Seltsamerweise liest man in deutschen Zeitungen und Blogs so gar nichts über ein Thema, das in Amerika gerade für Furore sorgt, und dass auch in Deutschland Relevanz hat angesichts der Diskussion um Internet-Sperren für Kinderpornos.
Gut, es geht vordergründig um ein ganz anderes Thema, nämlich um Videos von Hundekämpfen, aber das Prinzip ist das gleiche.
Das oberste Gericht der USA verhandelt gerade unter reger Anteilnahme der Öffentlichkeit den Fall eines gewissen Robert J. Stevens aus Virginia, der solche Filme unter dem Titel “Pit Bull Training” übers Internet verkauft hat, worauf es natürlich ein paar besonders brutale Szenen auf YouTube geschafft haben. Der Kerl wurde daraufhin von Tierschützern angezeigt und aufgrund eines Bundesgesetzes aus dem Jahr 1999, das die Abbildung von Tierquälerei verbietet, verurteilt. Er ging in die Berufung und wurde freigesprochen, weil er sich auf die Meinungsfreiheit berief.
Und nun müssen die Damen und Herren in den langen Roben entscheiden, ob Stevens ins Gefängnis muss oder nicht. Und sie tun sich mit der Entscheidung sehr, sehr schwer. Das Argument der Tierschützer ist, dass solche Filme zur Nachahmung anstiften. Stevens Anwalt bestreitet das und verweist auf ähnliche Filme, die von Tierschützern gedreht worden sind und die teilweise noch viel grausamere Szenen enthalten. Außerdem habe Stevens seine Filmszenen teilweise aus Ländern bezogen, in denen Hundekämpfe legal oder zumindest nicht ausdrücklich verboten seien, wie Japan oder Russland.
Richter Samuel A. Alito hat gestern in der Verhandlung eine, wie ich finde, sehr interessante Frage in diesem Zusammenhang gestellt, nämlich die, ob man in Amerika einen “Menschenopfer-Kanal” verbieten müsste, wenn es einen solchen gäbe. Angenommen, so Alito, irgendwo auf der Welt sei es Sitte, Menschen bei lebendigem Leibe das Herz heraus zu schneiden und es dem Sonnengott zu opfern (wie jahrhundertelang in Mexiko üblich), und jemand würde darüber Filme drehen? Würden sich die Leute das anschauen. Klar würden sie es! Sei würden sogar dafür bezahlen, und einer könnte ja auf die Idee kommen, einen Bezahlsender aufzumachen, auf dem solche Streifen ausgestrahlt werden. Dürfte man das verbieten? Aus den Mienen der Richter war abzulesen, das ihre Antwort vermutlich “nein” gelautet hätte. Und selbst der Anklagevertreter sah sich genötigt zuzugeben, dass die Verfassung ein solches Verbot nur dann rechtfertigen würde, wenn solche Filme nachweislich zur Nachahmung anstiften würden.
Nicht, dass ich hier Hundekämpfe verherrlichen will. Ich finde die Bilder genauso widerlich wie Sie. Der ganze Streit dreht sich aber letztlich um die Frage, ob der Staat das Recht hat, Abbildungen (eine Form von Meinungsausdruck) zu verbieten, nur weil sie von einigen (oder sogar von sehr vielen) als anstößig empfunden werden. Oder muss nicht zuerst der Kausalzusammenhang mit tatsächlichem Rechtsbruch (Tierquälerei, Kindermissbrauch, etc.) nachgewiesen werden?
So lange die Bilder sozusagen für sich stehen, also niemandem unmittelbar weh tun oder ihm sonstigen konkreten Schaden zufügen, darf man sie nahc vorherrschendem Rechtsverständnis in den USA nicht verbieten. Alles andere wäre Paternalismus, also der staatlich verbordenete Schutz des Einzelnen vor sich selbst. Und das kann nicht Aufgabe eines liberalen Rechtsstaats sein.
Auf Zensurula und der Stoppschilder im deutschen Internet übertragen hiesse das, solche Sperren wären nur dann legal, wenn dadurch nachweislich die Vergewaltigung von Minderjährigen unterbunden würde. Was aber Blödsinn ist, denn erstens liegen die Taten naturgemäß in der Vergangenheit, ein Bilderverbot würde sie nicht ungeschehen machen. Und zweitens ist die gottseidank Ex-Familienministerin bislang den Beweis für ihre Behauptung schuldig geblieben, Kinderpornos würden die Betrachter zu Päderasten machen. Das ist Blödsinn, wie seriöse Studien u.a. des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes (PPD) des Kantons Zürich bewiesen haben. Man kann sogar im Gegenteil argumentieren, die Sperre schütze die Kinderschänder, denn sie erschwert die Fahndungsarbeit der Polizei. Frau von der Layen und alle, die mit ihr gestimmt haben, haben sich damit sozusagen zu Mittätern künftiger Kindervergewaltigungen gemacht. Ob sie sich ihrer Schuld bewußt sind? Wohl kaum.
Ich finde es bedenklich, und für das Demokratieverständnis in Deutschland bezeichnend, dass ein so tiefer Eingriff in die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit, von der Freiheit des Internet gar nicht erst zu reden, mehr oder weniger Widerspruchslos (389 Ja- zu 128 Nein-Stimmen im Bundestag) geduldet wird. Vielleicht sollten wir uns Amerika mal wieder zum Vorbild nehmen. Wir in den demokratischen Ländern haben Jahrhunderte gebraucht, um den Machthabern gewisse Grundrechte abzutrotzen wie die der Freiheit, das zu sagen und abzubilden, was wir wollen.
Andererseits: Die Bundestagswahl ist ja nun gelaufen. Wäre es nicht an der Zeit, ans Aufräumen zu gehen? Und beispielsweise das aus kurzsichtig populistischen Motiven heraus eingeführte Unrechtsprinzip der Internet-Sperren dorthin zu befördern, wohin es gehört: in den Mülleimer der Geschichte!