Quadratisch, praktisch, gut!
Gerlinde Engel ist die deutsche Vorarbeiterin, wie sie im Buche steht: Quadratisch, praktisch, gut, ein Energiebündel, eine patente Frau, die sich von der einfachen Näherin bis zur Betriebsleiterin hochgedient hat. Der Betrieb, den sie jahrelang leitete, steht allerdings am Rande einer staubigen Straße in einem Vorort von Vientiane, der Hauptstadt der Volksrepublik Laos, eines von nur fünf verbliebenen kommunistischen Staaten der Erde. Sie kam dorthin mit einem Umweg über China, wo sie bereits die erste Textilfertigung nach deutschem Vorbild aufgebaut hat. Ihr Arbeitgeber, ein Thai, holte sie ins Land, weil er von ihren Fachkenntnissen, vor allem aber von ihrem typisch deutschen Perfektionismus überzeugt war. „In Asien hat Deutschland einen guten Klang“, sagt Frau Engel, und sie strahlt dabei übers ganze Gesicht.
Das tut sie eigentlich immer, vor allem dann, wenn sie einen Besucher durch die Fabrik führt, in der mehr als 2000 Näherinnen für einen bekannten deutschen Anbieter Arbeitskleidung herstellt. „Allererste Qualität“, sagt sie, „da muss jede Naht millimetergenau sitzen.“ Die Anlage arbeitet mit modernsten Laser-Schnittmaschinen, Bondingapparate, Plotter für die Schnittbögen, die aus Deutschland oder China auf riesige Papierbahnen übertragen werden, aus denen die vielen Puzzlestücke aus Stoff herausgeschnitten werden, die zusammen eine Latzhose mit diversen Werkzeugtaschen oder ein Arbeitsanorak werden sollen, die „so elegant sind, dass die Leute in Deutschland sie in ihrer Freizeit anziehen“, wie Gerlinde Engel stolz bemerkt. Auf ihre Fabrik und ihre Näherinnen lässt sie nichts kommen. Für sie sind sie Weltklasse: „Wenn Sie sowas machen können, können Sie alles machen, das ist echte Hightech.“
Dass Laos von Leuten regiert wird, die in Kaderschulen aufgewachsen sind und an Marx und Lenin glauben, stört sie nicht. „Ich habe noch nie mit dem Kommunismus hier Probleme gehabt“, sagt sie, und man hört ihre hessischen Sprachwuzeln deutlich durch. Ärgerlich ist für sie viel mehr, dass sie keine guten Leute mehr bekommen kann: Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, bei ihr arbeiten deshalb schon Vorarbeiter, die in Thailand angeheuert worden sind. Das chronisch unterbevölkerte Laos krankt am Facharbeitermangel, aber selbst die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, fehlt bei vielen Mädchen, die aus den Dörfern im Hinterland kommen, wo die Menschen häufig noch leben wie im Mittelalter, ohne Strom und Wasser, ohne Straßen und vor allem ohne Perspektive.
Aber da wenigstens kann Gerlinde Engel anpacken und etwas ändern. Sie hat die Patenschaft über die nahegelegene Volkschule in Sikeud übernommen. Die heruntergekommenen Barracken, die noch von den Vietnamesen gebaut wurden, die Laos „befreiten“, hat sie mit Hilfe von Spenden aus der Heimat aufgemöbelt, die Wände kacheln lassen, neue Schulbänke besorgt. An jedem Pult hat sie einen eisernen Garderobenhaken anbringen lassen, an dem die Schüler ihre Taschen hängen müssen. „Früher haben sie die Taschen einfach irgendwo hingeschmissen. Bei mir herrscht Ordnung“, sagt sie. Auch die Lehrer lernten ihre Gönnerin fürchten: „Die waren derartig faul. Die Kinder sollen pro Jahr drei Bücher durcharbeiten. Früher haben sie hier höchstens ein Buch geschafft. Aber denen habe ich vielleicht eingeheizt!“
Heute hat jedes Kind, wenn es die Grundschule verlässt, alle drei Bücher durchgearbeitet, und die Noten sind entsprechend. Eine UNO-Studie hat die Schule von Frau Engel als eine der fünf besten im ganzen Land eingestuft, aber das nützt nichts, klagt sie, wenn die Kinder in die Mittelschule kommen, und dort sitzen sie mit anderen zusammen, die längst nicht so weit sind wie sie. „Sie fallen sofort zurück“, klagt sie. Also hat sie sich die örtliche Mittelschule als nächstes Projekt vorgenommen. Die Lehrer dort zittern vermutlich schon: Der deutsche Drachen ist im Anmarsch…
Für Gerlinde Engel ist die Schule von Sikeud inzwischen längst zu ihren ganz persönlichen Steckenpferd geworden. Aber sie hat das oberste Ziel nie aus den Augen verloren: „Wir brauchen Arbeiter, die lesen und schreiben können, damit unsere Fabrik mit der Konkurrenz im Ausland mithalten kann.“ Als Unternehmer in Südostasien, vor allem in den sich erst langsam emporarbeitenden Volkswirtschaften wie Laos oder Kambodscha, muss der Unternehmer sich die richtigen Leute oft von der Schulbank holen – oder ihnen überhaupt erst eine hinstellen.