Die verkrümmte Sprachentwicklung im krummen Elsaß

Die Geschichte des Elsass ist lang und kompliziert, und das gilt auch für die Sprachentwicklung.

Nachdem das Elsass lange Zeit von keltischen Stämmen bewohnt war, kamen im zweiten und ersten Jahrhundert v. Chr. verschiedene germanische Stämme aus Mitteleuropa, wurden aber 58 v. Chr. von Julius Cäsar in einem Krieg von völkermörderischer Grausamkeit erobert. Diese Region wurde somit Teil des Weströmischen Reiches.

Diese Besiedlungen waren für die sprachliche Situation im Elsass entscheidend, da seitdem kein im Elsass lebendes Volk jemals vollständig vertrieben wurde, sondern nur die Herrschaft wechselte. Im Elsass werden seit etwa 1500 Jahren germanische Sprachen gesprochen, während zuvor Latein, und zwar Vulgärlatein, gesprochen wurde. Dieses Vulgärlatein wurde auch von den zuvor ansässigen Galliern übernommen, die dafür ihre bisherige Sprache, das Keltische, aufgaben. Aus Vulgärlatein wude im Lauf der Jahrhunderte Französisch.

Obwohl es eine Reihe von „Elsässismen“ gibt, hat es nie einen eigentlichen elsässischen Dialekt gegeben. In 95 % der Region wird Alemannisch gesprochen. Nur im Norden wird Rheinfränkisch gesprochen, was auch bedeutet, dass die Grenze zwischen der Pfalz und dem Elsass keine Sprachgrenze ist. Aber selbst im alemannischen Teil des Elsass ist ein rheinfränkischer Einfluss spürbar, z. B. wird für „Dienstag“ nicht das alemannische „Zischdi“, sondern das rheinfränkische „Dienschdaa“ verwendet.

Nach der Kaiserkrönung Karls des Großen gehörte das Elsass zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die Straßburger Eide, die 842 als erstes zweisprachiges Dokument erschienen, belegen die Zugehörigkeit der Region zum deutschen Sprachraum.

Das Elsass spielte eine wichtige Rolle in den Handelsbeziehungen, und da es eine wirtschaftlich gut entwickelte Region war, zogen einige Franzosen dorthin. Vor allem aber wanderten im 16. Jahrhundert die in Frankreich verfolgten Hugenotten ein. Sie machten etwa 10 % der Straßburger Bevölkerung aus. Bereits 1566 fürchtete der Straßburger Magistrat um den deutschen Charakter der Stadt und wollte die Zuwanderung einschränken: „damit man eine deutsche Stadt behalten würde“ (siehe Philipps 1975, 24, mit Verweis auf Levy 1929, 212). Dennoch durften die Hugenotten ihre Muttersprache praktizieren, und niemand hinderte sie daran, französische Schulen zu gründen.

Die französische Sprache war in der Aristokratie sehr beliebt, und adelige Kinder wurden nach Frankreich geschickt, um eine französische Ausbildung zu erhalten, die als die beste in Europa galt.

1648, nach 30 Jahren Krieg, trat der Westfälische Frieden in Kraft. Das Elsass fiel an das Königreich Frankreich, doch die Annexion erfolgte nicht auf einen Schlag, sondern nach und nach. Ein Grund dafür ist, dass das Elsass als Region noch nicht existierte. Frankreich wollte lediglich sein Territorium bis zum Rhein ausdehnen und so seine Hegemonialstellung in Europa festigen. Die Stadt Straßburg kapitulierte jedoch erst 1681 und das Elsass fiel erst 1714 mit dem Vertrag von Rastatt endgültig an Frankreich.

Kurz nach der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens wurde Französisch als Amtssprache eingeführt. Die Verwaltungsbeamten, die mit der organisatorischen Verwaltung des neuen Territoriums betraut waren, sprachen kein Deutsch und sahen keinen Grund, es zu lernen. Französisch zu sprechen galt als Privileg und die gesamte europäische Elite bediente sich dieser Sprache (z. B. sprach Friedrich der Große nur Französisch).

Es wurde erwartet, dass die Französisierung mit der Zeit voranschreiten würde, was jedoch nicht der Fall war. Die Bevölkerung stand der französischen Sprache eher feindselig gegenüber und die Regierung verfügte nicht über die notwendigen Mittel, um die Elsässer effektiv zum Sprechen von Französisch zu bewegen. In der Schule wurde der Unterricht weiterhin auf Deutsch abgehalten, da die Lehrer kein Französisch sprachen.

Auch in der Kirche gab es keine Sprachänderung, da Ludwig XIV. der Katholisierung größere Bedeutung beimaß als der Französisierung und der Bevölkerung sprachlich entgegenkommen wollte. Man wollte vermeiden, durch zu viel Druck eine feindliche Haltung der elsässischen Bevölkerung gegenüber Frankreich und insbesondere der französischen Sprache zu provozieren. So viel Toleranz haben die Elsässer nie wieder erlebt.

Während der Französischen Revolution wurde Französisch von der Sprache des Königs zur Sprache der Nation („la langue de la nation“) umbenannt. Mit diesem Ausdruck konnte sich die elsässische Bevölkerung besser identifizieren, da sie der Revolution von Anfang an positiv gegenüberstand und hoffte, dass ein gerechteres Regime an die Macht kommen würde, das die Armen nicht mehr ausbeutet.

Die Kirche (beider Konfessionen) weigerte sich hartnäckig, die deutsche Sprache aufzugeben, mit der Begründung, Französisch sei die Sprache Voltaires, der als unchristlich galt.

Gut zwanzig Jahre nach der Französischen Revolution erwachte in Deutschland ein neues Nationalbewusstsein, und das Elsass wurde mit dem Argument zurückgefordert, dass es deutschsprachig sei und daher zu Deutschland gehöre. Der Rhein konnte jedoch nicht als Grenze angesehen werden, da die einzige wirkliche Grenze die Sprachgrenze war. Hier wurde erstmals zwischen Dialekt und Hochdeutsch unterschieden.

1871 wurde das Elsass mit dem Frankfurter Vertrag Teil des neuen Deutschen Reiches (2. Reich). Deutsch wurde sofort als Amtssprache eingeführt. Die Schwierigkeiten, die dadurch entstanden, wurden jedoch unterschätzt. Es gab einige Dörfer in den Vogesen, die nie Dialekt gesprochen hatten und daher überhaupt keine Deutschkenntnisse besaßen. Dies sind etwa 10% der elsässischen Bevölkerung. Der Umgang mit den dialektsprachigen Elsässern war nicht so einfach wie erwartet, denn sie hatten zwar während ihrer 200-jährigen Zugehörigkeit zu Frankreich ihren Dialekt bewahren können, aber viele Verbindungen zur hochdeutschen Standardsprache verloren, die sich zudem stark verändert hatte.

Gut zwanzig Jahre nach der Französischen Revolution erwachte in Deutschland ein neues Nationalbewusstsein, und das Elsass wurde mit dem Argument zurückgefordert, es sei deutschsprachig und gehöre daher zu Deutschland. Der Rhein konnte jedoch nicht als Grenze angesehen werden, da die einzige wirkliche Grenze die Sprachgrenze war. Hier wurde erstmals zwischen Dialekt und Hochdeutsch unterschieden.

1871 wurde das Elsass mit der Unterzeichnung des Frankfurter Vertrags Teil des neuen Deutschen Reiches (2. Reich). Deutsch wurde sofort als Amtssprache eingeführt. Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, wurden jedoch unterschätzt. In einigen Dörfern in den Vogesen wurde nie Dialekt gesprochen, sodass die Menschen überhaupt keine Deutschkenntnisse hatten. Dies betrifft etwa 10% der elsässischen Bevölkerung. Der Umgang mit den dialektsprachigen Elsässern war nicht so einfach wie erwartet, da sie zwar ihren Dialekt während ihrer 200-jährigen Zugehörigkeit zu Frankreich bewahren konnten, aber viele Verbindungen zur deutschen Standardsprache verloren hatten, die sich ebenfalls erheblich verändert hatte.

Obwohl sie Teil des Deutschen Reiches waren, hatten die Elsässer ihre innere Verbundenheit mit Frankreich bewahrt und begrüßten daher die siegreichen französischen Truppen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mit Begeisterung. Die Entwicklung und Neuorganisation der Verwaltung und des Rechtssystems im Elsass verlief aufgrund der übereilten Einführung der französischen Sprache langsamer als geplant. Von den Beamten wurde ein doppelter Spagat verlangt: Sie mussten Deutsch und Französisch sprechen und mit dem deutschen und dem französischen Rechtssystem vertraut sein.

In der Schule wurde Deutsch wieder zur Fremdsprache, obwohl der Deutschunterricht im Elsass ein Jahr früher begann als im übrigen Frankreich. Die Schüler, die das Gymnasium besuchten, gehörten der Oberschicht der Bevölkerung an. Diese Schichten sprachen am ehesten Französisch, da sie sich schon früh dieser Sprache zuwandten und sie in den Jahren der deutschen Herrschaft pflegten.

Zwischen 1940 und 1945 mussten die Elsässer viereinhalb Jahre schlimmsten Terrors erdulden. Das Ziel der Nationalsozialisten bestand zweifellos nicht nur darin, die deutsche Sprache wieder zur Hauptsprache zu machen, wie es nach 1871 der Fall gewesen war, sondern auch darin, die französische Sprache und alle französischen Kulturgüter zu beseitigen. Dies drückte sich beispielsweise im völligen Verbot des Französischen und in der Änderung von Straßen-, Platz- und Firmennamen aus. In Geschäften durfte nichts mehr verkauft werden, das beispielsweise einen französischen Aufdruck hatte oder in irgendeiner Weise typisch französisch war. Französische Bücher wurden aus Bibliotheken entfernt und verbrannt. Auch Familiennamen hugenottischen Ursprungs mussten geändert werden. Die Bewohner der frankophonen Zonen des Elsass durften nur mit schriftlicher Genehmigung Französisch sprechen. Mein eigener Vorfahre, ein französischer Hugenotte namens d’Ange, musste seinen Namen in Engels ändern.

Französisch wurde in der Schule nicht einmal mehr als Fremdsprache unterrichtet. Man konnte Französisch auf der anderen Seite des Rheins lernen, aber nicht im Elsass.

Genau genommen war die Muttersprache der Elsässer jedoch nicht das, was die Nationalsozialisten meinten. Sie wollten, dass die Elsässer Hochdeutsch sprechen, aber die Muttersprache der Elsässer war der Dialekt und sie hatten fast keine Beziehung zum Hochdeutschen. Natürlich flüchteten die Elsässer in diesen Dialekt, auch wenn sie eigentlich Hochdeutsch sprechen mussten, um der Idee der Nazis von Gleichstellung gerecht zu werden. Ein kurzes Gedicht veranschaulicht das Problem:

Sechsmal in hundert Jahren!

Viermal in fünfundsechzig Jahren!

Mussten wir unsere Zungen verschlucken!

Heute werden die Landesteile in Frankreich als Regionen bezeichnet. Sie sind etwa so groß wie deutsche Bundesländer, haben aber nicht so viel Macht. Seit 2015 sind Elsass und Lothringen Teil einer neuen Großregion namens Grand Est. Es gibt kein Elsass oder Lothringen mehr als eigenständige Region.

Die meisten Einwohner von Elsass-Lothringen sprechen heute Französisch. Nur ältere Menschen können noch recht gut Deutsch. In den Schulen lernen die Kinder jedoch oft Deutsch als Fremdsprache, genauso wie Kinder in Deutschland Französisch oder Englisch lernen.

 

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