Wer waren die Albaner? Diese Frage beschäftigt viele auf Quora, und ich habe mich von Zeit zu Zeit in die Diskussion eingemischt, und zwar aus Perspektive der römischen Geschichte, von der ich einiges weiß. Die Römer nannten alle Balkanbewohner Illyriker, aber wenn die Illyrer nur in Nordalbanien, Kroatien und Bosnien lebten, warum wollen dann alle Albaner als Nachfahren der Illyrer gelten? Außerdem lebten die Dardaner im Kosovo und Kosovo-Albaner behaupten, dardanische Vorfahren zu haben. Ein ganz schönes Kuddelmuddel ist das!
Ich denke, die Antwort hängt ganz davon ab, wer deiner Meinung nach die Illyrer sind oder waren. Tatsächlich war der Balkan schon lange vor der Römerzeit ein wimmelnder Ursumpf aus Stämmen und Protostaaten. Die drei größten römischen Provinzen, die in die hier gestellte Frage passen würden, sind Illyrien, Thrakien und Dakien – außer dass die Römer sie irgendwann im ersten Jahrhundert n. Chr. umbenannt haben in Dalmatien und Pannonien.
Viele der Tausenden von lokalen Stämmen und Gemeinschaften, die sich im Laufe der Zeit hier zu einer Art Ursuppe zusammenfanden, fingen mit der Zeit an, sich durch einen Prozess mit ihren Nachbarn zu identifizieren, der als Ethnogenese bekannt ist. Dies wird definiert als die Entstehung neuer sozialer Gruppen durch das Zusammenkommen bereits bestehender Gruppen, die sich irgendwann dafür entscheiden, eine neue ethnische Gruppe zu bilden (von griechisch ethnos ἔθνος, „Gruppe von Menschen, Nation“, und genesis γένεσις, „Anfang, Entstehung“; Plural ethnogeneses). Dies hat nichts mit DNA oder Rasse zu tun, sondern ist meist einfach eine Frage der Zweckmäßigkeit – es entstehen größere und damit stärkere Gruppen, die gegen andere Stämme Krieg führen können.
Die Slawen sind ein weiteres gutes Beispiel für dieses Prinzip. Sowohl seriöse als auch weniger seriöse „Experten“ versuchen seit Jahrzehnten, eine mythische slawische „Urheimat“ zu identifizieren, was völliger Unsinn ist, da sie aus vielen verschiedenen Gebieten kamen und sich vermischten, insbesondere unter dem Einfluss eindringender Sarmaten aus dem Iran und nordischer Stämme aus der Bronzezeit, die schließlich germanisch wurden. Es ist alles sehr verwirrend, und es gibt keine Möglichkeit, dass irgendjemand das jemals endgültig klären wird.
Was die Albaner betrifft, um die hier in Quora so viel völlig unnötiger Wirbel gemacht wird, so sind sie offensichtlich paläo-balkanischen Ursprungs und teilen die illyrischen, thrakischen und dakischen Mythologien. Die Proto-Albanische Sprache entstand wahrscheinlich um das 1. Jahrhundert n. Chr., als die Kontakte zu romanischen Sprachen umfangreich waren. Die Offenheit für Lehnwörter wurde als „charakteristisches Merkmal“ der albanischen Sprache bezeichnet.
Die ursprünglichen lexikalischen Elemente des Albanischen, die direkt aus dem Proto-Indo-Europäischen stammen, sind im Vergleich zu den Lehnwörtern weitaus weniger zahlreich, obwohl die Lehnwörter als „perfekt integriert“ gelten und nicht vom einheimischen Wortschatz zu unterscheiden sind. Das Lateinische hat sich tief in das Kernvokabular eingeschlichen, und die meisten Wörter, die beispielsweise den Handel betreffen, sind alle entlehnt oder neu erfunden. Da das Albanische eindeutig nach der römischen Ära entstand, wurden diese Wörter vermutlich in die allgemeine Vermischung der Völker hineingezogen, insbesondere während der Zeit der „Völkerwanderung“, die auf den Zusammenbruch Westroms folgte, wodurch insbesondere der Balkan weitgehend entvölkert wurde und somit ein Vakuum entstand, das von so gut wie jedem gefüllt werden konnte, der zufällig vorbeikam.
Der Begriff „Illyrien“ wurde in der Spätantike weitererhin verwendet, um die westliche Balkanhalbinsel zu beschreiben. Der Name der Illyrer wurde zum Namensgeber für viele benachbarte Stämme, die nur lose mit ihnen verbunden waren.
Laut Herodot erstreckte sich das Land der Illyrer im 5. Jahrhundert v. Chr. von der Adriaküste bis zur Morava im Osten und zur Etsch im Westen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. besiegten die Römer die Illyrer und schränkten ihr Königreich auf die nördliche Hälfte ein. Nach weiteren langen Kämpfen kam das illyrische Königreich vollständig unter die Herrschaft des Römischen Reiches und wurde fortan auf Lateinisch Illyricum genannt. Sulla vereinigte es mit der Provinz Makedonien, doch unter Gaius Iulius Caesar wurde es erneut eine unabhängige Provinz. Ein großer Aufstand der Illyrer zwischen den Jahren 6 und 9 n. Chr. konnte von den Römern nur mit Mühe niedergeschlagen werden.
Aufgrund ihres halblegendären Charakters eigneten sich die Illyrer gut als Sammelpunkt für selbsternannte Erfinder verschiedener nationaler Identitäten. Seit den 1830er Jahren ist eine regelrechte Heimindustrie von sogenannten „Experten“ entstanden, die versuchen, einen mehr oder weniger mythischen Ursprung der Völker auf der Balkanhalbinsel bei der einen oder anderen antiken Kultur nachzuweisen. Einige ziemlich verrückte Albaner behaupten gerne, Sokrates sei einer von ihnen gewesen, obwohl es keine „Albaner“ gab, als er 332 v. Chr. starb.
Die Kroaten behaupten besonders gerne, direkt von den Illyrern abzustammen, ohne dafür echte Beweise zu haben, und alle südslawischen Nationalbewegungen, die die kulturelle, ethnische und politische Einheit aller Südslawen propagieren, sind besonders angetan vom Illyrismus; eine Vorliebe, die im Laufe der Zeit zur Schaffung dessen führte, was sie gerne als „serbokroatische Sprache“ bezeichnen und die in Wirklichkeit im 19. Jahrhundert erfunden wurde.
Von 1989 bis 2004 haben rund eine Million Menschen Albanien verlassen, was rund einem Drittel der aktuellen Bevölkerung Albaniens entspricht. 1991/92 und 1997 waren aufgrund ökonomischer und politischer Krisen Jahre, in denen die Massenflucht nach Italien oder Griechenland ihre Höhepunkte erreichte. Nach Italien sind von 1990 bis Anfang 2006 etwa 350.000 Albaner eingewandert. Auch die Türkei ist seit 1990 Zielland von Arbeitsmigranten aus Albanien. Seit Ende der 80er Jahre haben über 400.000 Albaner das Kosovo aus wirtschaftlichen und politischen Gründen dauerhaft verlassen. Ein wichtiges Zielland der permanenten kosovarischen Auswanderung ist seit Jahrzehnten die Schweiz. Dort lebten im Jahr 2000 rund 95.000 Albaner. Auch die klassischen Einwanderungsländer Kanada und Australien waren in den vergangenen beiden Jahrzehnten Ziele albanischer Migranten.
Es ist heute unmöglich zu sagen, wer die Albaner waren und sind, außer dass sie sich inzwischen weltweit verbreitet haben und dort teilweise glücklich und zufrieden leben. Aber die Diskussion wird weitergehen – allerdings ohne ein abschließendes Ergebnis. Aber miteinander diskutieren ist besser, als sich gegenseitig zu bekriegen.