Auf Quora fragt einer: „Was waren die Ursprünge der Slawophobie in Nazi-Deutschland?“ Diese Frage beschäftigt mich, und zwar wahrscheinlich deshalb, weil sie viel zu kurz greift.
Die Nationalsozialisten schafften es, eine pseudowissenschaftliche Struktur von meist rassistischen Publikationen zu schaffen, die die Überlegenheit einer fiktiven „deutschen Rasse“ über alle anderen beweisen sollten. Mit scheinwissenschaftlichen Verfahren, seltsamen Schlussfolgerungen aus der Biologie und kurios klingende Erklärungen der menschlichen Geschichte und der menschlichen Gesellschaft behaupteten die Vertreter dieser Ideologie, dass es verschiedene menschliche „Rassen“ gebe und dass die „Arier“, von denen die Deutschen ein prominenter Teil seien, an der Spitze der Pyramide stünden.
Auf den unteren Rängen fanden sich alle anderen, die nicht arisch oder nicht arisch genug waren: Ganz unten war Platz für alle, die nicht in das Schema ihrer Weltanschauung passten. Viele nationalsozialistische Verbrechen hatten einen offensichtlichen rassistischen Hintergrund. Gräueltaten wie der Völkermord an den europäischen Juden, der gezielte Massenmord an slawischen so genannten „Untermenschen“ oder an Angehörigen der Sinti und Roma, die dann als „Zigeuner“ beschimpft wurden, an Schwarzen und schließlich auch die Ermordung und Erniedrigung vieler Behinderter aus ihren eigenen Rassen (Stichwort: „lebensunwertes Leben“) müssen im Kontext einer nationalsozialistischen Rassenideologie und Rassenpolitik gesehen werden.
Dieses System des Rassengedankens reicht in seinen Ursprüngen weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, wo zwielichtige „Forscher“ wie der französische Diplomat Arthur de Gobineau in den Jahren 1853 und 1855 ein sehr einflussreiches vierbändiges Buch über die Ungleichheit der menschlichen Rassen veröffentlicht hatten, dessen Kernaussage darin bestand, dass es in der Tat verschiedene menschliche „Rassen“ von unterschiedlichem „Wert“ für die Gesellschaft gebe.
Um sich einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, verwendeten diese Rassenideologen oft Versatzstücke aus den Werken Charles Darwins, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurden und die der große Vater der Evolutionslehre stets vehement von sich gewiesen hat. Sie benutzten Begriffe wie „Kampf ums Dasein“, das Prinzip der „natürlichen Auslese“ und vor allem das „Überleben des Stärkeren“, um zu demonstrieren, wie bestimmte genetisch bedingte Erbinformationen von Generation zu Generation weitergegeben werden und zur Degeneration der Bestände der „Volksgemeinschaft“ führen; umgekehrt könnten auch überlegene „Rassen“ entstehen, wenn Gesellschaft und Staat nur sorgfältig genug darauf achteten, die Weitergabe des Erbguts zu lenken und zu regulieren.
Ein gutes Beispiel dafür sind die mehr als 20 „Lebensborn-Heime“ in Deutschland, aber auch in Belgien, Luxemburg und Frankreich, in denen jede schwangere Frau, die eine arische Abstammung nachweisen konnte — und sei es, dass sie von einem deutschen Soldaten vergewaltgigt worden war — ihr Kind zur Welt bringen konnte. Es wurde ihr dann weggenommen und im Sinne der Nazis politisch korrekt erzogen.
In Norwegen, das während des Weltkriegs von etwa 350.000 deutschen Wehrmachtssoldaten besetzt war, gingen schätzungsweise 12.000 Kinder aus Beziehungen mit norwegischen Frauen hervor, die offiziell von Himmler gefördert wurden, und von denen 5-6.000 in Lebensborn-Heimen geboren wurden. Ab 1941 wurden diese „rassisch wertvollen“ Kinder zwangseingedeutscht. Nach Kriegsende wurde ihnen dies in Norwegen zum Verhängnis: Viele kamen in Erziehungsheime und wurden misshandelt.
Eines der prominentesten „Kinder der Schande“, wie sie damals genannt wurden, war Anni-Frid Synni Lyngstad, Sängerin der weltberühmten Popgruppe ABBA. Sie wurde kurz nach Kriegsende geboren, da ihre minderjährige Mutter ein Verhältnis mit einem deutschen Soldaten hatte. Als uneheliches Kind wuchs die Sängerin bei ihrer Großmutter in Schweden auf, auch um ihr Anfeindungen im eigenen Land zu ersparen. Andere konnten das nicht – Kinder deutscher Soldaten wurden in Norwegen weggegeben und oft in Heimen großgezogen, weil sie nun als ein Produkt der deutschen Nazis und Besatzer galten. Erst nach Jahrzehnten machen sie jetzt durch ein Gerichtsverfahren auf ihre damalige Situation aufmerksam.
Sie sehen also, es wäre falsch, eine Diskussion wie diese nur auf die slawophobischen Gräueltaten der Nazis zu konzentrieren. In Wirklichkeit lief jeder, der „anders“ war, Gefahr, in ihrer unmenschlichen Mühle gefangen zu werden.
Die größere Lehre daraus für uns heute ist, dass sich das gesamte Konzept der „Rasse“ als völlig falsch und irreführend erwiesen hat. Alle Menschen haben im Grunde die gleiche DNA, und jeder ist letztlich mit jedem verwandt. Jemanden wegen seines Aussehens oder seiner vermeintlichen Abstammung leiden oder sterben zu lassen, ist das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das man sich vorstellen kann.