Wo wir uns doch alle gerade über Online-Fahnung, staatliche Videokameras im Wohnzimmer und flächendeckende Aufzeichnung von Kfz-Kennzeichen aufregen, hier ein kleines Bonmot aus dem ordnungspolitischen Alltag, der mich nachdenklich macht.
Neulich nahm der nette Herr Betz, der sich liebevoll um unser kleines Cabrio kümmert, das gute Stück aus München mit in seine Werkstatt im Nordosten der Stadt. Herr Betz ist ein sehr umsichtiger und penibler Mensch, was ich an ihm schätze, denn er hält unseren Wagen immer tipptopp in Schuss.
Hinzufügen muss ich, dass wir den Wagen mit einem so genannten Saisonkennzeichen zugelassen haben, da wir ohnehin im Winter nicht damit fahren wollen. Vom 1. April bis 31. November ist der Wagen zugelassen, dazwischen steht er in der Garage.
Herr Betz holte den Wagen Anfang März ab, und da er ja zu diesem Zeitpunkt weder zugelassen noch ersichert war, brachte er ein rotes Überführungskennzeichen mit. Am 18. März stellte er ihn wieder in die Garage, warf Schlüssel und Rechnung in den Briefkasten und ging nach Hause. Übrigens, nebenbei bemerkt: Das ist noch echter Service!
Zwei Wochen später bekam ich einen sehr amtlich aussehenden Brief vom „Bayer. Polizeiverwaltungsamt – VOWi“, der mich davon in Kenntnis setzte, dass mir vorgeworfen wurde, „am 18.3.2008 um 06:10 Uhr in München, BAB A99, km 3.638, Lindau Richt. Salzburg“ die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 Stundenkilometer überschritten zu haben, wofür man gedenke, mir eine Geldbuße von 50 Euro sowie Kosten in Höhe von 23,50 Euro und zusätzlich noch drei Punkte in Flensburg zu verpassen.
Ich schaute in den Kalender und sah, dass Herr Betz an diesem Tag den Wagen zurück gebracht hatte. Wieso er dazu über die A99 fahren musste, war mir zwar nicht klar, aber vielleicht wollte er ja den Wagen noch etwas einfahren. Aber wieso morgens um sechs?
Jedenfalls rief ich ihn an und sagte: „Na, Herr Betz, waren wir ein bisschen schnell unterwegs?“ Woraufhin er aus allen Wolken fiel und mir – glaubhaft – versicherte, dass er erstens selten zu schnell fährt, zweitens niemals mit einem Kundenfahrzeug und drittens zweimal nicht, wenn er ein rotes Kennzeichen am Auto hat. „Das wäre ja Wahnsinn!, sagte er. Stimmt.
Also rief ich beim „Bayer. Polizeiverwaltungsamt – VOWi“ an und fragte, was denn los sei. Nun, ich sei wohl zu schnell gefahren, sagte der Beamte. Nee, sagte ich, wenn überhaupt, dann Herr Betz. Aber eigentlich sei es komisch, denn der habe ja ein rotes Kennzeichen drangemacht. Wieso man dann überhaupt mein Kennzeichen erwischt hätte.
Der Beamte stutzte, schaute und fragte dann nach meinem Kennzeichen. Nun kenne ich die Nummer auswendig: TC 1066. Habe ich mir ausgesucht, weil TC meine Initialen sind und im Jahr 1066 Wilhelm der Eroberer in der Schlacht von Hastings die Angelsachsen besiegt und England den Normannen unterworfen hat. Sie merken schon, eines meiner Hobbies ist englische Geschichte…
Der Polizist ließ mich ein paar Minuten warten, während er das Beweisfoto auf den Bildschirm holte. Und dann fragte er mich: „Fahren Sie einen weißen Mercedes-Kastenwagen?“
Nein, sagte ich, ich fahre einen wunderschönen weinroten Mercedes SLK. Verwechslung ausgeschlossen.
Er schaute das Foto dann wohl etwas genauer an und meinte: „Das war der Computer!“ Genauer: Das Schrifterkennungsprogramm, das aus einem „F“ ein „C“ gemacht hatte. Kleine Ursache, große Wirkung, also. Scheiß Computer!
Was mich aber beunruhigt ist die Tatsache, dass der Scheiß-Computer immer mehr in den Mittelpunkt polizeilicher Fahndungarbeit rückt. Was wäre gewesen, wenn das gesuchte Auto einem Terrorverdächtigen gehört hätte. Was, wenn die Polizei davon ausgegangen wäre, der Kerl ist bewaffnet. Wäre mir so ergangen wie der arme Ian Macleod, der an einem schönen Junimorgen im Jahre 1972 in seiner Wohnung im Stuttgarter „Hannibal“ an die Tür ging und dort einen Polizisten im schusssicherer Rüstung und mit gezückter MP vorfand? Macleod tat das, was ich wahrscheinlich auch tun würde: Er schmiss die Tür zu und rannte davon. Leider hat der Knall den Polizisten so erschreckt, dass er sein Magazin durch die geschlossen Wohnungstür entleerte und den unschuldigen Schotten zersiebte.
Und überhaupt: Warum bin ich offenbar der einzige, der sich an den Fall Macleod erinnern kann? Gut, ich war damals Lokalreporter in Stuttgart. Aber Wolfgang Schäuble war damals auch schon auf der Welt und sogar schon politisch aktiv.
Und warum beschleicht mich leise Angst, wenn ich bei Google „Macleod Baader Meinhof“ eingebe? Ich will ja nur noch mal das Datum prüfen. Aber was ist, wenn die Online-Überwachung schon in vollem Gang ist? Der Google-Treffer zusammen mit einem vom Computer falsch erkannten Kennzeichen – und schon könnten sie vor der Tür stehen…
Es ist wieder sehr weit gekommen in Deutschland. Ich hatte eigentlich gehofft, wir wären weiter als 1972.