Es geht in dieser IT-Branche wirklich keiner verloren. Mein alter Freund Michael Frenzel war jahrelang Pressesprecher bei 1&1 in Montabaur, aber dann war er plötzlich weg und wir haben uns aus den Augen verloren. Aber jetzt ist er wieder aufgetaucht: In einer E-Mail sagte er mir, dass er jetzt für die WorldHostingDays zuständig ist, die weltweit größte Serie von Events für die Cloud und Hosting Industrie. Die findet am Freitag, 7. Oktober im Hotel Bayerpost am Münchner Hauptbahnhof statt und gehört zur Veranstaltungsreihe „WHD.local“, die auch in Amsterdam, London, Moskau, Istanbul und Madrid stattfindet.
Abgesehen davon, dass ich die dort behandelten Themen spannend finde wie „Digital Disruption“, „Any Data, Any Where?“ oder „Qualified Trust Services in the Cloud“, ist es vor allem das Format, das mich fasziniert. Die Veranstalter wollen doch tatsächlich 21 Sprecher in einem Tag über eine einzige Bühne jagen, was ungefähr eine Redezeit von 15 Minuten pro Speaker bedeutet. Ich lebe ja selbst von meiner Fähigkeit, die Aufmerksamkeit des Publikum auf mich zu ziehen, und man gibt mir dazu normalerweise irgendwo zwischen 45 und 60 Minuten Zeit. Einmal durfte ich sogar zwei Stunden reden, und das gleich 25 Mal, nämlich bei allen Direktmarketing-Centers der Deutschen Post AG. Das war selbst mir zu viel, jedenfalls am Stück, und so habe ich den Veranstalter davon überzeugt, dass es besser wäre, eine Pinkelpause dazwischen einzulegen.
Ich habe also volle Hochachtung vor einem Sprecher, der in 15 Minuten fertig wird. Ich bezweifele allerdings, dass es jedem gelingt. Ich werde auch oft als Moderator solcher Konferenzen angefordert, und ich schwitze jedes Mal Blut und Wasser, wenn einer kurz vor Ablauf seiner Redezeit erst auf Nummero 10 von 30 mitgebrachten Slides angelangt ist. An der Uni ist das viel einfacher: Da gibt es oft bei wissenschaftlichen Symposia eine Stoppuhr, die rot aufleuchtet, wenn die Redezeit vorbei ist, und dann muss der Herr Professor schlimmstenfalls mitten im Satz seinen Redefluss beenden und Platz machen für den nächsten, der unbedingt mit seinem Text in dem Berichtsband der Tagung auftauchen will.
Allerdings kann auch ich mal anders. So geschehen am Samstag auf dem „DGFP lab“ der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. im Radialsystem-Gebäude in Berlin. Dort durfte ich auf Vermittlung der Econ-Referentenagentur als Keynotesprecher auftreten, um vor 400 aufgeweckten jungen Personalern über das Thema zu reden: „Erfolgsfaktor Netzwerk: Können Unternehmen in Zukunft ohne Partizipation überleben?“
Die kurze Antwort ist: nein! Aber ein bisschen mehr sollte ich schon erzählen. Allerdings, so sagten mir die Veranstalter, müsste ich den Slot von einer Stunde Dauer mit ihrem Vorsitzenden, Dr. Gerhard Rübling, teilen, der im Hauptberuf im Vorstand der Trumpf-Gruppe im schwäbischen Ditzingen für das Personalwesen und damit für eine knapp 10.000 Mitarbeiter starke Belegschaft zuständig ist. Es wäre doch interessant, einen Visionär und einen Mann der Praxis nacheinander über das gleiche Thema reden zu lassen, sagten sie. Aber ich müsste mich doch bitte etwas kürzer fassen als sonst. Ob ich denn mit einer halben Stunde klar käme?
Ich habe also einen Vortrag gebastelt, in dem ich einige meiner Lieblingsthesen zu Vernetzung, Mobilität und Social Web mit der “SECI“-Theorie des legendären japanischen Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Ikujiro Nonaka verband, dessen „Wissenspirale“ heute von vielen als das beste Modell zur Beschreibung der Ausbreitung von Fachwissen im Unternehmen und des Transfers von persönlichem („impliziten“) Wissen in kodierbares („explizites“) Wissen angesehen wird. “Das Arbeiten in Projektgruppen ohne oder nur mit flachen Hierarchien fördert den Dialog und den Austausch von implizitem Wissen,” behauptet er, und ich dachte, das könnte die jungen Damen und Herren in Berlin doch interessieren.
Am Ende bestand meine Powerpoint-Präsentation aus knapp 50 Slides. Oh je, dachte ich, das kriegst du nie in einer halben Stunde durch! Ich schmiss also welche raus, aber es war nicht einfach, denn dadurch entstanden immer wieder logische Brüche, also nahm ich einige wieder rein. Mit 45 digitalen Folien fuhr ich schließlich nach Berlin, und mir war Angst und Bange, ob ich die Zeit überziehen würde oder nicht.
Ich ging auf die Bühne, verzichtete auf den üblichen Anfangswitz, sagte nur: „Wir haben viel miteinander zu besprechen, und die Zeit ist knapp, also lege ich gleich los.“ Ich klickte mich durch den Vortrag, sprach vielleicht auch ein wenig schneller als sonst, aber ich wurde alles los, was ich zu sagen hatte. Ich schaute am Schluss hinüber zu Dr. Rübling, der in der ersten Reihe saß, und sagte: „Die Bühne gehört jetzt Ihnen!“ Und in dem Moment kam der Moderator mit zwei belegten Brötchen aus dem Nebenraum, wo die Pausenverpflegung angerichtet war, mit vollem Mund hinein, erschrak heftig, legte die Brötchen beiseite und hechtete auf die Bühne, um seinen Job zu machen, nämlich zum nächsten Redner überzuleiten.
Als ich meinen Platz wieder eingenommen hatte, schaute ich auf die Uhr, und siehe da: Ich hatte nur 19 Minuten gebraucht!
Woraus ich gelernt habe: Auch ich kann mich kurz fassen. Gut, es sind noch nicht die von Michael geforderten 15 Minuten, aber ich denke, zur Not hätte ich das auch noch hingekriegt. Ich kann ihm und seinem Moderator allerdings wirklich nur Glück wünschen: Hoffentlich hören seine Redner wirklich alle pünktlich auf. Aber vielleicht ist ja auch einer dabei, der versehentlich zu kurz spricht. Dann kann es der nächste so machen wie Dr. Rübling: Der sprach nämlich statt der angekündigten 20 Minuten fast doppelt so lange. Aber das machte ja nichts, denn erstens war es hochinteressant, was er zu sagen hatte. Und zweitens hatten wir ja eine ganze Stunde zur Verfügung…
(Foto: Philipp von Recklinghausen / lux fotografen)
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