Ich bin ein großer Fan von Geschichte und von Podcasts, und so stolperte ich neulich über Stuff you missed in history class, das von zwei netten jungen Damen, Tracy Wilson und Holly Frey, produziert wird, die sich gerne mit wenig bekannten und oft recht skurrilen Ereignissen in der Geschichte beschäftigen. Das machen sie in einem recht flotten und witzigen Dialog, und sie recherchieren ihre Themen sehr genau. Diese reichen von Kosmetika im alten Ägypten bis zu einer Episode über den “Vater der plastischen Chirurgie“.
Die Folge, um die es hier geht, hieß Not Dead Yet – Safety Coffins and Waiting Mortuaries, und es drehte sich alles um die Angst der Menschen, bei lebendigem Leib beerdigt zu werden, weil man sie für tot hielt, obwohl sie in Wirklichkeit nur in eine totenähnlichen Starrezustand verfallen waren. Ausgelöst wurde diese im 19ten und frühen 20sten Jahrhundert weitverbreitete Hysterie angeblich vom Buch Dissertation sur l’incertitude des signes de la mort („Abhandlung über die Unsicherheit von Todeszeichen“) von Jean-Jacques Bruhier, das 1748 in Paris erschien und für viel Furore sorgte.
In dem Buch gab Bruhier eine Reihe von Tipps, um sicherzustellen, dass der Mensch wirklich tot ist, wie zum Beispiel Pfeffer in die Nase blasen, die Fußsohlen mit einem Rasiermesser aufschlitzen oder dem lieben Verblichenen ein rotglühendes Schüreisen in den Anus schieben. Immer noch besser als bei lebendigem Leibe begraben werden, meinte er.
Die beiden jungen Podcasterinnen nahmen diese Folge in einem Theater in Seattle vor einem ziemlich großen Publikum auf, und ihr Dialog wird immer wieder von Lachsalven unterbrochen, denn was sie zu erzählen haben, ist zwar morbid, aber oft auch schreiend komisch. So soll ein deutscher Adliger darauf bestanden haben, mit den Schlüsseln zu seiner Familiengruft beerdigt zu werden, damit, sollte er aufwachen, er auch wieder rauskommen könnte. Andere erfanden Särge mit Löchern, durch die eine Schnur geführt werden konnte, die mit einer Klingel verbunden war. Sollte sich die Leiche als lebendig entpuppen, würde ein kleiner Zug an der Schnur genügen, um Hilfe zu holen. Einer kam sogar auf die Idee, einen Sarg zu bauen, der über ein etwa zehn Zentimeter dickes Rohr mit der Oberfläche verbunden war, durch das man einem zur Unzeit Beerdigten notfalls Nahrung hätte zukommen lassen, dass er nicht verhungere, bevor man ihn wieder ausbuddeln konnte.
In den 1790ern erreichte die Hysterie zum Thema Scheintod offenbar seinen Höhepunkt. Um diese Zeit schlug der Weimarer Mediziner Christoph Wilhelm Hufnagel vor, in jeder größeren Stadt ein „Totenhaus“ zu bauen, wo die Verblichenen sozusagen unter Aufsicht zwischengelagert werden sollten, bis man sicher sein konnte, dass sie wirklich hin waren. Eine staatlich angeordnete Leichenschau gab es damals nicht, also mussten vermutlich schlecht bezahlte Pfleger Tag und Nacht Wache schieben, falls sich unter den Leichen etwas rührte sollte.
Und das kam häufiger vor, als man denken würde. Allerdings nicht, weil die Toten gar nicht tot waren (es gibt angeblich keinen einzigen dokumentierten Fall von echtem Scheintod), sondern weil bei einer Leiche bald die natürliche Verwesung einsetzt, wodurch sich im Bauch Faulgase vom letzten Bissen bilden. Diese suchen sich mit der Zeit einen Weg nach außen. Krude ausgedrückt: Tote rülpsen und furzen, und das oft ziemlich laut und vernehmlich. Man stelle sich nur den armen Totenwächter vor, wenn nebenan einer plötzlich so richtig einen fahren lässt.
Tracy Wilson erzählt in dem Podcast, dass „deutsche Mediziner bekanntlich für alles ein Wort haben“. So hätten sie für diese posthumen Flatulenzen den Begriff „Totenlaut“ erfunden. Das wiederum fanden die beiden jungen Damen wahnsinnig komisch, zumal Holly sagte, dass ihr Mann und sie inzwischen jedes Mal, wenn einem von ihnen nach einem üppigen Essen oder einem kräftigen Schluck an der Bierpulle ein kleines Bäuerchen entweicht, er sich immer zu entschuldigen pflegt: „Verzeihung, das war mein Totenlaut.“
Ich selbst verwende den Spruch inzwischen auch – allerdings nur wenn ich unter Leuten bin, die mich sehr gut kennen. Bei Fremden ernte ich nämlich ziemlich böse Blicke. Mit dem Tod ist bei manchen nicht zu spaßen…