Ich weiß nicht genau, seit wann kluge Kommentatoren den Tod des Blogs angekündigt oder konstatiert haben. Habe eben kurz gegoogelt und sofort einen solchen Beitrag aus dem Jahr 2009 gefunden, aber es gibt sicher auch ältere.
Nun, Todgesagte leben bekanntlich länger.
Im Dezember 2013 schrieb Jason Kottle für den angesehenen Nieman Journalism Lab einen Post mit dem Titel „R.i.P. The Blog, 1997-2013„, was immerhin meine eigene Beobachtung bestätigt, wonach der Begriff „Blog“ erst zwei Jahre nach dem Start meines eigenen „Online-Tagesbuchs“ 1995 erfunden wurde. Ich war also meiner Zeit defintiv mal voraus.
Aber was Kottle eigentlich sagen wollte war, dass die ursprüngliche Funktion des Blogs verblasst sei: Statt früher stundenlang durch die „Blogrolls“ zu scrollen und Dutzenden von Bloggern zu folgen, habe sich die Blogger-Gemeinde mittlerweile in alle Winde vertreut, seien zu Facebook oder Tumblr gewechselt, zu Instagram, Digg oder (Gott steh‘ uns bei) zu Twitter.
Nichts gegen Twitter. Aber wer glaubt, die Welt lasse sich in relevanter Weise in 120 Zeichen beschreiben, hat den geistigen Horizont von Donald Trump und seinen Anhängern.
Ich liebe lange Texte, und ich liebe vielleicht deshalb das Blog-Format immer noch, auch wenn ich ihm zugegebenermaßen selber in letzter Zeit ziemlich untreu geworden bin. Es hat sich bei mir so eine Art Dreiecksverhältnis herauskristallisiert: Ich schreibe einen Blogpost und setze dann einen kurzen Hinweis per Twitter ab, der wiederum auf meiner Facebookseite auftaucht, was Besucher zu meinem Blog führt – und das in immerhin recht stattlicher Zahl, wie die neueste Statistik zeigt. Es haben bislang in 2016 schon fast soviele Menschen den Weg zum Cole-Blog gefunden wie im ganzen Jahr 2015, und der August ist noch gar nicht vorbei.
Gut, 35.000 Page Views in acht Monaten sind kein A-Blog. Aber ich denke, es kommt beim Blog nicht so sehr auf die Menge der Erreichten an, die macht man anderswo im Social Web, sondern darauf, die richtigen Leute zu erreichen. Okay, „richtig“ ist ein höchst subjektiver Begriff, aber wenn jemand die Zeit und Muße hat, sich meinen oft doch sehr ausführlichen Gedankenwindungen anzutun über Themen, die von der Digitalen Transformation bis zum Stehpinkeln reichen, von IoT zu Amerika und seiner anstehenden Schlüsselwahl, der ist schon ein „Richtiger“.
Aber was ist überhaupt ein Blog? Nun, da hänge ich die Latte zugegebenermaßen recht hoch. Ich denke aber, als ein Blogger der ersten Stunde und damit sozusagen einer der Erfinder dieser Gattung, darf ich das auch. Ein Blog ist für mich ein Ort der Reflexion, und zwar sowohl auf Seiten des Autors wie des Lesers. Es ist eine kleine Auszeit aus der Hektik des Alltags, ein Luxus, den man sich erlaubt (weshalb für mich ein „richtiger“ Blog auch stets unkommerziell und werbefrei bleiben muss!). Ein guter Blog versucht, die Welt zu erklären, und zwar aus einem ganz persönlichen Blickwinkel und ohne allzu große Rechthaberei. Es ist ein vornehmer, ein gediegener Zeitvertreib und ähnelt insofern den Essays eines Baron de Montesquieu.
Humor ist okay, wenn er gut, will heißen geistreich und hintersinnig ist. Im Blog darf man auch herumalbern, wenn es zu einer Pointe führt. Die Sprache ist wichtig, aber nicht zu wichtig. Rechtschreibung zum Glück auch nicht, denn sonst wäre ich als Blogger längst unten durch. Ich habe mal vor Jahren einen Text gepostet, in dem jedes Wort mehrere zum Teil horrende Dreckfuhler enthielt, zum Beispiel „3“ statt „B“, nur um zu zeigen, wie gut unser Gehirn in der Lage ist, Kontext herzustellen: Jeder konnte den kaputten Text mit etwas Übung völlig frei und flüssig lesen, obwohl es auf den ersten Blick völlig sinnlos schien.
Wenn das alles bloggen ist, dann stehe ich tatsächlich mittlerweile ziemlich alleine da.“Blogs“ wie der Huffington Post sind für mich nichts als Newsfeeds, die von Amateuren und nicht von ausgebildeten Journalisten geschrieben werden und deshalb mit großer Vorsicht zu genießen sind. Und „Firmenblogs“ haben nicht mit Bloggen und alles mit Werbung zu tun.
Blogs dienen dem Vergnügen. Mit einer Gruppe von Freunden habe ich vor Jahren einen „Meta-Blog“ namens Czyslansky gegründet, den wir gemeinsam mit zum Teil extra dafür geschriebenen, zum Teil recycelten Texten aus unseren eigenen Blogs befüllt haben und der uns viel Spaß gemacht hat. Wir hatten damit auch ziemlichen Erfolg und waren auf dem Weg, eine Art A-Blog zu werden. Aber dann nahm mit der Zeit die Zahl der Posts ab, und einer nach dem anderen ging online andere Wege, bis nur noch zwei oder drei übrig blieben, die zunehmend seltener etwas schrieben, bis der arme Czyslansky nur noch ein Schatten seiner selbst war.
Aber selbst Czyslansky lebt noch weiter, und auch wenn die Besucherzahlen mittlerweilen unter denen des alten Cole-Blogs gesunken sind, hängen immer noch ein paar Tausend Menschen ihm nach, schauen von Zeit zu Zeit vorbei in der Hoffnung, doch noch etwas Neues zu lesen.
Blogs werden, wie Shakespears Sonnetten, niemals altern, noch verblassen, noch sterben. Sie werden vielleicht nicht mehr die Bedeutung von früher haben, aber sie werden ganz bestimmten Menschen immer noch Freude machen. Und dafür denke ich lohnt es sich, weiter zu schreiben.