Wer sich den Anforderungen der Digitalen Transformation stellen will, muss in der Lage sein, in die Zukunft zu blicken. Nein, nicht mit Hilfe einer Kristallkugel oder mit Tarockkarten. Big Data lässt sich nur mit leistungsfähigen Analysesystemen beherrschen. Wobei hier eine Art „digitaler Dreisprung“ zu erkennen ist: Von der beschreibenden über die vorausschauende Analyse bis hin zu Empfehlungssystemen. Oder, um die englischen Termini zu verwenden: „Descriptive Analytics“, „Predictive Analytics“ und „Prescriptive Analytics“.
Deskriptive, oder beschreibende Analyse entspricht dem klassischen Reporting, wie er von alters her betrieben wird. Sie beschreibt den Status quo, also die historische Entwicklung des Unternehmens, zum Beispiel anhand von Zielabweichungen. Die darauf aufbauende „diagnostische Analyse“ versucht, aus diesen Ergebnissen Ursachen aufzuspüren, zum Beispiel warum liegen die Kosten über Plan oder warum stockt der Abverkauf? Diese so genannte Plan-Ist-Vergleiche sind heute das Rüstzeug jedes Controllers, und sie werden es auch in Zukunft bleiben. Allerdings lassen sich gerade solche Aufgaben heute weitgehend automatisieren.
Die durch die Automation gewonnene Zeit können Unternehmen in Zukunft für die vorausschauende Analyse, also für „Predictive Analytics“ nutzen – und sie werden sie nutzen müssen, wenn sie mithalten wollen. Es gibt eine Fülle von Software-Tools, die in der Lage sind, aus den Unmengen von Daten Muster zu erkennen oder Zusammenhänge zwischen scheinbar nicht verwandten Daten zu ziehen. Diese Software muss das Unternehmen nutzen und beherrschen, um mit Hilfe der entsprechenden Algorithmen nicht nur Prognosen zu wagen, sondern um die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse zu berechnen und die Risikoverteilung zu ermitteln.
Leider erfolgen Finanzplanung (GuV, Bilanz & Cash Flow) und operative Planung (Absatz, Produktion, Personal) in den meisten Unternehmen getrennt. Sie haben deshalb oft keinen echten Bezug zu den Treibern des operativen Geschäfts. Mangelnde Berücksichtigung strategischer Ziele können aber zu unterschiedlichen Erwartungshaltungen auf verschiedenen Ebenen innerhalb des Unternehmens und damit zu erheblichem Abstimmungsaufwand führen.
Schneller und effizienter ist es, die auf das Geschäftsmodell abgestimmte Werttreiberplanung, wie sie in vielen Unternehmen heute eingesetzt wird, direkt mit Predictive Analytics zu verknüpfen. So lassen sich wesentlich bessere Voraussagen machen, die Auswirkungen auf das operative Geschäft werden klarer dargestellt.
Ist man aber erst einmal so weit, dann bietet sich der nächste logische Schritt von selber an: Die Automatisierung von unternehmerischen Entscheidungen. Womit wir bei „Prescriptive Anaytics“ angelangt wären.
Ein „Perscription“ ist im Englischen ein Rezept, das der Arzt „verschreibt“ und mit dem der Patient in die Apotheke geht. Mit Perscriptive Analysis ist es genauso: Sie bietet Antworten auf die Frage: „Was könnte passieren?“ Die sehr viel interessantere Frage lautet aber: „Was sollen wir tun?“
Bei einem Pressebriefing im kleinen Kreis letzte Woche in München, an dem ich teilnehmen durfte, hat Fraunhofer-Präsident Prof. Reimund Neugebauer von einem hochspannenden Projekt berichtet, an dem das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen arbeitet, und das auf der Hannover-Messe nächste Woche vorgestellt werden soll. Dabei geht es um die konkrete Anwendung von präskriptiver Analyse in der Industriefertigung, in diesem Fall der Herstellung von Rotorenblätter für Flugzeugmotoren, so genannte „Blisks“ (Blade Integrated Disks).
So ein Blisk kann unter Brüdern schon mal €200.000 kosten – pro Stück! Da möchte man natürlich möglichst wenig Ausschuss produzieren. Bei Fraunhofer will man das Problem mit einer Kombination aus neuester Sensortechnologie und schnellen Datenübertragungsraten lösen, wie sie der künftige Mobilfunkstandard 5G bieten soll. Ein speziell entwickelter Sensor wird direkt auf dem Rotorblatt angebracht und überträgt die vom Blisk erzeugten Schwingungen via 5G mit Latenzzeitenen von bis zu einer Millisekunde an eine Software, die sofort erkennt, ob die Schwingungen irgendwelche kritischen Frequenzen erreichen. In diesem Fall bekommt der Produktionsprozess Anweisungen, die entstandene Unwucht auszugleichen. Der Fehler wird also noch während der Fertigung behoben!
Dazu erstellt das System einen digitalen Zwilling, also ein virtuelles Abbild des Bauteils. Damit lassen sich wichtige Fragen zum Produktionsprozess bereits vorab am Computer klären. Prof. Neugebauer ist überzeugt: „Die Blisk-Fertigung ist nur eines von vielen möglichen Anwendungsfeldern. Aufgrund ihrer Komplexität eignet sie sich aber besonders gut als Demonstrator.“
Also vielleicht ein Grund, dieses Jahr wieder nach Hannover zu pilgern…