4. Januar 2012
Kein Land für Träumer
Fragen Sie den Durchschnittsdeutschen nach Amerika, und es fällt unweigerlich der stereotypische Satz: „Land der unbegrenztem Möglichkeiten“. In diese Mantra eingeschlossen ist der so genannte „amerikanische Traum“ der verfassungsmäßig garantierten Chancengleichheit sowie dem etwas schwammig formulierten Recht, „nach Glück zu streben“, die zusammen zu einer ungehemmten Aufwärtsmobilität führt. Die Alte Welt, so die konventionelle Weisheit, ist mit ihren betonartig abgebundenen Kasten und Klassen festgefahren, wer seinen Traum von Erfolg und Wohlstand schnell verwirklichen will, muss nur das Schiff (oder heute das Flugzeug) in die Neue besteigen, dann wird alles gut.
Wie die meisten Traumgespinste erweist sich auch das amerikanische nun als Trugschluss. Amerikaner sind nicht aufwärtsmobiler als Europäer – im Gegenteil! Eine zum Jahresende veröffentlichte Studie vom Wirtschaftstatistiker Markus Jantti von der finnischen Abo Akademi University kommt zu dem Ergebnis, dass in Armut geborene Amerikaner erheblich weniger Chancen als vergleichbare Europäer haben, nach oben zu kommen. Laut Jantti bleiben 42% der amerikanischen Männer, die ins untere Einkommensfünftel hinein geboren werden, dort ihr Leben lang stecken. Zum Vergleich: In Dänemark sind es nur 25%, im angeblich so klassenbewussten Großbritannien nur 30%.
Umgekehrt schaffen es nur 8% der armen Amerikaner, bis ins obere Einkommensfünftel aufzusteigen, also sich den klassischen amerikanischen Traum zu erfüllen. 14% der armen Dänen schaffen das, bei der britischen Unterklasse sind es 12%.
Und von wegen klassenlose Gesellschaft! 62% der Amerikaner, die in die Oberklasse hinein geboren werden, also ins oberste Fünftel, verbleiben dort oder rutschen allenfalls ins zweite Fünftel ab, bleiben also zeitlebens vergleichsweise wohlhabend. Das geht natürlich nur, wenn man die von unten aufstrebenden Unterschichten erfolgreich „deckelt“. Wie gut das in Amerika heute gelingt, beweist die Statistik: 65% derjenigen, die im unteren Fünftel zur Welt kommen, bleiben dort oder steigen höchstens ins zweiunterste Fünftel auf, bleiben also auf Lebzeiten „social trash“ – sozialer Abfall.
Dass der amerikanische Traum längst nichts als ein Traum ist, bekümmert Linksliberale schon seit Jahren. Neu ist, dass auch sozial Konservative wie der republikanische Präsidentschaftskandidat Rick Santorum neuerdings das Thema entdeckt und vor einem Verlust uramerikanischer Wertvorstellungen durch hemmungslosen Gierkapitalismus warnt.
Tatsächlich ist das Entstehen eines ausgeprägten Klassensystems in den USA Ausdruck des Auseinandertreibens der Gesellschaft, die sich den seit Jahren sinkenden Realeinkommen amerikanischer Mittelverdiener und aktuell in der „Occupy“-Bewegung niederschlägt.
Es gehören keine hellseherischen Fähigkeiten dazu um vorherzusagen, dass sich die sozialen Spannungen in den USA in Zukunft eher verschärfen als beruhigen werden. Aber statt sich um die immer weiter klaffende Einkommenschere zu kümmern und die Barrieren abzubauen, die die soziale Mobilität verhindern, leistet sich das Land eine völlig überzogene Sparpolitik in der beide Seiten, Demokraten wie Republikaner, miteinander wetteifern, wer die schärferen Einschnitte bei den Staatsausgaben ersinnen und damit die Aufstieg- und Einkommenchancen der unteren Schichten noch nachhaltiger blockieren können.
Der amerikanische Traum, er wird zum Albtraum. Die Folgen werden aber nicht nur in Amerika zu spüren sein. „Wenn Amerika hüstelt, wird Europa krank“, hieß es früher. Mal sehen, wie groß die transatlantische Ansteckungsgefahr heute noch ist. Mein Tipp: Wir sollten uns auf einen heißen Sommer einrichten!
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