Ich dachte immer, ich sei Amerikaner. Aber heute weiß ich nicht mehr so recht. Vielleicht bin ich auch Usano.
Normalerweise leitet sich die Bezeichnung für einen Bewohner von dem Namen des Landes ab, dessen Staatsbürger er ist. Jemand aus Deutschland ist ein Deutscher, einer aus Frankreich ist ein Franzose. Bei den Bürgern Großbritanniens ist es etwas schwieriger, da er ja zwei Seelen, ach, in seiner Brust herumträgt: Er ist wahlweise Brite und/oder Engländer, Schotte, oder Waliser.
Ich selbst bin, wie etwa 290 Millionen andere, Bürger eines Landes, das sich offiziell „United States of America“ nennt. Bislang hielt ich mich deshalb für einen „Amerikaner“, was in Deutschland gelegentlich zu lustigen Wortspielen führt, in denen es um ein meist etwa handtellergroßes, stumpf-kegelförmiges Gebäckstück aus Weizenmehl mit Zucker- oder Schokoladenguss. Der Name Amerikaner ist eine Vereinfachung des ursprünglichen Namens „Ammoniumhydrogencarbonatikaner“, später auch „Ammoniakaner“, den das Gebäck aufgrund des verwendeten ammoniumhaltigen Backpulvers Ammonium-Hydrogencarbonat (Hirschhornsalz) trug. Danke übrigens an Wikipedia für diese Definition.
Aber jetzt mal ernsthaft: Für einen Amerikaner ist es ganz klar, dass nur jemand aus Nordamerika, genauer aus den Vereinigten Staaten von Amerika“, wirklich ein Amerikaner ist. Dass es viele Millionen Menschen anderer Nationalität gibt, die ebenfalls in Amerika leben, übersehen sie dabei geflissentlich. Jemand aus Kanada ist für einen Amerikaner kein Amerikaner, sondern ein Kanadier, obwohl er genauso auf dem nordamerikanischen Kontinent zu Hause ist wie er. Und ab dem Rio Grande heißen für ihn alle Einwohner „Latinos“, obwohl ihre Heimat Mittel- oder Südamerika ist.
Wenn ich so darüber nachdenke, kommt mir das alles reichlich unverschämt vor. Nicht, dass es mich wundert: Wir Amerikaner tragen schließlich jedes Jahr eine Weltmeisterschaft aus in einer populären Sportart (Baseball), an der ausschließlich Mannschaften aus den USA teilnehmen. Aber wenn ich ein Kanadier, ein Mexikaner, Peruaner, Brasilianer oder Kubaner wäre, dann würde es mich ganz schön wurmen zu sehen, wie ein einziges Land den Namen zweier kompletten Kontinente an sich reißt und daraus seine nationale Identität zimmert.
Fast noch interessanter ist aber, dass die ganze Welt das offenbar in Ordnung findet. In Deutschland stört sich keiner daran, die US-Bewohner als Amerikaner zu bezeichnen. Und nur sehr gelegentlich verwenden die Medien die einschränkende Formulierung „Vereinigte Staaten von Nordamerika“, um das Land und seine Bewohner wenigstens von den Staaten des Südkontinents abzugrenzen. Die Kanadier können ja sehen, wo sie bleiben.
In Frankreich ist jetzt wenigstens ein kleiner Streit über diesen Sprachgebrauch entbrannt. Martine Rousseau und Oliver Houdart, zwei Redakteure der Online-Ausgabe der Tageszeitung „Le Monde“, haben in ihrem Sprach-Blog die Frage gestellt, warum der gemeine Franzose nach wie vor dem „les Américains“ (großgeschrieben) spricht, wenn sie einen US-Bürger meinen, aber nicht von „les américains“ (kleingeschrieben), wenn sie alle Bewohner der beiden Kontinente bezeichnen wollen.
Die beiden wollten keine große politische Diskussion vom Zaum brechen, sondern lediglich eine zwar weitverbreitete, aber unpräzise Sprachgewohnheit geißeln. Wenn sich die Bezeichnung eines Staatsbürgers von dem Staatsnamen ableitet, schreiben sie, dann müsste ein Bewohner der „Ètats-Unis“, wie die Vereinigten Staaten auf Französisch heißen, doch eigentlich „Ètats-Unien“ heißen.
Die Reaktion der verehrten Leserschaft hat die beiden Autoren ziemlich überrascht. Sie wurden nämlich von Zuschriften überschwemmt, in denen sie der antiamerikanischen Hetzpropaganda bezichtigt wurden. Selbst gemäßigtere Leser fanden die Bezeichnung „Ètats-Unien“ unappetitlich, unmusikalisch, snobistisch, sarkastisch oder schlicht unschön. Dass die althergebrachte Bezeichnung „Américain“ unpräzise sei, scheint niemanden zu stören. „Obwohl wir uns freuen würden, als die Erfinder eines neuen linguistischen Mandats zu gelten, müssen wir feststellen, dass Américain offenbar eine historische Legitimation besitzt, während États-Unien als Herausforderer eine lexikalische Lücke schließt – ja, eigentlich ergänzen sie sich, und wir sollten sie kohabitieren lassen.“
Im übrigen haben mehrere Leser von „Le Monde“ eine einfache und sinnfällige Lösung des Problems vorgeschlagen: Man könnte die Bürger der USA ja „Usanos“ nennen. Sie leiten das Wort übrigens aus dem Griechischen ab (was wiederum allerdings die Griechen und einige Altphilologen bei uns verwirren dürfte, denn die Initialen „U“, „S“ und „A“ heißen „Ypsilon, „Sigma“ und „Alpha“ auf Griechisch).
Ich bin mir nicht sicher, ob ich damit glücklich werden könnte, mich in Zukunft als Usano bezeichnen zu lassen. Irgendwie klingt das wie der Bewohner eines bislang noch unentdeckten Planeten. Aber vielleicht ist es ja gerade deshalb besonders passend.