Wenn sich das Controlling den Anforderungen der Digitalen Transformation stellen soll, dann muss sie in der Lage sein, in die Zukunft zu blicken. Nein, nicht mit Hilfe einer Kristallkugel oder mit Tarockkarten. Big Data lässt sich nur mit leistungsfähigen Analysesystemen beherrschen. Wobei hier eine Art „digitaler Dreisprung“ zu erkennen ist: Von der beschreibenden über die vorausschauende Analyse bis hin zu Empfehlungssystemen. Oder, um die englischen Termini zu verwenden: „Descriptive Analytics“, „Predictive Analytics“ und „Prescriptive Analytics“.
Deskriptive, oder beschreibende Analyse entspricht der klassischen Reporting-Funktion, die dem Controller von alters her vertraut ist. Sie beschreibt den Status quo, also die historische Entwicklung des Unternehmens, zum Beispiel anhand von Zielabweichungen. Die darauf aufbauende „diagnostische Analyse“ versucht, aus diesen Ergebnissen Ursachen aufzuspüren, zum Beispiel warum liegen die Kosten über Plan oder warum stockt der Abverkauf? Diese so genannte Plan-Ist-Vergleiche sind heute das Rüstzeug jedes Controllers, und sie werden es auch in Zukunft bleiben. Allerdings lassen sich gerade solche Aufgaben weitgehend automatisieren.
Die durch die Automation gewonnene Zeit wird der Controller in Zukunft für die vorausschauende Analyse, also für „Predictive Analytics“ nutzen – nutzen müssen, wenn er seinen Job nicht verlieren will. Es gibt eine Fülle von Software-Tools, die in der Lage sind, aus den Unmengen von Daten Muster zu erkennen oder Zusammenhänge zwischen scheinbar nicht verwandten Daten zu ziehen. Diese Software muss das Controlling nutzen und beherrschen, um mit Hilfe der entsprechenden Algorithmen nicht nur Prognosen zu wagen, sondern um die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse zu berechnen und die Risikoverteilung zu ermitteln.
Predictive Analysen können zu höchst überraschenden Ergebnissen führen. In seinem Buch „Predictive Analytics: The Power to Predict Who Will Click, Buy, Lie, or Die” gibt der US-Autor Eric Siegel eine Reihe von Beispielen, welch erstaunliche Ergebnissen die vorausschauende Analyse heute liefern kann. Computer können heute relativ genau vorhersagen, wer sein Zeitungs- oder Zeitschriftenabo kündigen oder wann er seinen Versicherer wechseln wird. Die Supermarktkette Target analysiert angeblich das Surfverhalten weiblicher Kunden um herauszufinden, ob sie schwanger sind, um sie gegebenenfalls besser mit Dingen wie Windeln oder Babynahrung versorgen zu können. Lebensversicherungen wollen herausgefunden haben, dass Menschen, die in Frührente gehen, in der Regel auch früher sterben, und Fluggesellschaften wissen, dass Veganer seltener ihre Maschine verpassen. Im Personalwesen wird Predictive Analysis eingesetzt, um festzustellen, ob sich Mitarbeiter mit Kündigungsgedanken tragen.
Ein Paradebeispiel für das Funktionieren – und den Nutzen – von prädiktiven Analysesystemen lieferten im Sommer 2016 Forscher in Kalifornien, die mit Microsoft zusammengearbeitet haben, um die Früherkennung von Bauchspeicheldrüsenkrebs zu verbessern. Sie haben das Suchverhalten von Patienten in der Microsoft-Suchmaschine Bing über mehrere Monate vor der Entdeckung der Erkrankung zurückverfolgt und dabei festgestellt, dass die späteren Krebspatienten ein typisches Verhaltensmuster erzeugten. Wird ein solches Muster bei einem Nichtpatienten erkannt, kann man ihn auffordern, vorsichtshalber zum Arzt zu gehen und sich untersuchen zu lassen. Die Chance, dass der Krebs im Frühstadium erkannt wird, wächst sprunghaft und damit auch die Überlebenschance; von den Kosten für die Krankenversicherung ganz zu schweigen.
Die Kunst, in die Zukunft zu schauen, ist also gar keine Kunst, sondern das Ergebnis sorgfältiger Auswertung und richtiger Interpretation von riesigen Datenmengen. Und dafür sind bekanntlich im Unternehmen die Controller zuständig.
Dieser Text stammt aus der zweiten, erweiterten Auflage meines Buchs Digitale Transformation – Warum Deutschland gerade die digitale Zukunft verschläft und was jetzt zu tun ist, das im März im Vahlen-Verlag (Beck-Gruppe) herauskommt.