Apple, der unersättliche Gigant
Die Parallelen zwischen Apple und dem zerschlagenen US-Ölgiganten Standard Oil sind so offensichtlich, dass es keines langen Nachdenkens bedarf, um sie zu ziehen. Beide waren oder sind die wertvollsten Unternehmen ihrer Zeit. Beide haben ihre Vormachtstellung skrupellos missbraucht. Beide haben die Preise für ihr Kernprodukt nach Gutdünken erhöht – weil sie es konnten.
Standard Oil wurde dafür von den Monopolschützern zerschlagen. Bei Apple steht uns das vielleicht noch bevor.
Apple ist das älteste unter den GAFAs und das einzige Unternehmen, das kein rein digitales ist. Es verstand und versteht es dafür am besten von allen, wie man Kunden an eine digitale Plattform fesselt, und dazu ist ihnen jedes Mittel recht. So wie Standard Oil in China kostenlose Öllampen verteilen ließ, um die Leute zu zwingen, ihr Öl zu kaufen, sind iPhone und iPad nichts anderes als digitale Öllampen, mit denen die Nutzer an den Tropf der digitalen Produkte mit dem Apfel-Logo gefesselt werden. Ausbüchsen ist sinnlos!
Dass Steve Jobs, der den Laden 1990 mit seinem Kumpel Steve Wozniak gründete, ein Genie war, bestreitet keiner. Er war nur halt ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse – zerfressen von Ehrgeiz und Machtgelüsten, ein rücksichtsloser Leuteschinder gegenüber seinen Mitarbeitern und ein Tyrann gegenüber seinen Kunden. Als das amerikanische Wirtschaftsmagazin Fortune einen wenig schmeichelhaften Artikel über ihn ankündigte, rief er den Redakteur an und blaffte: „Okay, Sie haben herausgefunden, dass ich ein Arschloch bin. Was gibt’s sonst Neues?“
Und dafür haben sie ihn abgöttisch geliebt! Wenn Steve auf die Bühne trat, war es wie bei einem Gottesdienst von Wiedertäufern: Die Zuschauer, die über Nacht vor dem Kongresszentrum auf der Straße kampiert hatten, um noch an eines der begehrten Tickets zu kommen, jubelten, klatschten, pfiffen und umarmten sich, als würde gerade das zweite Kommen Christi gefeiert: 2001 der coole Musikplayer iPod, 2007 das iPhone, 2013 das iPad. Jedes Mal war es ein perfekt choreografiertes Medienspektakel, in dessen Mittelpunkt der schlaksige Kurzbartträger mit dem schwarzen Rollkragenpulli stand.
Jobs war, so schrieb sein Biograf Walter Isaacson 2011, nur ein mittelmäßiger Ingenieur, dafür aber ein gerissener Geschäftsmann. Sein größter Coup war der Musikabspieldienst iTunes, der 2001 ohne das übliche Apple-Brimborium gelauncht wurde, der aber dafür die Musikindustrie so grundsätzlich auf den Kopf stellte wie zuvor allenfalls die Erfindung der Schallplatte. Das liegt daran, dass iTunes kein Produkt im klassischen Sinne, sondern in integriertes Geschäftsmodell aus Hardware und Software ist, dass das Abspielen von Musikstücken ebenso übernahm wie die Verwaltung und den Kauf von Musikstücken.
Es hatte zuvor schon Versuche gegeben, Musik per Internet-Download anzubieten. Das MP3-Format, mit dem es möglich wurde, große Musikdateien auf ein handliches und vor allem auch bei niedriger Bandbreite in einer vertretbaren Zeit herunterzuladende Dateigröße zu komprimieren, wurde 1982 von deutschen Forschern am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen entwickelt. Berühmt wurde es durch Napster, eine 1999 gestartete „Tauschbörse“ für Musik, die aber von der Plattenindustrie zu Tode geklagt wurde. Einzelne Labels versuchten es daraufhin auf eigene Faust, ihre Songs im Internet zu verkaufen, aber der Erfolg war bescheiden.
Mitten in dies Situation kam nun Steve Jobs auf die Plattenbosse zu und fragte sie, ob er ihre Titel über seinen neuen iTunes-Shop an Apple-Kunden verkaufen dürfe. Da Apple im PC-Markt ein krasser Außenseiter war (der Mac hatte gerade mal einen Marktanteil von fünf Prozent!), willigten die sonst so knallharten Musik-Manager bedenkenlos ein, und innerhalb von wenigen Wochen hatten sämtliche Majors einen Vertrag mit Apple abgeschlossen, der es ihnen erlaubte, ihre kompletten Musikkataloge bei iTunes zu listen.
Doch kaum waren die Unterschriften unter den Verträgen getrocknet, bot das Schlitzohr Jobs eine Version der iTunes-Software für Windows an – und die auch noch kostenlos! Mit einem Schlag hatte Jobs den Weltmarkt für Online-Musik etabliert. Das ließ wiederum den Markt für Abspielgeräte explodieren, allen voran Apples iPod, der in wenigen Jahren zum erfolgreichsten Geldbringer des Konzerns aufstieg – viel lukrativer als das Computer-Geschäft, das heute bei Apple zumindest finanziell nur noch eine Nebenrolle spielt. „Der iPod war das trojanische Pferd, um den verlorenen WinTel-Markt zu hacken“, schreibt Matthias Schrader, „und das hybride Geschäftsmodell lieferte die Blaupause für die Zukunft.“
Fünf Jahre später machte das iPhone Apple zum erfolgreichsten Unternehmen der Welt. 2015 verzeichnete das Unternehmen mit 18 Milliarden Dollar den höchsten Quartalsgewinn der Wirtschaftsgeschichte, und mit einem Börsenwert von mehr als 875 Milliarden Dollar war Apple Anfang 2018 das wertvollste Unternehmen der Welt – so wie hundert Jahre zuvor Rockefellers Standard Oil!
Die Ähnlichkeiten zwischen Jobs und Rockefeller gehen aber noch viel weiter. Auch der Öl-Riese galt zu Lebzeiten als skrupellos, machtgierig und geldgeil, ein Fiesling, der jeden wegräumte, der sich ihm in den Weg stellte. Der Wirtschaftshistoriker Robert Whaples beschrieb seine Geschäftsmethoden so: „Kostensenkung um jeden Preis, unerbittliche Effizienzsteigerung, langfristig denkend, während der Rest der Industrie mit schnellen Profiten zufrieden war.“
Auf dem Höhepunkt seiner Macht kontrollierte Rockefellers Standard Oil 90 Prozent der Ölförderung in Nordamerika. Darüber hinaus kaufte er Eisenbahnen, die sein Öl transportierten, und stieg 1902 in den Kohlebergbau ein. Sein Name ist deshalb untrennbar mit dem „Ludlow Massacre“ verbunden, wo ein Streik von Kohlearbeitern mit dem Niederbrennen einer Zeltsiedlung (die Arbeiter und ihre Familien waren ausgesperrt und verloren ihre Häuser) endete, bei dem 13 Frauen und Kinder verbrannten.
Trotzdem eilt Rockefeller heute der Ruf nach, einer der größten Mäzene der Geschichte gewesen zu sein. Und es stimmt, dass er zeitlebens Geld für wohltätige Zwecke spendete, was wahrscheinlich seiner Herkunft aus einer tiefgläubigen Baptistenfamilie geschuldet war, aber der Löwenanteil seiner philanthropischen Tätigkeit – er soll im Laufe seines Lebens mehr als 500 Millionen Dollar gespendet haben – war wohl eher als Reaktion auf den wachsenden Druck der Kartellwächter zu sehen ist, was schließlich 1911 in der Entscheidung des Obersten Bundesgerichtshofs gipfelte, Standard Oil in 34 Einzelgesellschaften zu zerschlagen.
Für Rockefeller war das am Ende sogar ein großes Glück, denn viele der Einzelgesellschaften, wie ConocoPhillips, Amoco (inzwischen Teil von BP), Chevron und ExxonMobile, zählen bis heute zu den größten Mineralölgesellschaften der Welt. Der Wert der Einzelfirmen verfünffachte sich bald, und Rockefellers persönliches Vermögen wuchs auf über 900 Millionen Dollar – was ihn, umgerechnet in heutiges Geld, auf eine Stufe mit den reichsten Männern aller Zeiten – Bill Gates, Warren Buffet oder Jeff Bezos – stellen würde.
Sein Biograph Ron Chernow schrieb über Rockefeller: „Was ihn problematisch macht und warum er bis heute so zwiespältige Reaktionen provoziert, lag daran, dass seine guten Seiten mindestens so gut waren wie seine schlechten Seiten schlecht. Selten hat die Geschichte eine so widersprüchliche Figur hervorgebracht.“
Das Gleiche könnte man über Steve Jobs sagen. Kaum war er unter der Erde, tauchten plötzlich überall im Netz sogenannte iShrines, digitale Marterkreuze, auf, in denen seinem Weitblick und seiner Managementphilosophie gehuldigt wurde wie bei einer Heiligenverehrung. Es gab mitternächtliche Mahnwachen vor Apple Stores. Der Techno-Blogger Liam Alexander versuchte, die allgemeine Jobs-Hysterie zu dämpfen, als er schrieb: „Der Mensch Steve Jobs war arrogant, eigennützig und rücksichtslos. Diese Eigenschaften mögen ihm auf seinem Weg nach oben geholfen haben, aber sie machten ihn kaum liebenswert für die Menschen, die ihn kannten. Er setzte die Maßstäbe immer höher und trieb diejenigen, die seinen Anforderungen nicht genügen konnten, häufig zu Tränen.“
Gut, er hat Rückschläge einstecken müssen, vielleicht erklärt das seine unerbittliche Härte anderen und sich selbst gegenüber. Als er 2004 endlich unter dem Druck seiner Investoren zugab, an einem schweren Leberkarzinom zu leiden, legte er sein Leben zunächst in die Hand von Quacksalbern und Alternativmedizinern, bis er schließlich kurz vor seinem Tod zugeben musste, dass es der größte Fehler seines Lebens war.
Für Jobs wie für Rockefeller gilt natürlich: Es ist egal, wie sympathisch sie waren, wenn sie sich nur an die Spielregeln gehalten hätten. Bei Standard Oil war das offensichtlich nicht der Fall, und die Folge war eine der spektakulärsten Kartellrechtsprozesse der Wirtschaftsgeschichte. Es bleibt abzuwarten, ob Apple das gleiche Schicksal bevorsteht.
Ein antifragiles Monopol
In seinem wichtigsten Kernmarkt, nämlich Smartphones, beträgt der Marktanteil von Apple nur rund 15 Prozent, und der Konzern musste hilflos zusehen, wie Samsung 2018 an ihm vorbeizog. Dennoch sei Apple ein „antifragiles Monopol“, argumentiert der UBS-Analyst Steven Milunovich.
Der Begriff „antifragil“ geht auf den libanesisch-amerikanische Wirtschaftsprofessor Nassim Nicholas Taleb zurück, der ihn als die Fähigkeit eines Unternehmens definiert, nicht nur Gegenschläge einzustecken, sondern sie sogar zu nutzen, um sich weiterzuentwickeln: „Antifragilität ist mehr als Resilienz oder Robustheit. Das Resiliente, das Widerstandsfähige widersteht Schocks und bleibt sich gleich; das Antifragile wird besser.“
Milunovich verweist auf Apples Preisgestaltungsmacht, um seinen Vorwurf zu begründen. „Für Monopole ist typisch, dass sie die Marktpreise setzen können. Der Preis eines iPhones liegt bei rund 700 Dollar und ist in letzter Zeit sogar gestiegen, trotz Währungsschwankungen und Konkurrenzdruck. Andere Hersteller müssen versuchen, über den Preis zu verkaufen, aber Apple hat das nicht nötig. Das ist ein Grund dafür, dass Apple 2017 rund 80 Prozent der globalen Smartphone-Gewinne auf sich vereinen konnte.“
Als Standard Oil und die Eisenbahn-Barone Ende des 19. Jahrhunderts ihre Monopole aufbauten, war die Gesetzeslage klar: Monopolschutz bedeutete, zu verhindern, dass eine einzelne Firma oder eine Gruppe von Unternehmen ihre Machtstellung dazu missbrauchten, Konkurrenten vom Markt auszuschließen, unfair hohe Preise zu verlangen und damit die Allgemeinheit und die Konsumenten zu schädigen. Im Fall von Apple ist eher das Gegenteil der Fall: Durch die „Plattformisierung“ des Betriebssystems iOS werden Drittfirmen ausdrücklich darum gebeten, Apps und Anwendungen zu entwickeln – allerdings unter der strengen Aufsicht von Apple, was mit Qualitätskontrolle gerechtfertigt wird. Und im digitalen Massenmarkt, wo die Kosten für die Verbreitung digitaler Kopien gegen Null tendieren, sind die Preise gleichbleibend niedrig.
Man muss die Monopolgesetze allerdings genau lesen, dann stellt man fest, dass zumindest im US-Recht die „Missbrauch einer Monopolstellung“ ebenfalls zu den Zielen gehört. Und was Steve Jobs und seine Leute im Laufe der Jahre getan haben, um dafür zu sorgen, dass ihnen kein Konkurrent zu nahekommt, dürfte ein lupenreiner Fall von Monopolmissbrauch sein. Das behauptet jedenfalls Glenn Manishin, Anwalt für Technologierecht bei der Kanzlei Duane Morris in Philadelphia. Manishin war als Anwalt an den Verhandlungen gegen AT&T beteiligt und beriet mehrere Industrieverbände 1998 beim Prozess gegen Microsoft. Er gibt zu, dass Apple sein iOS-Monopol auf redliche Art und Weise verdient hat, indem sie „wahnsinnig gute Produkte“ gebaut haben. Was uns allen Sorgen machen müsse, sei die Tatsache, dass Apple regelmäßig seine Vormacht nutzt, um Wettbewerber auszubremsen – „Methoden, die weit über das hinausgehen, was man Microsoft damals wegen ihres Vorgehens gegen Netscape und andere im vordigitalen Zeitalter der 1990er-zuschrieb“, wie er schreibt.
Er zählt eine lange Liste von unfairen Praktiken auf. Dazu zählen heimliche Preisabsprachen mit den fünf führenden US-Verlagen, um den Preis für elektronische Bücher in die Höhe zu treiben. Damals verlangte Marktführer Amazon für ein eBook 9,99 Dollar. Apple und die Verleger schafften es, den Preis auf 14,99 Dollar hochzutreiben, wofür sie im März 2016 von einem amerikanischen Gericht zu einer Geldstrafe von 450 Millionen Dollar verdonnert wurden. Um Konkurrenten wie Spotify, Pandora oder Rhapsody in die Schranken zu weisen, verlangten sie eine Kommission von 30 Prozent des Abopreises, wenn das Geschäft über die Apple-Plattform lief, was wiederum diese Anbieter zwang, ihre Preise zu erhöhen. Außerdem verbietet Apple bis heute App-Entwicklern, Kunden direkt auf ihre Online-Angebote umzuleiten, die in der Regel sehr viel billiger sind als bei Apple, oder sie auch nur auf diese Möglichkeit hinzuweisen! Experten behaupten, dass Apple geheime, nicht-dokumentierte Schnittstellen verwendet, um seinem eigenen Musikdienst Apple Music exklusiven Zugang zu höherwertige Funktionen ihres populären Sprachassistenten Siri zu ermöglichen. Und Apple installiert Links in Musikstücke, die Nutzer automatisch zu ihrem eigenen Streaming-Dienst umleiten – eine Praxis, wie er schreibt, die ähnlich ist der von American Express, die Händlern untersagte, Kunden auf preiswertere Angebote anderer Kreditkartenanbieter wie Visa oder MasterCard aufmerksam zu machen. 2013 bezeichneten Richter in den USA dieses Vorgehen als klaren Verstoß gegen den Sherman Act und damit gegen geltendes Monopolrecht.
Seit 2016 läuft im US-Handelsministerium FTC eine Untersuchung gegen Apple wegen seines Geschäftsgebarens gegen Streaming-Anbietern, bislang allerdings ohne konkrete Ergebnisse. Ob es in der Ära Trump, der viel mehr damit beschäftigt zu sein scheint, bestehende Aufsichtsfunktionen gegen Banken und andere Industrien zurückzurollen, dazu kommen wird, ist zweifelhaft. In einer Stellungnahme sagte Spotify-Chef Daniel Ek über das laufende Verfahren: „Apple hat schon seit Langem seine Kontrolle über iOS dazu ausgenutzt, um Wettbewerber in der Musikbranche zu zerquetschen, die Preise anderer Anbieter hochzutreiben und uns daran zu hindern, unsere Kunden über billigere Alternativangebote zu informieren. Sie verschaffen sich überall unfaire Vorteile auf ihrer Plattform, vom Sperrbildschirm bis zu Siri.“ Du weißt, wenn etwas nicht stimmt, wenn Apple mehr bei Spotify-Abos verdient als bei ihren eigenen Apple Music-Verträgen, beschwerte sich Ek: „Apple will nichts mit der Musikindustrie teilen – sie wollen ihren Kuchen haben und ihn auch verspeisen.“
Die liberale US-Senatorin Elizabeth Warren verwies in einer Rede auf ein viel größeres Problem, die alle Tech-Giganten und insbesondere GAFA betrifft. „Google, Apple und Amazon bieten Plattformen, auf die sich viele Unternehmen verlassen müssen, um zu überleben. Aber in vielen Fällen konkurrieren sie direkt mit den gleichen Unternehmen, und damit wird die Plattform zu einem Mittel, um Wettbewerber auszulöschen.“
Im Sommer 2018 war immer noch kein Ende der FTA-Untersuchung absehbar, aber die Gewitterwolken aus Washington hängend drohend über Apples Hauptquartier in Cupertino. Ob und wann der Sturm losbricht, das wird eine der spannendsten Fragen für Apple und für die anderen Web-Riesen in den nächsten Jahren sein.