Das goldene Kalb vom Bosporus

Riberys Gold-Steak

Ich habe diesen Beitrag vor vielen Jahren für eine englische Zeitschrift geschrieben und ihn heute ins Deutsche übersetzt. Man hat ja schließlich viel Zeiten in diesen Tagen des Virus, und nicht jeder weiß, dass Österreichs Leibgericht einen Migrantenhintergrund hat.

Und: Vergoldetes Fleisch ist bis heute in bestimmten Kreisen immer noch beliebt. Der Bayern-Star Frank Ribery erregte vor zwei Jahren Aufsehen, als er ein vergoldetes Steak zubereitete und vor den Kameras der Presse verzehrte. Kostenpunkt: 1.200 Euro.

Vergoldetes Essen kann man aber auch billiger haben: Im Restaurant „Zander“ können Fastfood-Fans für ganze fünf Euro eine Currywurst mit 22 Karat-Blattgold verzehren und dazu ein Glas Champagne Gosset Brut Excellence für sieben Euro schlürfen.

Nach Istanbul auf ein Schnitzel? Und warum nicht? Immerhin kommt das berühmteste Wiener Gericht eigentlich aus der Hauptstadt der Türkei – die damals natürlich einen anderen Namen hatte, aber immer noch genauso isst.

Vielleicht ist so etwas nur in Österreich möglich, wo ein Stück paniertes Kalbfleisch zu einem politischen Thema geworden ist, aber die Peinlichkeit war bis zum Bosporus spürbar. Die Rechtspopulisten der FPÖ, der ehemaligen Haider-Partei, bekannt als „Türkenhasser“, wollten vor kulinarischer Entfremdung warnen und empfahlen ihren Landsleuten wie auch den Besuchern des Landes, in Wien statt Kebab und Döner „echte Wiener Küche“ zu genießen – zum Beispiel ein leckeres Wiener Schnitzel.

Nun, die Herren auf der rechten Seite hätten zuerst ihre Hausaufgaben machen sollen. Schnell wurde ihnen von kulinarischen Historikern beigebracht, dass die Wurzeln des „echten“ Wiener Schnitzels eigentlich in der Türkei zu finden sind. Genauer gesagt: in Istanbul, dem ehemaligen Byzanz, Hauptstadt des Oströmischen Reiches und jahrhundertelang der Nabel der Welt für die Hälfte der Menschheit in Europa.

Ein Besuch am Bosporus ist eine wunderbare Gelegenheit, über die verschlungenen Wege des Wiener Schnitzels nachzudenken, bevor es schließlich die Donau und die Teller der Touristen erreichte. Zu Zeiten Konstantins und der Kaiser von Ostrom war Gold nicht nur ein wertvoller Gegenstand, mit dem man sich bei festlichen Anlässen schmückte, sondern galt auch als Medizin: Um die heilende Wirkung des Edelmetalls im Wortsinn „genießen“ zu können, vergoldeten die reichen Byzantiner ihre Speisen buchstäblich mit dünnem Blattgold.

Diejenigen, die sich diesen Luxus nicht leisten konnten, griffen zu einem Trick: Statt Gold benutzten sie goldgelbe Krümel und liessen das Fleischstück sorgfältig in Fett kochen, bis es aussah, als wäre es gerade frisch vergoldet worden.

Die Juden, die in den ärmeren Vierteln rund um das Sultanahmet-Viertel lebten und oft Garküchen in den engen Gassen der Stadt betrieben, zeigten besonderes Geschick bei dieser Zubereitungsmethode. Da ihre Religion ihnen verbot, Schweinefleisch zu essen, verwendeten sie der Legende nach Kalb- oder Rindfleisch, das in der Pfanne gebraten wurde, um diese goldenen Gerichte zuzubereiten, was auch heute noch der Fall ist. Über die große jüdische Gemeinde in Spanien, vor allem in der Universitäts- und Gelehrtenstadt Córdoba, fand das panierte Schnitzel seinen Weg in den Westen, und von dort wanderte diese Kunst der Zubereitung von Speisen im Habsburgreich, über den bekanntlich die SOnne nie unterging, nach der Vertreibung der Juden 1492 nach Italien in die Poebene, wo sich viele Juden niederließen. In Mailand mutierte das Gericht allmählich zu „Costoletta alla Milanese“.

Norditalien war zu dieser Zeit vom österreichischen Kaiserreich besetzt. Feldmarschall Radetzky – der mit dem berühmten Marsch – kam während seiner Feldzüge in Norditalien auf den Geschmack und brachte das Rezept für Costoletta mit Hilfe seines Adjutanten, eines gewissen Graf Attems, nach Wien. Auch Kaiser Franz Joseph mochte das byzantinisch-türkisch-jüdisch-spanisch-italienische Gericht, und der Rest ist Geschichte.

Es macht Spaß, solche Anekdoten zu erzählen, wenn man heute im berühmten Restaurant „Schnitzel“ in Istanbul sitzt, auf die „grüne Lunge“ des Macka-Parks blickt und sich vielleicht das köstlichste „Wiener“ Schnitzel der Welt auf der Zunge zergehen lässt; nicht, wie in Wien, in Schmalz gebacken (schließlich sind wir in einem islamischen Land), sondern in feinstem Butterfett und von türkischen Kellnern in westlichen Anzügen mit orientalischem Lächeln serviert. Das Restaurant liegt nur einen Steinwurf vom Einkaufsviertel Nisantasi und nur wenige Minuten mit dem Taxi vom Ufer des Bosporus entfernt, der schmalen Wasserstraße, die Europa von Asien trennt, benannt nach der mystischen Figur des Io, der durch die Meerenge schwamm, nachdem er von Zeus in einen jungen Ochsen (fast ein Kalb…) verwandelt worden war. Auf Griechisch bedeutet „Bosporus“ „Furt des Ochsen“. Die Türken nennen sie „Boğaz“, was „Meeresenge“ oder „Schlucht“ bedeutet.

Und während Sie starken Kaffee aus winzigen Tassen trinken, können Sie ein wenig über Wien und die wahren Ursprünge einiger seiner Lieblingstraditionen nachdenken, zum Beispiel über den Kaffee, der ursprünglich ebenfalls aus der Türkei kam und nach der Türkenbelagerung 1683 zurückgelassen wurde. Es war ein Armenier, d.h. ein Untertan des Sultans, der als erster „Kaffeekocher“ an der Donau siedelte. Vielleicht sollte jemand den Jungs von der FPÖ davon erzählen, bevor sie die Rettung des „typischen Wiener“ Kaffeehauses fordern.

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