Es war langsam, die Pixelgrafiken waren klobig und anfangs schwarzweiß, die Texte oft nur mit Mühe zu entziffern. Und dennoch haben wir es geliebt, das gute, alte Btx (vulgo: „Bildschirmtext“). Tausende von uns haben damit unsere ersten tapsenden Schritte im Cyberspace gemacht, Zehntausende verdanken ihm ihre ersten Erfahrungen mit Online-Datenbanken und vor allem mit dem Home Banking, das als die „Killer-Anwendung“ galt, mit dem Btx dereinst den Weg in Millionen von Haushalten finden sollte, wie mir damals Eric Danke sagte, der Mann, der bei der Telekom das System entwickelte und es damit sogar bis in den Vorstand des ehemaligen Staatsmonopolisten schaffte. Leider irrte er sich, denn Btx blieb bei uns immer ein Nischenprodukt, nur von Techies geliebt, bis es 1993 in den neuen Telekom-Dienst „Datex-J“ aufging und schließlich 2001 ganz abgeschaltet wurde, weil die ganze Welt nur noch im World Wide Webs surfen wollte.
Die ganze Welt? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Land hält bis heute dem „Dampf-Internet“ die Treue. Genauer gesagt: Bis morgen. Denn am Samstag um Mitternacht wird Minitel abgeschaltet, die französische Variante des Systems, das eigentlich „Videotex“ hieß (ja, ohne „t“; in der Schweiz gab es ein ganz anderes System namens „Videotext“ mit „t“, was nur zur allgemeinen Verwirrung in den Frühtagen der Onlinerei beitrug).
Im Gegensatz zu Deutschland, wo man seinen Btx-Terminal für teuer Geld kaufen musste, hat es Frankreich von Anfang an richtig gemacht und Millionen von den kleinen grauen Boxen an die Telefonkunden verschenkt. Und damit sie auch benützt wurde, haben sie aufgehört, Telefonbücher auf Papier zu drucken: Wer eine Nummer nachschlagen wollte, musste seinen Minitel anwerfen, was natürlich die Nutzerzahlen kräftig anhob.
Irgendwann, so nahm ich immer an, haben die Franzosen den Dienst wie die Deutschen einfach abgeschaltet – aber von wegen! Laut New York Times gibt es noch mehr als 400.000 französische Minitel-Besitzer, die ihre Geräte aktiv nutzen – darunter mindestens 2.500 Molkereibetriebe vor allem in der Bretagne. Für die ist das Ding sogar sehr wichtig, denn es gibt eine eingeführte Anwendung, mit deren Hilfe sie den Besamungsdienst alarmieren können, wenn die Kuh in Hitze ist.
Angeblich ist das Minitel schuld daran, dass sich Frankreich erheblich langsamer dem eigentlichen Internet geöffnet hat als die Nachbarländer oder Amerika, was ja auch klar ist: Für die meisten Menschen genügte das einfache kleine Gerät, um damit Zugfahrpläne abzurufen, Tickets zu kaufen, einen Tisch im Bistrot zu buchen und vor allem Mails zu versenden. Man hat sein Minitel mit den Jahren auch lieb gewonnen, denn Franzosen sind bekanntlich mehrheitlich ziemlich konservativ und hängen am Althergebrachten. Jedenfalls so lange, bis ihnen zwischendurch mal wieder die Hutschnur platzt und sie in einem eruptiven Revolutionssturm das Alte hinwegfegen und eine neue Ordnung etablieren. Nun, Samstagnacht wird es laut Wetterbericht zwar Unwetter geben in Gallien, aber das Ende des Minitel wird eher lautlos über die Bühne gehen – nur ein leiser Schalterklick, und der kleine graue Kasten wird Geschichte sein.