Internet. „Irgendwann sind wir auch soweit“, seufzte er zwischendurch.
Viel erschütternder waren die Zahlen, die er präsentieren musste. 75 Prozent der Firmen in Deutschland verlangen von ihren Mitarbeitern, dass sie während der Dienstzeit anwesend zu sein haben. Weitere 17 Prozent erlauben immerhin zwischen einem Drittel und der Hälfte ihrer Leute, zwischendurch auch mal woanders zu arbeiten. 73 Prozent sind überzeugt, dass der klassische Büroarbeitsplatz mit Präsenzpflicht auch in Zukunft das Modell der Wahl bleiben wird. Nur ein Drittel glaubt, dass das Home Office künftig an Bedeutung gewinnen wird. Bei 64 Prozent ist es schlicht „nicht vorgesehen.“
Die angegebenen Gründe sprechen Bände über die digitale Geistesreife deutscher Arbeitgeber. 33 Prozent sind überzeugt, dass die Arbeitsproduktivität ohne den direkten Austausch mit Kollegen am Arbeitsplatz sinkt. Es geht halt nichts über den guten, alten Flurfunk. Und 27 Prozent stören sich daran, dass ein Untergebener im Home Office nicht jederzeit ansprechbar ist. Wo kommen wir da auch hin, wenn Kollege Müller nicht sofort auf der Matte steht, wenn der Chef ruft? Bezeichnend auch diese Antwort: 17 Prozent machen sich Sorgen darüber, dass der Mitarbeiter im Home Office „nicht zu kontrollieren“ ist. Der Mitarbeiter als Marionette: So sieht deutscher Büroalltag leider immer noch aus.
Flexible Beschäftigungsverhältnisse sind für die meisten deutschen Unternehmen auch kein Thema. Nur 31 Prozent glauben, dass der Anteil freier Mitarbeiter in Zukunft wachsen wird. Externe Spezialisten sind ebenfalls tabu. Für 76 Prozent der Befragten sind sie für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens unbedeutend. Nur 29 Prozent glauben, das Externe in Zukunft für die Innovationskraft des Unternehmens wichtig sein werden. Na ja, ändern lässt sich ohnehin nichts, denn sonst hätten wir’s längst gemacht.
Neue Technologien werden ebenfalls äuß0erst misstrauisch beäugt. Für 56 Prozent der Befragten sind Präsenztreffen nach wie vor die Norm, Tendenz sogar leicht steigend. Weniger als die Hälfte (44 Prozent) nutzen wenigstens die Telefonkonferenz, während Videokonferenzen oder Skype, wie bereits erwähnt, mit 8 Prozent ein Kümmerdasein fristen. Dafür gibt es offenbar immer noch genügend ältliche Markteingfutzis, die an ein zweites Leben im Internet glauben. Jedenfalls sind 26 Prozent überzeugt, dass „3D-Videokonferenzen“ (was sie auch immer darunter verstehen mögen) in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Der „Avatarfriedhof“ Second Life lässt grüßen.
Kein Wunder, dass insgesamt beim Thema Digitalisierung der Arbeitswelt insgesamt der Pessimismus vorherrscht. Schließlich sind wir hier in Deutschland, der Heimat der Technophobie. 58 Prozent sind überzeugt, dass die Arbeitsplatzsicherheit dank Digitaltechnik und Vernetzung verringern wird. Ein Drittel ist überzeugt, dass die Arbeitszufriedenheit abnimmt. Klar, wenn man sich dauernd an was Neues gewöhnen muss. Okay, das Wirtschaftswachstum wird zunehmen, glauben 65 Prozent, das Innovationstempo auch (70 Prozent). Aber was hab ich davon?
Ein bisschen konnte einem Dieter Kempf ja leidtun, der am Ende dieser desolaten Bilanz schließlich irgendeine positive Botschaft im Vorfeld der CeBIT verkünden sollte. „Digitalisierung schafft Arbeit – nicht in jedem Segment, aber unter dem Strich in jedem Fall“, meinte er etwas bemüht. Aber am Ende konnte auch er nicht anders, als mahnend den Zeigefinger in die Höhe zu strecken und den Deutschen, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, die Leviten zu lesen: Wenn sich nicht irgendwas in den Köpfen bewegt, dann „bleiben wir bei der analogen Gesellschaft stehen und können nur staunend zuschauen, wie sich um uns herum in anderen Ländern Unternehmen rasant verändern, ihre Arbeit neu organisieren und innovative Geschäftsmodelle entwickeln.“
Recht hat er!