Auf Quora wollte einer wissen: „Wie wurde das Elsass ein Teil Frankreichs?“ Die Antwort war gar nicht so einfach, obwohl ich seit 60 Jahren ins Elsaß komme.
Man muss zurück bis zu Karl dem Große (747/748-814) gehen. Der hatte drei Söhne, die sein Reich erbten. Während der Zeit der so genannten „Fränkischen Reichsteilung“ wechselte der kleine linksrheinische Landstreifen viermal den Besitzer: Ursprünglich gehörte es zum Mittelfränkischen Reich; 870 wurde es Teil des Ostfränkischen Reiches, wechselte dann den Besitzer und wurde 913 Teil des Westfränkischen Reiches und ging 925 wieder an das Ostfränkische Reich zurück.
Ostfranken wurde zum Heiligen Römischen Reich, und das Elsass gehörte bis zum 17. Jahrhundert dazu. Zwischen 825 und 1254 war das Elsass ein Teil des Königreichs Schwaben und wurde in den nördlichen Nordgau und den südlichen Sundgau aufgeteilt. Es folgte eine unübersichtliche Zeit bis zum 17. Jahrhundert, in der Teile des Elsass zeitweise zu Habsburg, Hanau-Lichtenberg, Württemberg und Rappolstein gehörten, wobei Straßburg einen quasi eigenständigen Status genoss. Die Reichsstadt Mülhausen im Süden wurde Teil der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
In der Zeit zwischen 1633 und 1681 begann Frankreich, die rechtliche Verantwortung für die verschiedenen Regionen des Elsass zu übernehmen. Im Westfälischen Frieden (1648) verzichtete Habsburg offiziell auf seine Ansprüche auf das Elsass, und Frankreich übernahm die volle Kontrolle. Das Elsass gehörte jedoch nicht zum französischen Zollgebiet; die Zollgrenze verlief weiterhin auf dem Rücken der Vogesen. Französisch wurde zur vorherrschenden Sprache in Verwaltung, Handel und Diplomatie, aber die alten allemanischen (und romanischen) Dialekte blieben im täglichen Gebrauch. An der Universität Straßburg blieb Deutsch die übliche Unterrichtssprache.
Während der Französischen Revolution wurden die traditionellen Rechte der elsässischen Herrschaften aufgelöst und zwei neue Departements, Haut-Rhin und Bas-Rhin, eingerichtet. Im Jahr 1798 wurde Mulhouse wieder französisch. Im Frieden von Luneville (1802) wurde das linke Rheinufer vollständig in die französische Republik integriert. Im Jahr 1810 wurden französische Straßennamen eingeführt. Im Zweiten Pariser Frieden (1815) wurden die Grenzen zwischen Frankreich und Deutschland endgültig festgelegt, wobei Landau und kleine Teile des Nordelsasses zu Bayern kamen.
Infolge des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/1871 wurden die beiden Departements des Elsass und ein Teil Ostlothringens an Deutschland abgetreten und wurden Teil des neu gegründeten Deutschen Reiches. Bis 1918 hieß das Ganze Reichsland Elsaß-Lothringen. Zu diesem Zeitpunkt sprachen 94 % der Bevölkerung Deutsch und nur 4 % Französisch.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ging das Elsass an Frankreich zurück, bis es zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wieder deutsch wurde und mit Baden zum neuen Reichsgau Baden-Elsass zusammengelegt wurde. Während des Krieges verfolgte Deutschland eine Germanisierungspolitik, und etwa 45.000 französischsprachige Einheimische wurden zwangsdeportiert. Nur wenige Elsässer gehörten dem französischen Widerstand (Résistance) an. Amerikanische und französische Truppen befreiten das Elsass im November und Dezember 1944.
Nach dem Krieg setzte die französische Verwaltung die Assimilierung der Region an die französische Sprache und Kultur ähnlich wie in der Zwischenkriegszeit fort; das Sprechen von Deutsch oder Elsässisch war nun in der Öffentlichkeit verpönt und an den Schulen bis in die 1970er Jahre nicht erlaubt.
1949 erhielt der neu gegründete Europarat seinen Sitz in Straßburg; er begründete die „europäische Tradition“ des Elsass. Heute gilt das Elsass als eine Modellregion der deutsch-französischen und europäischen Annäherung.
Die meisten Elsässer sprechen heute fließend Deutsch und Französisch und wechseln mehr oder weniger nach Belieben hin und her. Vor allem junge Leute sind sehr stolz auf ihre französische Staatsangehörigkeit, wie das Beispiel einer Kellnerin in einem Restaurant in Wissembourg zeigt, in dem meine Frau und ich eines Tages zu Mittag aßen und uns abmühten, ihr unser rudimentäres Französisch verständlich zu machen. Schließlich ging sie zur Küchendurchreiche und rief in breitem Alsactían: „Her, Jean-Jacques, koscht die Filets ohloofe losse“ („He, Jean-Jacques, du kannst die Steaks auflegen.“)