„DeepSeek ist gut genug für den Hausgebrauch“

Hier der Originaltext meines Interviews mit den Salzburger Nachrichten. Eine leicht gekürzte Version erschien am Samstag in der Papierausgabe.

SN: Wie beurteilen Sie den Unterschied von DeepSeek und ChatGPT? Ist die chinesische KI tatsächlich tatsächlich neu?

Tim Cole: Ich habe beide Programme gegeneinander getestet. Ich habe ihnen eine Frage zu meinem Lieblingsthema römischer Geschichte gestellt, nämlich: Mit welchem römischen Kaiser würden Sie Donald Trump vergleichen – und warum? Beide haben historisch korrekt geantwortet. Allerdings war die Antwort von ChatGPT viel länger und detaillierter. Während DeepSeek ihn nur mit zwei römischen Kaisern verglichen hat, nämlich Nero und Caligula, brachte ChatGPT einen dritten Kandidaten ins Rennen, nämlich Commodus. Das ist ja okay. Fazit: Während ChatGPT mehr fürs Geld bietet, ist DeekSeek gratis – und gut genug für den Hausgebrauch.

SN: Aber: Lässt Ihre Frage nach dem Vergleich mit den römischen Kaisern tatsächlich auf die Gesamtleistung von diesen beiden Programmen schließen?

Meiner Meinung nach schon. Denn die Resultate sind vergleichbar, aber unterschiedlich: ChatGPT geht vom Hundertsten ins Tausendste, während DeepSeek sich etwas zurückhält und auch eine wesentlich bürokratischere Sprache verwendet. Man merkt schon die Nähe zu China.

SN: Inwieweit sind diese chinesischen KIs auch verlässlich, wenn es um heikle Themen wie Demokratie und Pressefreiheit geht bzw. deren Verletzung, etwa in Form von Zensur?

Das ist tatsächlich ein Problem. Sie dürfen sich nicht nach dem Massaker am Tiananmen-Platz von 1989 fragen. Da kriegen Sie eine ausweichende Antwort. Aber im Grunde weigern sich die Programme nicht, zu antworten. Sie antworten nur im Grunde wie ein chinesischer Bürokrat.

SN: Sind solche KI-Programme dann bei uns im Westen dadurch noch sinnvoll einsetzbar oder verlieren sie da nicht an Qualität und Usability, wenn Sie zu vielen heiklen Fragen nichts sagen?

Weder ChatGPT noch DeepSeek oder die anderen Programme sind wirklich künstlich intelligent. Das sind ja, salopp formuliert, nur aufgemotzte Suchmaschinen. Aber als solche haben sie definitiv ihren Platz in der geschäftlichen und privaten Nutzung. China will den KI-Markt von hinten aufrollen – mit billigen, sparsamen Produkten, die KI für Milliarden von Menschen erschließen sollen.

SN: Wie wichtig ist die nötige Rechenleistung bei Entwicklung, Training und Nutzung einer KI?

DeepSeek hat hier eine komplett neue Dimension eröffnet. Sie haben, die Kosten und den Energieverbrauch von KI dramatisch reduziert. Während die Amerikaner mit roher, brutaler Computer-Power das Problem lösen wollen, sind die Chinesen raffinierter und gehen ihren eigenen Weg: Sie haben eine Leistung auf ChatGPT-Niveau mit Entwicklungskosten von nur 5,6 Millionen US-Dollar erreicht im Vergleich zu 3 Milliarden Dollar für ChatGPT-4.

SN: Wie schaffen sie das?

Mit billigeren Microchips. DeepSeek-Chef Liang Wenfeng hat sich rechtzeitig mit Hochleistungschips von Nvidia eingedeckt, angeblich besitzt er sogar mehr als 50.000 Stück davon, obwohl sie heute in China nicht mehr legal erhältlich sind. Ansonsten kommen sie mit weniger leistungsstarken Microchips aus, die viel billiger und umweltschonender sind. Außerdem kommt DeepSeek mit einem Bruchteil der Hardware aus: Sie verwenden für ihr Programm nur 2000 Chips im Vergleich zu den 16.000 von ChatGPT, was traditionelle KI-Modelle von ihrer Infrastruktur her massiv in Frage stellt.

SN: In Europa gibt es zudem schwere Datenschutzbedenken gegen DeepSeek. Könnte oder würde das den Erfolg von DeepSeek dämpfen, wenn hier die EU beim Thema Datenschutz einig gegen China vorgehen würde?

Na ja. Nach wie vor ist ja nicht klar, woher die hochwertigen Trainingsdaten, die für DeepSeek verwendet wurden, kommen. Und, wieso sie mit solchen Methoden beim Datentraining arbeiten können. Aber Italien hat bereits eine Untersuchung gegen DeepSeek eröffnet und den Chinesen verboten, italienische Nutzerdaten zu verwenden. Wie sie das hinkriegen wollen, dieses Verbot durchzusetzen, weiss der Teufel. DeepSeek sitzt bekanntlich in China, da haben wir als Europäer keinen Zugriff darauf. Und wir wissen ja auch, das Internet lebt vom freien Austausch von Daten. Und das, was jetzt passiert, ist eigentlich das Gegenteil von intelligent.

SN: Wie bzw. wen meinen Sie konkret?

Was Europa gerade macht, ist dumm. Man kann Daten nicht wirklich einsperren. Ein altes Motto aus den Frühtagen des Internets: „Information wants to be free.“

SN: Das heißt, Sie glauben, dass die italienische bzw. europäische Strategie, hier auf den Datenschutz zu pochen, nicht erfolgreich sein wird?

Ja, das glaube ich. Und ich glaube, dass die Chinesen mit ihrer KI sehr erfolgreich sein werden. Ob das streng legal ist nach den Datenschutz- und sonstigen Gesetzen Europas, das weiß ich nicht. Und ich weiß auch nicht, was man gegen Chinas Strategie tun soll. Daten sind da im Internet, die kann man sich frei holen. Es sei denn, sie sind technisch geschützt und stecken hinter einer Firewall.

SN: Welche Rolle spielen der staatsnahe chinesische Tech-Konzern Huawei und dessen Microchips bei der Entwicklung von DeepSeek? Oder wollen chinesischen Konzernen mit ihren KI-Programmen nur sensible Daten aus dem Westen abgreifen?

Sie wollen Geld verdienen. Das machen sie auch sehr gut. Huawei ist bisher auf dem KI-Sektor nicht so furchtbar präsent gewesen, aber dafür Firmen wie die TikTok-Mutter ByteDance, Alibabas Qwen oder Zhipu und Chat-GLM. Sie arbeiten alle mit der gleichen Methode:  Wenig Computerleistung und wenig Umweltbelastung für den Hersteller aber viel Leistung für den Kunden.

SN: Sind die neuen Billig-KIs aus China so gut wie DeepSeek?

Ich habe Qwen getestet. Es hat in meinem Test zur römischen Geschichte nur Nero genannt, und die Antworten waren viel zu lang. Die Antwort von Qwen hat 3500 Wörter umfasst, während sich DeepSeek mit 1700 Wörtern begnügte. Aber inhaltlich ist es vergleichbar mit ChatGPT und bringt eine ähnliche Leistung. ByteDance degegen ist ein relativer Nachzügler im Bereich KI, verfügt aber nach eigenen Angaben über mehr eigenständige KI-Anwendungen als die Konkurrenz. Leider habe ich auf meiner Suche nach Doubao 1.5 nur Websites auf Chinesisch gefunden, was mir nichts nützt, weil ich kein chinesisch spreche.

SN: Die Aktie des US-Microchip-Herstellers Nvidia stürzte nach der DeepSeek-Ankündigung binnen 24 Stunden um 600 Milliarden Dollar ab. Auch wenn ein Teil davon bald wieder aufgeholt wurde, stellt sich die Frage: Müssen wir uns jetzt öfter auf solche Berg- und Talfahrten an den Börsen gefasst machen oder war der „DeepSeek-Schock“ völlig überzogen?

Nvidia wurde einfach auf dem falschen Fuß erwischt. Aber das bedeutet nicht, dass Nvidia deswegen jetzt auf dem Zahnfleisch geht. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass aus China jetzt laufend hochinteressante KI-Anwendungen kommen.

Und wie reagieren die Amerikaner?

Amerikaner und Chinesen werden versuchen, sich gegenseitig zu überbieten.  OpenAI hat vorige Woche ein Tool veröffentlicht, mit dem man online Lebensmittel einkaufen oder einen Tisch in einem Restaurant reservieren kann. Am Sonntag haben sie ein neues Tool namens Deep Research vorgestellt, das in 30 Minuten komplexe Forschungsaufgaben erledigen kann, für die ein Mensch bis zu 30 Tage benötigt. Die Frage ist, was wird aus Europa?

SN: Ja, welche Folgen hat diese KI-Konkurrenz zwischen China und USA für Europa? Was müssten wir tun, um hier halbwegs mithalten zu können?

Europa hinkt bei KI eindeutig hinterher. Es gibt derzeit in Europa generativen KI nichts, was mit ChatGPT oder DeepSeek mithalten kann. Aus Europa gibt es zwar KI-Modelle wie Frankreichs Mistral AI oder Noema oder Deutschlands Aleph Alpha. Die sind alle in bestimmten Bereichen stark, aber nicht generell auf dem Niveau der Amerikaner oder Chinesen.

SN: Warum genau hinkt Europa beim KI-Thema im Moment so stark hinterher? Stichwort AI Act: Sind die Regulierungen für solche Software in der EU zu streng?

Die Europäer haben sich tatsächlich erst einmal ums Regulieren gekümmert und dann überlegt, was sie im Bereich KI technisch entwickeln können. Sie haben einfach Angst vor dem Thema KI und das lähmt. Das ist schade, denn Europa hätte natürlich genug talentierte junge Menschen. Aber: Wenn die eine gute Idee haben, dann gehen sie ins Silicon Valley. In der Heimat hört ihnen ja keiner zu. Das ist einfach so. Mangelnde Risikobereitschaft seitens der Investoren und der Regierungen, die nicht genug in die Grundlagenforschung von KI stecken, ist sicher auch ein Thema. Aber es fehlen in Europa die mutigen, jungen Unternehmer, die Startups, die bereit sind, alles auf eine Karte zu setzen und zu sagen: „KI ist es! Und ich mache jetzt etwas draus!“ Wenn wir das nicht überwinden, dann werden wir zwischen diesen riesigen Mühlsteinen Amerika und China zermahlen werden.

SN: Also ist der Rückstand Europas hier auch kulturell bedingt?

Ja, die Europäer sind viel vorsichtiger, viel zögerlicher. Die Amerikaner haben keine Angst, irgendetwas zu machen und dabei wirtschaftlich auf die Schnauze zu fallen. Dann stehen sie halt wieder auf und machen was Neues. Wenn du hier in Europa einmal scheiterst, dann hast du ein Stigma fürs Leben. Es fehlt in Europa eine positive Kultur des Scheiterns.

SN: Ein Europäer, der seine eigene KI entwickelt hat, ist der Sepp Hochreiter von der Kepler Uni in Linz. Er sagt, auch seine KI sei viel energieeffizienter als ChatGPT und auch inhaltlich besser. Wie sehen Sie das?

Ich habe seine Software noch nicht ausprobieren können. Aber ich denke, wenn er das sagt, dann wird es auch stimmen. Wir wissen jetzt – das haben uns vor allem die Chinesen vorgemacht -, dass es möglich ist, KI sozusagen „light“ zu machen. Das soll jetzt kein abwertendes Urteil sein, sondern meint einfach: Es gibt nun eine KI, die mit weniger Rechnerleistung auskommt. Man muss nur die richtige Idee dazu haben und es richtig umsetzen. Und ich denke, da sind die Linzer schon auf einem guten Weg.

SN: Stichwort Linz: Dort entsteht ja auch noch eine vom damaligen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zugesagte Digitaluniversität namens IT:U. Für das Projekt, für das im Endausbau pro Jahr 150 Millionen Euro vom Bund nach Linz fließen sollen, fehlt im Moment aber sogar noch ein Standort für das nötige Gebäude.

Wir haben keine Zeit, jetzt erst einmal einen Bauplatz zu suchen und dann ein Gebäude hinzustellen. Bis wir fertig sind, ist das Rennen gelaufen. Es muss jetzt schnell etwas beim Thema KI passieren. Es muss gezielt gefördert werden. Projekte, die bereits im Entstehen sind oder die bereits vielleicht sogar abgeschlossen sind, aber bisher keiner hören wollte, müssen weitergehen. Es ist viel wichtiger, unser Geld konkret in KI-Anwendungen zu investieren als in ein Gebäude irgendwo auf einer Wiese bei Linz zu bauen.

SN: Wer wären die Nutznießer solcher konkreten KI-Anwendungsprojekten: Die Industrie? Die Haushalte? Die staatliche Verwaltung? Und wer sollte hier auch als Auftraggeber und Investor auftreten?

Nutznießer wären wir alle: Zunächst wir als Bürger aber auch als Volkswirtschaft; denn KI anzuwenden, ist ein riesiger Markt. Die Industrie braucht dringend KI. Und: Ich habe nächste Woche einen Vortrag in St. Pölten über KI in der öffentlichen Verwaltung. Auch diese ist aufgewacht; die wissen genau, woher hier der Wind weht. Ich denke, es gibt so viele Anwendungen für KI; und dieses Feld dürfen wir nicht den Amerikanern und Chinesen allein überlassen.

SN: Stichwort Amerikaner: Was erwarten Sie jetzt beim Thema KI von US-Präsident Donald Trump und seinem Einflüsterer Elon Musk?

Die Amerikaner haben schon reagiert, nämlich mit ihrem Stargate-Programm,  das Trump noch vor dem „DeepSeek-Schock“ angekündigt hat. Da geht es um 500 Milliarden Dollar, die die US-Industrie (beteiligt sind etwa Oracle und OpenAI, Anm.) allein in den Bereich KI investiert wollen. Der Forschungsschwerpunkt von Stargate ist, die Kosten für und die Energienutzung von KI zu senken. Da sind die Chinesen aber schon weit voraus. Auf jeden Fall wird der Wettkampf zwischen den USA und China immer härter. Und was Trump betrifft: Ich rede nicht gerne über Trump, obwohl ich geborener Amerikaner bin. Ich schäme mich, dass wir ihn gewählt haben. Denn: Bei ihm weißt du eigentlich von heute auf morgen nicht, was der denkt oder was er vorhat. Eindeutig wird es auch beim Thema KI auf stärkere Regulierung und eine stärkere Bevorzugung amerikanischer Firmen hinauslaufen, was unter Umständen für ChatGPT und andere noch einen größeren Vorsprung gegenüber Europa bedeuten wird.

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