Das Ende einer Erfolgsstory, oder warum ich meinen Tee jetzt bei Amazon bestelle

So fing alles damals an

So fing alles damals an

Die Wiege des Onlinehandels in Deutschland stand in Oldenburg in Holstein. Studenten der Fachhochschule Flensburg waren auf der Suche nach einem typischen Einzelhändler, den sie als Fallstudie ins neugeschaffene World Wide Web stellen und damit beweisen konnten, dass dieses Webs-Dingsda auch als Verkaufsplattform taugt und nicht nur als akademische Spielwiese. Der alte Frank Franken, der in Oldenburg seit vielen Jahren ein Teegeschäft betrieb, schien ihnen ein geeignetes Opfer zu sein, und sie bauten mit seiner Zustimmmung einen noch recht primitiven Webshop, der aber funktionierte. Das Problem war nur: Der alte Herr Franken hatte keinen Computer. Macht nichts, sagten sich die Kids, und programmierten ihm eine Fax-Weiche, so dass die Online-Bestellungen bei ihm halt ganz altmodisch aus dem Faxgerät herausgerattert kamen.

Der Web-Laden war ein großer Erfolg, und auch ich habe dort von Anfang an meinen Tee gekauft, zumal Herr Franken einen wunderbaren, allerdings auch sehr teuren Oolong namens „Butterfly of Taiwan“ anbot, der mir bis heute sehr gut schmeckt. 20 Jahre lang habe ich dort brav meinen Tee bestellt, auch später, als Herr Franken längst tot war und seine Nachfolger das alte Ladengeschäft geschlossen hatten und den Tee nur noch per Internet vertrieben. Ich benützte das Beispiel auch in meinen Vorträgen als eine der typischen kleinen Erfolgsstories des E-Commerce in Deutschland.

Aber irgendwann zogen meine Frau und ich nach Österreich in die Berge. Kein Problem, dachten wir uns, schließlich kaufen wir solche Dinge wie Tee ja ohnehin schon online. Und dann habe ich von St. Michael aus meine erste Bestellung aufgegeben. Und war wie erschlagen: Das Shop-System nannte mir eine Versandkostenpauschale von 18 Euro für ein DHL-Paket in den Lungau. Bei einem Warenwert von 75 Euro (ich sagte ja: Der Tee ist teuer!) – fast ein Viertel des Kaufpreises!

Nun bin ich ja ein treuer Kunde von Frank Frankens Teehandlung gewesen, und ich habe deshalb auch angerufen und mit dem neuen Chef gesprochen. Ich würde ja gerne weiter bei ihm kaufen, aber da müsste er schon etwas an den Versandkosten machen, sagte ich. Nichts zu machen, meinte der: So viel verlangt DHL eben.

Kurz darauf habe ich per Zufall entdeckt, dass es meine Lieblingsteesorte seit Neuestem ausgerechnet auch bei Amazon zu kaufen gibt. Beim Amazon, dem großen Moloch, der dem armen Einzelhandel das Leben so schwer macht! Aber Amazon wollte für 1 Kilo nur €62,75 und für Verpackung und Versand nur €12,95. Also kostet mich das Kilo inklusive Versand genauso viel wie bei Frank Franken ohne, nämlich €75,70.

Meine Loyalität als Kunde reicht halt auch nur bis hierhin, und so kaufe ich seitdem meinen Tee bei Amazon, so wie meine Bücher, meine Seife, meine Unterhemden, meinen Badezusatz und gerade eben einen neuen Computerbildschirm (einen tollen Samsung S27E510C 68,58 cm (27 Zoll) LED Curved Monitor – geiles Teil!).

Ich gebe zu, der Abschied von Frank Franken ist mir schwer gefallen. Aber wie sagt der Schwabe: Das Hemd ist mir näher als der Kittel.

Was lernen wir daraus im Zeitalter der Digitalen Transformation? Dass es nicht nur wichtig ist, dem Kunden die passende Ware zu passenden Preis zu bieten. Die Logistik spielt zunehmend eine Schlüsselrolle. Wer am besten, am billigsten und am schnellsten liefern kann, hat in Zukunft die Nase vorn. Und Kunden werden immer anspruchsvoller. Irgendwann wird es nicht mehr genügen, ihm eine Postkarte in den Briefkasten zu werfen, auf dem angekündigt wird: „Ihr Paket wir morgen zwischen 9 und 16 Uhr zugestellt.“ Dann muss ich mir einen Tag von der Arbeit freinehmen oder die Nachbarin bitten, die Kleinen vom Kindergarten abzuholen. Nein: Ich möchte dem Logistiker sagen, wann und wo er mein Paket bitteschön abzuliefern hat. Und wer das kann, wird im Rennen um die Kundengunst die Nase vorne haben.

Noch ist es nicht soweit. Noch sind wir Kunden brav und schlucken unseren Ärger herunter.

Aber warum glauben Sie investiert Amazon so viel Geld in neue, hocheffiziente Formen der Zustellung, in Lieferdronen und „Same Day Delivery“? Nicht, weil sie gerne Geld dafür ausgeben, sondern weil sie den Abstand zwischen sich und der Konkurrenz halten oder noch vergrößern wollen. Und wie mein kleines Tee-Beispiel zeigt, gelingt ihnen das auch ganz gut.

So wie Frank Franken geht es heute vielen Unternehmen in Deutschland. Sie sehen gar nicht, aus welcher Richtung die disruptive Gefahr auf sie zukommt und wie schnell sich das Blatt zu ihren Ungunsten wenden kann.

Jedesmal, wenn ein kleiner Mittelständler zögert, weil er hofft, dass die Welle an ihn vorübergehen wird, wenn er die Entscheidung aufschiebt, sich um die digitale Transformation seines Unternehmens zu kümmern, wenn er „ja aber“ sagt und zur Tagesordnung übergeht, fällt Deutschland im Rennen um die digitale Zukunft wieder ein kleines Stückchen zurück. Kollektiv kann das das Ende des Wirtschaftswunderland bedeuten, das Absinken in die wirtschaftliche Zweiklassigkeit. Denn andere Länder sind meist viel besser (sprich: schneller) vernetzt, verfügen über eine bessere digitale Infrastruktur und vor allem über junge, hungrige Unternehmer, die keine Angst vor dem Digitalen haben und die bereit sind, mutig neue Wege zu gehen. Klar: Die meisten von ihnen kennen die alten Weg ja gar nicht, und sie haben auch nichts zu verlieren.

Ich denke, darüber sollten deutsche Unternehmer nicht nur in den Weihnachtstagen nachdenken, sondern jeden Tag.


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